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Präsident Charles Taylor ist Schlüsselfigur im Konflikt Liberias

Remme: Der Bürgerkrieg in Liberia gerät außer Kontrolle. Er währt seit Jahren, nun eskaliert er. Hunderte von Menschen sind bei den Kämpfen in den vergangenen Tagen um die Hauptstadt Monrovia ums Leben gekommen. Das Welternährungsprogramm bestätigt jetzt, Zehntausende Liberianer sind ohne Nahrung und mehre Hunderttausende sind auf der Flucht. Stefan Mair ist Westafrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Mair, warum eskaliert dieser Bürgerkrieg, der schon viele Jahre währt und Opfer fordert, gerade jetzt?

23.07.2003
    Mair: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, ein Auslöser ist sicherlich der Konflikt an der Elfenbeinküste, in den ja auch Charles Taylor indirekt involviert war. Es wird berichtet, dass Milizen, die von Liberia in die Elfenbeinküste eingedrungen sind, unter der Kontrolle von Charles Taylor standen. Entsprechend hat sich die Elfenbeinküste in der letzten Zeit verstärkt bemüht, Rebellen in Liberia auszurüsten. Ich denke, das dürfte ein Auslöser der Eskalation sein.

    Remme: Sie haben den Namen Charles Taylor genannt, der Name des Präsidenten Liberias. Ist er die Schlüsselfigur in diesem Konflikt?

    Mair: Ja, ich würde ihn als Schlüsselfigur in diesem Konflikt bezeichnen, nicht nur in Liberia, sondern mit Sicherheit auch in Westafrika. Er hat eine Reihe anderer Konflikte in der Region angeheizt. Es ist klar: Ohne die Entfernung Charles Taylors ist dieser Konflikt nicht lösbar. Allerdings wäre es auch überzogen zu glauben, alle Probleme seien gelöst, wenn Charles Taylor nicht mehr Präsident Liberias ist.

    Remme: Wie ist er zu dieser Schlüsselfigur geworden?

    Mair: Charles Taylor hat einen sehr brutalen Krieg gegen den damaligen liberianischen Präsidenten geführt. Er hat in diesem Bürgerkrieg, der von 1989 bis 1997 dauerte, sich mit zahlreichen anderen Kräften auseinandergesetzt, war militärisch der Stärkste und hat dann bei Wahlen, die ausgerichtet wurden, auch den Sieg errungen. Charles Taylor hat in den Jahren seiner Präsidentschaft sich wenig um die Entwicklung Liberias gekümmert, wenig in die Infrastruktur des Landes investiert. Sein Hauptinteresse war im Grunde genommen, die Ressourcen des Landes zu kontrollieren, sie für seine Zwecke möglichst wertbringend auszubeuten und darüber hinaus auch noch die Kontrolle über Ressourcen in den Nachbarländern zu erringen.

    Remme: Nun richten sich die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lage, auf eine Truppe die von außen kommt. Die Amerikaner sollen helfen. Der amerikanische Präsident zögert. Hat er gute Gründe?

    Mair: Er fürchtet natürlich das Risiko, das damit verbunden ist, wobei ich denke, dass man das Risiko nicht überzogen bewerten sollte. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass eine relativ gut ausgerüstete Truppe wie beispielsweise die der Briten vor zwei Jahren in Sierra Leone - das waren 1.100 Mann damals - doch in der Lage ist, Truppen, Milizen, die schlecht ausgerüstet, schlecht ausgebildet sind, innerhalb kürzester Zeit zu entwaffnen, zurückzuschlagen, ohne große Verluste dabei zu erleiden.

    Remme: Warum sind die Amerikaner hier in einer besonderen Verantwortung?

    Mair: Liberia ist eine Gründung freigelassener amerikanischer Sklaven vor mehr als 150 Jahren und hat in der Vergangenheit immer besondere Beziehungen zu Amerika gepflegt aufgrund eben dieser historischen Bindung. Amerika hat aber auch immer Liberia als Standbein in Westafrika betrachtet.

    Remme: Sie haben das Umfeld kurz erwähnt. In Afrika wird kein Konflikt isoliert gesehen, darf nicht isoliert gesehen werden. Wie sieht es aus im Umfeld rund um diesen Krisenherd Liberia? Kann es da stabilisierende Faktoren geben?

    Mair: Es gibt zumindest den einen oder anderen stabilisierenden Faktor. In Sierra Leone sind die größeren Kampfhandlungen seit dem Jahr 2000 ausgeblieben. Auch dort gibt es natürlich nach wie vor Rebellenaktivitäten, eben auch gesponsort von Charles Taylor. Guinea hat auch sozusagen eine brüchige Stabilität erreicht, und in der Elfenbeinküste hält zumindest der vor einiger Zeit ausgehandelte Waffenstillstand und Friedensschluss zwischen den Rebellen und der Regierung.

    Remme: Wenn Charles Taylor nun ins Exil geht, ist das denn eine Sache, die ohne Folgen bleiben wird, zum Beispiel, wenn er denn in Nigeria landen wird?

    Mair: Nein, es wird mit Sicherheit eine Debatte darüber geben, ob Nigeria nicht doch verpflichtet ist, Charles Taylor an den speziellen Gerichtshof in Sierra Leone auszuliefern. Dort wurde Anklage gegen ihn erhoben. Im Grunde genommen ist jedes Land verpflichtet, Charles Taylor dorthin auszuliefern. Diese Debatte wird mit Sicherheit dann beginnen.

    Remme: Wenn die Amerikaner nun tatsächlich intervenieren sollten, dann kann das eigentlich nicht mehr als Krisenmanagement sein. Sehen Sie denn einen Weg zu einer Befriedung des Landes?

    Mair: Ich denke, was man gegenwärtig maximal erwarten kann, ist eine kurzfristige Stabilisierung der Situation, und diese Stabilisierung muss dann genutzt werden, um mit den politischen Kräften, aber auch mit den Milizen in eine Debatte wiedereinzusteigen, wie dann die politische Zukunft des Landes aussehen könnte. Aber mit Sicherheit ist nicht mehr als eine kurzfristige Stabilisierung zu erreichen.

    Remme: Wenn Sie sagen, politische Kräfte, um wen handelt es sich da? Im Moment hat man den Eindruck, es geht nur marodierende Banden.

    Mair: Ja, mit Sicherheit. Diejenigen, die als Politiker ernst zu nehmen sind, sind untergetaucht, zum Teil haben sie das Land verlassen. Es ist schwer zu sagen, wie sie sich dann im Grunde genommen nach dem Eingreifen der Amerikaner als neue politische Kraft etablieren können. Aber es ist im Moment nicht erkennbar, das ist richtig.

    Remme: Kann denn außer den Amerikanern noch eine andere Macht von außen stabilisierend wirken?

    Mair: Also nach gegenwärtigem Stand der Dinge soll ja die amerikanische Eingreiftruppe durch eine der ECOMOC, also der Region ECOWAS ergänzt werden. Dabei sind natürlich vor allen Dingen wieder die Nigerianer gefordert, die in der Vergangenheit schon in Liberia interveniert haben.

    Remme: Stefan Mair war das, Westafrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Link: Interview als RealAudio