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Präsident des Deutschen Hochschulverbandes
"Die Universität als Präsenzeinrichtung muss wieder funktionieren"

Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, forderte im Dlf von der Politik eine Öffnungsperspektive für Universitäten. Die Rückkehr in einen Regelbetrieb beim ersten Entspannungszeichen sollte schon jetzt vorbereitet werden - im Interesse von Millionen Studierenden.

Bernhard Kempen im Gespräch mit Kate Maleike |
Leere, grüne Stuhlreihen in einem Hörsaal an der Technischen Universität Dortmund.
Noch sind die Hörsäle leer - aber mit zuverlässigen Schnelltests ließen sich relativ gefahrlos Vorlesungen richten, so Bernhard Kempen (imago / Olaf Döring)
Aufgrund der Corona-Pandemie fanden die vergangenen zwei Semester an Universitäten und Fachhochschulen ausschließlich online statt. Nun möglichst kein drittes Semester rein online - das ist die Hoffnung, die der Deutsche Hochschulverband hat. Die Berufsvertretung von rund 32.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland vermisst allerdings in der aktuellen Debatte um Öffnungsszenarien das Thema Studium und Hochschulen.
Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, forderte im Deutschlandfunk von der Politik eine Öffnungsperspektive für die Universitäten, damit diese wieder das werden könnten, was sie eigentlich sein sollten: nämlich eine Begegnungsstätte der Wissenschaft.
Mit zuverlässigen Schnelltests in ausreichender Menge ließen sich relativ gefahrlos Veranstaltungen richten. Natürlich sei in den Hochschulen dafür Sorge zu tragen, dass es Corona-kompatible Lösungen gebe für infektionsanfälliges Gedränge auf den Gängen oder in der Mensa. Auch müsse das Lehrpersonal weitgehend geimpft werden.
Im Interesse der Millionen Studierenden müssten die Hochschulen beim ersten Entspannungszeichen wieder schnell in einen Regelbetrieb zurückfinden, betonte Bernhard Kempen. Dies könne schon jetzt organisiert und vorbereitet werden. In Zukunft werde es auf einen Mix zwischen Präsenzuniversität und Digitaluniversität ankommen.
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Kate Maleike: Die Infektionszahlen gehen bekanntlich nach oben, die Zeichen stehen eher auf Schließung denn auf Öffnung.
Bernhard Kempen: Die Zeichen stehen derzeit eher auf Schließung, aber das ändert ja nichts daran, dass wir irgendwann auch in eine Post-Corona-Phase einmünden wollen. Und für diese Situation wollen wir gewappnet sein. Wir haben jetzt eine Gruppe von Studierenden, die die Universität seit einem Jahr überhaupt nicht von innen gesehen hat. Mir tun die unendlich leid, etwa die Erstsemester, die voller Freude und voller Erwartungen an die Uni kommen und dann eben doch nicht in der Universität sind, sondern zu Hause in ihrer Studentenbude und dort vor einem Laptop sitzen. Das ist das traurige Schicksal, und wir wollen das möglichst schnell beenden. Deswegen erheben wir die Forderung, gebt uns auch eine Öffnungsperspektive, dass die Universität wieder das wird, was sie eigentlich sein sollte, nämlich eine Begegnungsstätte in der Wissenschaft zwischen Lehrenden und Lernenden und vor allen Dingen der Lernenden untereinander. Die Politik ist da gefordert, und wir wünschen uns dringend, dass das Thema auch am Kabinettstisch in Berlin diskutiert – und dann auch eine Antwort gefunden wird.
Maleike: Das heißt, Sie fordern von der Wissenschaftspolitik eine Art Stufenplan, Sie haben auch schon Vorschläge gemacht für ein mögliches Öffnungskonzept. Wenn Sie sagen, wir müssen wieder mehr Präsenzuniversität auf den Weg bringen, wie sähe das denn jetzt konkret aus, Stichwort Schnelltests. Wenn getestet werden könnte in großem Stil, wäre das ja schon mal etwas.

