Christiane Kaess: Als Präsident aller Ägypter war Mohammed Mursi angetreten, jetzt droht das Land wegen seiner Politik ins Chaos zu stürzen. Mursi hat Verfassungsänderungen vorgenommen, die ihn unantastbar machen. Die linken und liberalen Kräfte, die Anfang 2011 gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak noch zusammen mit den Muslim-Brüdern demonstrierten, stehen jetzt auf der anderen Seite, gegen den Präsidenten. Die Opposition hat zu einer
Großkundgebung für heute in Kairo aufgerufen. Die Muslim-Brüder haben mittlerweile eine geplante Gegendemonstration abgesagt, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Dennoch warnen Beobachter sogar vor einem Bürgerkrieg.
Am Telefon ist jetzt Hans-Gert Pöttering, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, der Delegation für Beziehungen zur arabischen Halbinsel und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Pöttering, als im vergangenen April die Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo wegen illegaler Annahme von Geld aus dem Ausland und Anstiftung zu Unruhen angeklagt wurden, war Ihnen da schon klar, dass die Entwicklung in Ägypten in eine autoritäre Richtung weitergehen würde?
Pöttering: Ja, die Gefahr war absehbar, und wir wissen ja nicht, wie der Gerichtsprozess ausgeht. Er läuft noch, und die nächste Verhandlung ist am 2. Dezember, und der Konrad-Adenauer-Stiftung wird vorgeworfen, dass sie illegal im Lande sei, was natürlich absurd ist, weil wir seit 30 Jahren dort auch durch Verträge mit den Behörden aktiv sind und völlig legal dort im Lande arbeiten.
Und wir haben auch niemandem Geld gegeben zur Unterstützung zum Beispiel der Wahlen, sondern das Geld, was wir zur Verfügung haben, können wir nur ausgeben für gemeinsame Tagungen, für Konferenzen. Wir geben niemals Geld an Dritte, sondern sind selber für unsere Finanzmittel verantwortlich. Wir warten jetzt ab, wie die Justiz sich entscheidet, ob die Justiz wirklich unabhängig ist, aber dieses bleibt abzuwarten.
Kaess: Eine Justiz, die von Präsident Mursi im Moment immer mehr beschnitten wird. Warum greift Mursi nach immer mehr Macht?
Pöttering: Ja, das ist die große Frage, ob die Muslim-Bruderschaft jetzt wirklich die ganze Macht will, oder ob es ein Übergangsstatus ist, in dem Mursi sich die Macht sichern will. Hierauf gibt es keine endgültige Antwort. Ein gutes Zeichen in diesen Tagen ist, dass die Muslim-Bruderschaft die angekündigte Demonstration abgesagt hat und heute die Opposition demonstrieren kann, dass man ganz offensichtlich eine Eskalation vermeiden will, aber das ist natürlich nicht das letzte Wort.
Und ein positives Element – deswegen würde ich die Hoffnung nicht ganz aufgeben – ist, dass ja Präsident Mursi den Waffenstillstand maßgeblich beeinflusst hat im Gaza-Streifen zwischen Israel und der Hamas, und es ist jetzt eine offene Situation, ob Mursi einen gemäßigten, dem Westen zugewandten, zumindest unabhängigen Weg gehen wird, oder ob er die Dinge im Sinne eines Islamismus eskalieren lassen will. Ich hoffe, dass das Letztere nicht der Fall ist.
Kaess: Aber wie passt das denn zusammen, auf der einen Seite die Rolle Mursis bei der Vermittlung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas und auf der anderen Seite diese autoritären Tendenzen?
Pöttering: Ja es passt eben nicht zusammen. Es ist sehr positiv, dass er den Waffenstillstand sehr befördert hat, weil das auch den Einfluss von Teheran, also des Irans der Schiiten, zurückdrängt. Aber das, was jetzt geschieht, passt nicht in dieses Bild, und vor allen Dingen wäre ganz wichtig, dass Präsident Mursi der Opposition ein Signal gibt, zum Beispiel auch, dass die Vertreter der Opposition wieder in die verfassungsgebende Versammlung hinein kommen.
Sie sind ja dort rausgegangen, weil der muslimisch orientierte Teil doch sehr dominant auftritt. Und wenn hier ein Signal der Verständigung kommt, dann, glaube ich, können die Dinge sich in die richtige Richtung entwickeln. Aber der Präsident sollte der Opposition – bei denen handelt es sich ja um wirkliche Demokraten -, denen sollte er ein Signal geben.
Kaess: Ist das jetzt eine neue Revolution in Ägypten gegen die Muslim-Brüder, wenn man sich die Bilder der letzten Tage ansieht?
Pöttering: Man kann sicher sagen, dass die Ursprünge der Revolution, wie wir sie Anfang 2011 gesehen haben – und ich selber bin im Februar 2011 auch auf dem Tahrir-Platz gewesen, habe mit den jungen Leuten, die ja Ideale haben wie wir im Westen, die Würde des Menschen, die Demokratie, die Menschenrechte, auch gesprochen -, das sind wunderbare Menschen, und ganz offensichtlich wollen sie eine Islamisierung der Gesellschaft nicht akzeptieren. Insofern würde ich sagen, das ist eine Fortsetzung dessen, was Anfang 2011 begonnen hat.
