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Pränataldiagnostik
Wissen und Gewissen

Mit einem nicht-invasiven Pränataltest können Mediziner schon vor der Geburt eines Kindes Gendefekte nachweisen. Nun wird geprüft, ob die Bluttests als Kassenleistung anerkannt werden sollen. Moraltheologen und Behindertenverbände warnen vor einer Selektion.

Von Burkhard Schäfers | 31.01.2017
    Bei der Firma Lifecodexx wird die Blutprobe einer schwangeren Frau von einer medizinisch-technischen Assistentin analysiert. Das Unternehmen hat den "PraenaTest" entwickelt.
    Eine medizinisch-technische Assistentin überprüft die Blutprobe einer schwangeren Frau. (picture-alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Eine kurze Blutabnahme, das war's schon. Die "nicht-invasive Pränataldiagnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien", wie der Bluttest für Schwangere im Fachjargon heißt, wirkt harmlos. Doch Experten wie der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann warnen vor den Folgen:
    "Der Pränatest ist von seiner Zielsetzung darauf aus, Individuen mit einer ganz bestimmten genetischen Veränderung zu identifizieren, um sie möglichst dann zu eliminieren. Deswegen ist dieser Test nicht irgendwie ein moralisch neutrales Instrument, sondern er ist eine Innovation, die außerordentlich negative Konsequenzen zeitigt."
    Im Blut der Schwangeren finden sich auch Bruchstücke des kindlichen Erbguts. Daran können Mediziner erkennen, ob der Fetus eine Chromosomenstörung hat. Am häufigsten ist die Trisomie 21, das so genannte Down-Syndrom. Franz-Josef Bormann sagt:
    "Wenn ich weiß, dass mein Kind Träger dieser genetischen Aberration ist, erfolgt dann in der Praxis ganz häufig, in mehr als neun von zehn Fällen, ein Abbruch der Schwangerschaft. Deshalb hat sich in der medizinethischen Literatur der Begriff des so genannten Down-Huntings entwickelt, also eine Art Rasterfahndung, eine Jagd auf Individuen, die das Down-Syndrom tragen."
    Übernimmt die Krankenkasse den Pränatest?
    Franz-Josef Bormann, Professor für Moraltheologie an der Universität Tübingen, spricht von einer Selektion von Kindern mit Behinderung. Er kritisiert den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen - ein mächtiges Gremium, das kaum jemand kennt. Eben jener GBA hat beschlossen zu prüfen, ob der umstrittene Bluttest künftig regelmäßig von den Krankenkassen bezahlt wird. Zwar lediglich im Fall von Risiko-Schwangerschaften. Doch das sei nur der erste Schritt, fürchten Kritiker.
    Schon seit 2012 können werdende Eltern den Test in Deutschland nutzen, wenn sie ihn selbst bezahlen. Kosten derzeit: zwischen 300 und 400 Euro. In der Schweiz übernehmen die Kassen inzwischen den Pränatest. Befürworter sehen darin den normalen Gang der Dinge. Wie Elke Holinski-Feder, Fachärztin für Humangenetik am Klinikum der Universität München:
    "Wir müssen lernen, damit umzugehen. Wir werden immer transparenter und man wird immer mehr Fragen beantworten können. Unsere Aufgabe ist es, Patienten über diese Möglichkeiten aufzuklären und sie da durch zu führen. Aber nicht, sie ihnen primär auszureden."
    Vorteile gegenüber der Fruchtwasseruntersuchung
    Die Humangenetikerin berät Paare, die sich entscheiden müssen, wie viel sie über ihr noch nicht geborenes Kind wissen wollen. Beim Pränatest wird das Genom sequenziert. So lassen sich neben der Trisomie 21 weitere Chromosomen-Störungen ausschließen. Zudem kann man das Geschlecht bestimmen. Vorhersage-Genauigkeit: mehr als 99 Prozent. Früher war dafür meist eine Fruchtwasseruntersuchung nötig - mit dem Risiko vereinzelter Fehlgeburten.
    Und noch einen Vorteil sieht Elke Holinski-Feder in dem Bluttest:
    "Die frühe Diagnosestellung. Fruchtwasseruntersuchung ist erst in der 15. Woche möglich. Der Pränatest ist ab der neunten Schwangerschaftswoche möglich. Ein Schwangerschaftsabbruch in der zehnten oder zwölften Woche wird als psychisch weniger belastend erlebt als in der 18. Woche."
    Genau das fürchten Behindertenverbände und die Kirchen. Sie sagen voraus, dass künftig wegen des Pränatests mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben würden. Moraltheologe Bormann:
    "Da handelt es sich um menschliche Individuen, die heute eine sehr lange Lebenserwartung haben, die eine sehr hohe subjektive Lebenszufriedenheit entwickeln können. Und wenn wir schon bei solchen Behinderungen wie Trisomie 21 keine andere Lösung finden, als die Träger dieser Anlage umzubringen, dann halte ich das doch für eine moralisch außerordentlich gefährliche Entwicklung, da es ja noch eine ganze Reihe anderer, schwerwiegenderer Krankheitsbilder gibt, mit denen wir ja auch irgendwie fertig werden müssen."
    Selbstbestimmung versus Lebensrecht
    Die Frage ist, was mehr wiegt: Das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Eltern oder das Lebensrecht des Kindes?
    "Keiner darf im Namen seiner eigenen persönlichen Selbstbestimmung über die Chancen eines anderen verfügen. Die besondere Verantwortung der werdenden Eltern besteht gerade darin, verantwortlich dafür zu sein, möglichen Schaden von ihrem Kind - das extrem schutzbedürftig und verletzlich ist - abzuwenden. Der Pränatest tut genau das Gegenteil: Er liefert das werdende Kind einer extremen Gefahr aus, sein Leben zu verlieren."
    Hier widerspricht die Münchner Humangenetikerin Elke Holinski-Feder. Sie sieht durch den Bluttest keine Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom.
    "Die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch ist ja nicht die Schwere der Erkrankung oder der Name der Erkrankung. Sondern die Tatsache, dass ein Paar sagt: Wir sind dieser Belastung nicht gewachsen, wir können ein Kind mit dieser Behinderung nicht betreuen, das schaffen wir nicht. Das beeinträchtigt uns so sehr, dass wir einen Schwangerschaftsabbruch wünschen."
    Derzeit wird über den Bluttest und seine möglichen Folgen diskutiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass er künftig von den Krankenkassen bezahlt wird, ist hoch. So wie es bei der Fruchtwasseruntersuchung im Falle von Risiko-Schwangerschaften schon lange die Regel ist.

