Kairo, Ende September 1970. Ägyptens Vizepräsident Anwar as-Sadat gibt den Tod Gamal Abdel Nassers bekannt. Nasser war weit mehr als nur der Präsident Ägyptens. Seit er 1956 den Suezkanal verstaatlicht und damit den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich die Stirn geboten hatte, war er ein Volksheld in der arabischen Welt.
Während die Massen in Ägypten noch um ihn trauerten, wurde in der Regierung längst über seine Nachfolge gestritten, so Sonja Hegasy vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient. Die Wahl fiel auf Anwar as-Sadat. "Man wollte jemanden haben, den man steuern kann, so war die Vorstellung, der aus den Augen der damaligen Mitstreiter ganz eindeutig der schwächste Nachfolger sein konnte. Und dann kam alles anders."
Nicht die von den Militärs gewünschte Marionette
Wie Nasser stammte auch Sadat aus einfachen Verhältnissen und hatte sich schon früh dem Kampf gegen die britische Vorherrschaft in Ägypten verschrieben. Gemeinsam mit anderen nationalistischen Militärs hatten sie im Geheimbund der Freien Offiziere 1952 den König gestürzt und Ägypten zur Republik erklärt. In der Folge stieg Nasser zum unumschränkten Herrscher des Landes auf, hinter dem alle anderen verblassten - auch sein Stellvertreter.
Und so drückte das Referendum am 15. Oktober 1970, in dem Anwar as-Sadat als neuer Präsident Ägyptens bestätigt wurde, weniger die Stimme des Volkes aus, als die Wünsche der politisch-militärischen Elite. Doch Sadat machte schnell deutlich, dass er eine eigene Agenda hatte, so Sonja Hegasy:
"Das fing erstmal damit an, dass er die wichtigsten Militärs entmachtet hat, dass er die Orientierung an der Sowjetunion aufgegeben hat, sich mit den Amerikanern zusammengetan hat, dass er die sowjetischen Militärberater aus dem Land rausgeworfen hat, dass er eine kapitalistische Politik auf einmal einführte, nachdem Ägypten eben ein sozialistischer Staat war. Es wurde eigentlich alles verändert, was die Ägypter kannten."
Jom-Kippur-Krieg gegen Israel
Fast noch gravierender war seine Kehrtwende im Konflikt mit Israel. Im Oktober 1973 befahl Sadat einen Überraschungsangriff auf den jüdischen Staat, um die Sinai-Halbinsel, die Israel seit sechs Jahren besetzt hielt, zurückzuerobern. Ägypten gewann den Jom-Kippur-Krieg zwar nicht, doch der Mythos von der unbesiegbaren israelischen Armee war angekratzt. Aus einer Position der Stärke wandte sich Sadat wenige Jahre später an die Regierung in Jerusalem – mit einem Aufruf, den Kriegszustand zu beenden.
Im November 1977 sprach Anwar as-Sadat als erster arabischer Regierungschef vor dem israelischen Parlament, der Knesset. Ein Jahr danach kam es, unter Vermittlung der USA, zum Friedensvertrag mit dem einst verhassten "zionistischen Feind". Ägypten erkannte das Existenzrecht des jüdischen Staates an und erhielt im Gegenzug den Sinai zurück. Sadat und sein israelischer Amtskollege Menachem Begin wurden dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt, doch die arabische Welt reagierte mit Ausgrenzung: Und auch in Ägypten überwog die Ablehnung.
Dazu Sonja Hegasy: "Das war eine extrem unpopuläre Sache, aber die Leute haben auch gesehen, dass sie wirtschaftlich davon profitierten. Ägypten wurde durch den Vertrag von Camp David der zweitgrößte Entwicklungshilfegelder-Empfänger nach Israel, das ist auch in diesem Friedensvertrag geregelt, das heißt es gibt militärische und zivile Hilfe aus den USA, damals waren das ein, drei Milliarden Dollar pro Jahr."
Dazu Sonja Hegasy: "Das war eine extrem unpopuläre Sache, aber die Leute haben auch gesehen, dass sie wirtschaftlich davon profitierten. Ägypten wurde durch den Vertrag von Camp David der zweitgrößte Entwicklungshilfegelder-Empfänger nach Israel, das ist auch in diesem Friedensvertrag geregelt, das heißt es gibt militärische und zivile Hilfe aus den USA, damals waren das ein, drei Milliarden Dollar pro Jahr."
Opfer seiner eigenen Politik
Zwei Jahre nach dem Vertrag von Camp David wurde Anwar as-Sadat bei einer Militärparade in Kairo von einem islamistischen Fanatiker erschossen – und damit Opfer seiner eigenen Politik. Während Nasser beim Aufbau Ägyptens auf den Sozialismus gesetzt hatte, stand für den gläubigen Muslim Sadat die Religion im Vordergrund.
Dazu Sonja Hegasy: "Er hat eben die Muslimbrüder auch stärker gemacht, als Gegengewicht gegen die Linke. Er hat sie aus dem Gefängnis geholt, er hat sie eingebunden in die Politik, er hat den politischen Islam insgesamt stärker gemacht und hat nicht gesehen, dass mit dem Friedensvertrag genau dieser politische Islam ihn letztendlich umbringen wird, und dass sich diese Gruppierungen, obwohl er sie eigentlich in die Politik eingebunden hat, sich gegen ihn wenden werden."