Kaess: Verliert denn Mursi auf der anderen Seite auch unter den Muslim-Brüdern an Glaubwürdigkeit?
Pöttering: Das bleibt abzuwarten. Man muss auch sehen, inwieweit ist er ein Getriebener durch die Muslim-Bruderschaft, oder wie weit handelt er selber, und man kann ihn …
Kaess: Wie schätzen Sie das ein?
Pöttering: Ja, meine Antwort ist noch nicht ganz sicher. Ich glaube nicht, dass er nur ein Erfüllungsgehilfe der Muslim-Bruderschaft ist, sondern dass er auch eine eigene Persönlichkeit ist, und ich wünsche ihm, dass er möglichst viel von seiner eigenen Persönlichkeit durchsetzen kann, dass er nicht nur ein Erfüllungsgehilfe ist. Insofern sollte man die Hoffnung da nicht aufgeben, und wir sollten als Europäer, als Europäische Union in angemessener Weise mit Präsident Mursi Kontakt halten, respektvoll mit ihm umgehen, aber ihm auch ganz klar unsere Meinung sagen, dass zur Demokratie die Gewaltenteilung gehört, dass die Justiz unabhängig sein muss, dass man Minderheiten respektiert und dass Ägypten nur so einen guten Weg in die Zukunft hat und wir gute Partner sein wollen.
Kaess: In diesem Zusammenhang hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, gedroht, die EU-Hilfen für Ägypten zu kürzen, falls Mursi an seinen Maßnahmen zur Ausschaltung der Justiz festhält. Was halten Sie davon?
Pöttering: Ja, wenn mein Kollege und Freund Elmar Brok dieses gesagt hat, dann wird er sicher Gründe dafür haben. Wir sollten aber jetzt zunächst alle diplomatischen Kanäle nutzen, ehe wir zu solchen Schlussfolgerungen kommen, um mit Präsident Mursi im Gespräch zu bleiben, dass wir in angemessener …
Kaess: Also Sie wären da vorsichtiger mit solchen Drohungen?
Pöttering: Ja, ich will mich nicht im Gegensatz stellen zu meinem Kollegen Elmar Brok. Das kann natürlich am Ende die Konsequenz sein. Aber ich würde jetzt zunächst einmal das Gespräch suchen, alle diplomatischen Kanäle nutzen, der Europäischen Union, aber auch unserer amerikanischen Freunde, und das war ja bei der Vermittlung von Präsident Mursi zwischen Hamas und Israel erfolgreich, und diese Gespräche sollten wir jetzt fortsetzen und alles andere sehen wir dann später.
Kaess: …, sagt Hans-Gert Pöttering. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pöttering.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Großkundgebung für heute in Kairo aufgerufen. Die Muslim-Brüder haben mittlerweile eine geplante Gegendemonstration abgesagt, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Dennoch warnen Beobachter sogar vor einem Bürgerkrieg.
Am Telefon ist jetzt Hans-Gert Pöttering, Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, der Delegation für Beziehungen zur arabischen Halbinsel und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Pöttering, als im vergangenen April die Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo wegen illegaler Annahme von Geld aus dem Ausland und Anstiftung zu Unruhen angeklagt wurden, war Ihnen da schon klar, dass die Entwicklung in Ägypten in eine autoritäre Richtung weitergehen würde?
Pöttering: Ja, die Gefahr war absehbar, und wir wissen ja nicht, wie der Gerichtsprozess ausgeht. Er läuft noch, und die nächste Verhandlung ist am 2. Dezember, und der Konrad-Adenauer-Stiftung wird vorgeworfen, dass sie illegal im Lande sei, was natürlich absurd ist, weil wir seit 30 Jahren dort auch durch Verträge mit den Behörden aktiv sind und völlig legal dort im Lande arbeiten.
Und wir haben auch niemandem Geld gegeben zur Unterstützung zum Beispiel der Wahlen, sondern das Geld, was wir zur Verfügung haben, können wir nur ausgeben für gemeinsame Tagungen, für Konferenzen. Wir geben niemals Geld an Dritte, sondern sind selber für unsere Finanzmittel verantwortlich. Wir warten jetzt ab, wie die Justiz sich entscheidet, ob die Justiz wirklich unabhängig ist, aber dieses bleibt abzuwarten.
Kaess: Eine Justiz, die von Präsident Mursi im Moment immer mehr beschnitten wird. Warum greift Mursi nach immer mehr Macht?
Pöttering: Ja, das ist die große Frage, ob die Muslim-Bruderschaft jetzt wirklich die ganze Macht will, oder ob es ein Übergangsstatus ist, in dem Mursi sich die Macht sichern will. Hierauf gibt es keine endgültige Antwort. Ein gutes Zeichen in diesen Tagen ist, dass die Muslim-Bruderschaft die angekündigte Demonstration abgesagt hat und heute die Opposition demonstrieren kann, dass man ganz offensichtlich eine Eskalation vermeiden will, aber das ist natürlich nicht das letzte Wort.