Schnelltests und "andere Lösungen, die Corona-kompatibel sind"

Kempen: Das wäre ein erster Schritt. Wir müssen einerseits die RKI-Standards einhalten, solange uns die Pandemie so fest im Griff hat. Aber andererseits können wir doch wahrscheinlich relativ gefahrlos Veranstaltungen machen, wenn denn zuverlässige Schnelltests da sind und in ausreichender Menge verfügbar sind, dann lässt sich das richten. Wir könnten natürlich auch in den Hochschulen dafür Sorge tragen, dass das, was sozusagen besonders infektionsanfällig ist, nämlich das Gedränge auf den Gängen, das Gedränge in der Mensa et cetera, dass wir da zu Lösungen kommen, die Corona-kompatibel sind. Wir müssten auch dazu kommen, dass das Lehrpersonal weitgehend geimpft wird, ohne dass wir uns irgendwie vordrängeln wollen und anderen Gruppen, die berechtigte und vielleicht noch berechtigtere Interessen haben als wir, ohne uns da denen in den Weg zu stellen. Aber dass wir da irgendetwas haben müssen, dass wir in den Hochschulen wieder weiterkommen, das liegt auf der Hand.
Maleike: Wie weit sind denn die Hochschulen aus Ihrer Kenntnis mit Hygienekonzepten und, sagen wir mal, Vorbereitungen, die das alles, was Sie gerade genannt haben, auch möglich machen würden?

"Personendichte verhindern, Abstandsregelungen einhalten"

Kempen: Das ist sehr unterschiedlich, das hängt natürlich von den räumlichen Gegebenheiten ab, es hängt aber auch von den personellen Ressourcen ab. Deswegen gibt es da kein Standardmodell, wie man es machen kann. Wichtig ist, wir müssen versuchen, Personendichte, Personenansammlungen zu verhindern, wir müssen Abstandsregelungen einhalten. Und da ist schon an den Standorten viel passiert. Ich weiß, dass es Universitäten gibt, die da sehr viel gemacht haben, um sicherzustellen, dass der Notbetrieb, der ja jetzt auch noch an den Universitäten läuft, dass der relativ gefahrlos stattfinden kann.
Maleike: Jetzt steht ja das nächste Semester quasi vor der Tür. Wenn Sie sagen, die Hochschulen brauchen eine Öffnungsperspektive, heißt das, eigentlich müsste jetzt genau darüber gesprochen werden, wie diese aussehen könnte.

"Jetzt vorbereiten" um in den Normalbetrieb zurückzukehren

Kempen: Ja, da müsste jetzt drüber gesprochen werden. Nun ist es ja so, dass wir uns gerade in einer Phase befinden, wo ja eher über einen weiteren Lockdown und weitere Restriktionen gesprochen werden muss. Es ist jetzt vielleicht nicht der glücklichste Zeitpunkt. Aber schauen Sie mal, wir alle sind doch voller Optimismus, dass wir bald durch das Impfen in eine Situation kommen, in der dann Entspannung angesagt ist, und dann wären wir dann gerne früh mit dabei, um im Interesse der Millionen Studierenden wieder schnell in einen Regelbetrieb wieder zurückzufinden. Und das muss jetzt organisiert, das muss jetzt vorbereitet werden, damit, wenn die ersten Entspannungszeichen sichtbar werden, wir dann auch sehr bald wieder in diesen Normalbetrieb zurückkehren können.
Maleike: Und dieser Normalbetrieb würde unter welchen Bedingungen für Sie möglich und denkbar sein?
Kempen: Das hängt dann von dem obwaltenden, wie sagt man so schön, Infektionsgeschehen ab, wie weit wir dann öffnen können. Aber ich sage mal so, das Ziel muss sein, die Universität als Präsenzeinrichtung muss wieder funktionieren. Das wird nicht ausschließen, dass wir auch digitale Konzepte und Formate weiter verfolgen. Da haben wir ja auch viel gelernt in der Pandemie und da ist auch sehr viel Positives bei rausgekommen. Aber es wird da weder schwarz noch weiß geben, das heißt, wir werden weder eine ausschließliche Präsenzuniversität sein noch eine ausschließliche Digitaluniversität, sondern es wird auf den Mix ankommen. Und das müssen wir jetzt auch schon mal vornehmen, wie können wir das denn gestalten, spätestens mit Beginn des Wintersemester 2021/22 wollen wir da ja gut gerüstet an den Start gehen. Das muss jetzt organisiert werden, und ich glaube, da sind wir alle in der Pflicht – in den Hochschulen, aber auch in der Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.