    Die dahinter stehende Frage führt aber weiter: Was dürfen Eltern über ihr Kind wissen? Wer das menschliche Erbgut schon vor der Geburt untersucht, könne zunehmend genauere Vorhersagen treffen, erklärt die Ärztin. Etwa, ob jemand später einmal an Krebs erkranken könnte.
    Eine perfektionistische Ideologie?
    "Es wird so sein, dass wir immer mehr werden nachweisen können. Und wenn wir uns dem verschließen in Deutschland, werden es sich die Menschen woanders holen, möglicherweise sehr schlecht begleitet. Ich würde meinen, dass wir hier versuchen sollten, ein sehr ausführliches, aufwändiges, professionelles Beratungsangebot auf die Beine zu stellen."
    Den Tübinger Moraltheologen Franz-Josef Bormann, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, treibt noch eine ganz grundsätzliche Frage um:
    "Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und immer mehr Eltern haben das Gefühl, dass sie bestenfalls dann ein Kind kriegen können, wenn es ihnen selber wirtschaftlich außerordentlich gut geht und dieses Kind gesund und makellos ist. Das ist ja eine etwas merkwürdige Vorstellung, wo man darüber nachdenken muss, was eigentlich die kulturellen Faktoren sind, die der Ausprägung einer solchen perfektionistischen Ideologie Vorschub leisten."

    Anm. d. Red.: Im Text des Beitrag werden die nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) meist nur kurz umgangssprachlich als "Pränatest" bezeichnet. Solche Tests werden unter verschiedenen Markennamen von unterschiedlichen Firmen angeboten. Mit der im Beitrag gewählten Bezeichnung ist die Testgattung NIPT gemeint.