Und ein positives Element – deswegen würde ich die Hoffnung nicht ganz aufgeben – ist, dass ja Präsident Mursi den Waffenstillstand maßgeblich beeinflusst hat im Gaza-Streifen zwischen Israel und der Hamas, und es ist jetzt eine offene Situation, ob Mursi einen gemäßigten, dem Westen zugewandten, zumindest unabhängigen Weg gehen wird, oder ob er die Dinge im Sinne eines Islamismus eskalieren lassen will. Ich hoffe, dass das Letztere nicht der Fall ist.
Kaess: Aber wie passt das denn zusammen, auf der einen Seite die Rolle Mursis bei der Vermittlung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas und auf der anderen Seite diese autoritären Tendenzen?
Pöttering: Ja es passt eben nicht zusammen. Es ist sehr positiv, dass er den Waffenstillstand sehr befördert hat, weil das auch den Einfluss von Teheran, also des Irans der Schiiten, zurückdrängt. Aber das, was jetzt geschieht, passt nicht in dieses Bild, und vor allen Dingen wäre ganz wichtig, dass Präsident Mursi der Opposition ein Signal gibt, zum Beispiel auch, dass die Vertreter der Opposition wieder in die verfassungsgebende Versammlung hinein kommen.
Sie sind ja dort rausgegangen, weil der muslimisch orientierte Teil doch sehr dominant auftritt. Und wenn hier ein Signal der Verständigung kommt, dann, glaube ich, können die Dinge sich in die richtige Richtung entwickeln. Aber der Präsident sollte der Opposition – bei denen handelt es sich ja um wirkliche Demokraten -, denen sollte er ein Signal geben.
Kaess: Ist das jetzt eine neue Revolution in Ägypten gegen die Muslim-Brüder, wenn man sich die Bilder der letzten Tage ansieht?
Pöttering: Man kann sicher sagen, dass die Ursprünge der Revolution, wie wir sie Anfang 2011 gesehen haben – und ich selber bin im Februar 2011 auch auf dem Tahrir-Platz gewesen, habe mit den jungen Leuten, die ja Ideale haben wie wir im Westen, die Würde des Menschen, die Demokratie, die Menschenrechte, auch gesprochen -, das sind wunderbare Menschen, und ganz offensichtlich wollen sie eine Islamisierung der Gesellschaft nicht akzeptieren. Insofern würde ich sagen, das ist eine Fortsetzung dessen, was Anfang 2011 begonnen hat.
Kaess: Verliert denn Mursi auf der anderen Seite auch unter den Muslim-Brüdern an Glaubwürdigkeit?
Pöttering: Das bleibt abzuwarten. Man muss auch sehen, inwieweit ist er ein Getriebener durch die Muslim-Bruderschaft, oder wie weit handelt er selber, und man kann ihn …
Kaess: Wie schätzen Sie das ein?
Pöttering: Ja, meine Antwort ist noch nicht ganz sicher. Ich glaube nicht, dass er nur ein Erfüllungsgehilfe der Muslim-Bruderschaft ist, sondern dass er auch eine eigene Persönlichkeit ist, und ich wünsche ihm, dass er möglichst viel von seiner eigenen Persönlichkeit durchsetzen kann, dass er nicht nur ein Erfüllungsgehilfe ist. Insofern sollte man die Hoffnung da nicht aufgeben, und wir sollten als Europäer, als Europäische Union in angemessener Weise mit Präsident Mursi Kontakt halten, respektvoll mit ihm umgehen, aber ihm auch ganz klar unsere Meinung sagen, dass zur Demokratie die Gewaltenteilung gehört, dass die Justiz unabhängig sein muss, dass man Minderheiten respektiert und dass Ägypten nur so einen guten Weg in die Zukunft hat und wir gute Partner sein wollen.
Kaess: In diesem Zusammenhang hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, gedroht, die EU-Hilfen für Ägypten zu kürzen, falls Mursi an seinen Maßnahmen zur Ausschaltung der Justiz festhält. Was halten Sie davon?
Pöttering: Ja, wenn mein Kollege und Freund Elmar Brok dieses gesagt hat, dann wird er sicher Gründe dafür haben. Wir sollten aber jetzt zunächst alle diplomatischen Kanäle nutzen, ehe wir zu solchen Schlussfolgerungen kommen, um mit Präsident Mursi im Gespräch zu bleiben, dass wir in angemessener …
Kaess: Also Sie wären da vorsichtiger mit solchen Drohungen?
Pöttering: Ja, ich will mich nicht im Gegensatz stellen zu meinem Kollegen Elmar Brok. Das kann natürlich am Ende die Konsequenz sein. Aber ich würde jetzt zunächst einmal das Gespräch suchen, alle diplomatischen Kanäle nutzen, der Europäischen Union, aber auch unserer amerikanischen Freunde, und das war ja bei der Vermittlung von Präsident Mursi zwischen Hamas und Israel erfolgreich, und diese Gespräche sollten wir jetzt fortsetzen und alles andere sehen wir dann später.
Kaess: …, sagt Hans-Gert Pöttering. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pöttering.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.