"Més que un club", "mehr als ein Club", so lautet das Credo des FC Barcelona. Der berühmte Verein aus der katalanischen Metropole verstand sich schon immer als etwas Besonderes. Und für viele Jahrzehnte entsprach das auch der Wahrheit. Während auf dem Rasen große Siege bejubelt wurden, wuchs Barça auch zu einem Symbol für das Autonomiestreben Kataloniens. Doch die Zeiten haben sich geändert.
1,2 Milliarden Euro Schulden
Nach den großen Erfolgen mit Trainer Pep Guardiola und Weltstar Lionel Messi begann der langsame Abstieg. Barcelona ist immer noch ein Top-Verein in Europa, aber gezeichnet von internen Querelen und einem immensen Schuldenberg. Rund 1,2 Milliarden Euro Verbindlichkeiten soll Barça haben, fast zwei Drittel davon kurzfristige. Zudem drohen nun nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof, der Steuererleichterungen für spanische Vereine als rechtswidrig ansieht, Nachzahlungen in Millionenhöhe.
"Finanziell sind sie wahrscheinlich in einer schlechteren Verfassung als alle anderen europäischen Top-Clubs. Aber sie müssen auf dem Feld wettbewerbsfähig bleiben, damit sie sicherstellen, dass die Lage nicht noch schlimmer wird. Folglich müssen sie Wege finden, um mehr Ausgaben zu tätigen. Es ist also wirklich kompliziert", sagt Sam Marsden, Barcelona-Korrespondent des Sportsenders ESPN.
Unter Ex-Präsident Bartomeu kam der Verfall
Der sportliche wie auch wirtschaftliche Verfall nahm gerade unter Präsident Josep Maria Bartomeu seinen Lauf. Der umstrittene Bartomeu überwarf sich sogar mit Lionel Messi. Der mehrfach ausgezeichnete Weltfußballer wollte im vergangenen Sommer - nach 20 Jahren in Barcelona – seinen Abgang erzwingen. Als er schließlich nachgeben musste und bei Barça blieb, fand Messi keine netten Worte für die Vereinsführung: "Die Wahrheit ist, dass es seit langem keinen Plan gibt. Es werden nur Löcher gestopft, wenn gerade nötig."
Bartomeu musste mittlerweile zurücktreten, weil die Anschuldigungen gegen ihn und seine Geschäftspraktiken immer mehr an Brisanz gewannen. Über Jahre soll er Bilanzen geschönt und Ausgaben den Mitgliedern des Vereins verschwiegen haben.
Der Barça-Anhänger Iso Martins beschreibt die aktuelle Situation so: "Barcelona ist wie ein Auto mit großem Schaden. Der Motor läuft unrund und es ist mit Dellen übersät. Wir müssen das Auto reparieren. Die letzten Vorstände haben die Finanzen des Vereins ruiniert. Lange Zeit konnte es verheimlicht werden. Eine Vertuschung folgte auf die nächste. Anleihe folgte auf Anleihe folgte auf Anleihe."
Anfang dieser Woche dann der große Knall: Bartomeu sowie Vertraute von ihm wurden von der katalanischen Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen. Sie werden beschuldigt, im letzten Jahr eine Agentur angeheuert zu haben, die in den Sozialen Medien Hetzkampagnen gegen Persönlichkeiten wie Messi lancierte. Das Geld für diese Kampagnen soll aus den Kassen des Vereins gekommen sein.
Entscheidung über einen neuen Präsidenten: Nostalgie oder Moderne
Dass die Verhaftung Bartomeus gerade in dieser Woche erfolgte, ist umso brisanter. Denn an diesem Sonntag wird ein neuer Clubpräsident gewählt. Zwei aussichtsreiche Kandidaten stehen sich dabei gegenüber: Joan Laporta und Victor Font. Laporta war bereits zwischen 2003 und 2010 Präsident des Vereins. In jener Zeit gewann Barça zweimal die Champions League.
Laporta stehe für eine Rückkehr zu den guten alten Zeiten, meint Rafael Hernández, ein bekannter Unterstützer: "Die Menschen betrachten Laporta durch die Nostalgiebrille. Sein Gegenkandidat Font betont das häufig, um Laporta zu kritisieren. Aber die Menschen möchten, dass der FC Barcelona zu seinen goldenen Tagen zurückkehrt. In dem Moment, in dem Laporta auf dem Vereinsgelände auftaucht, wird es wieder etwas Ruhe geben. Er wird die Reputation und die Stabilität innerhalb des Vereins wiederherstellen."
Gegenspieler Font hingegen will neue Wege beschreiten, mehr Einnahmen durch digitale Kanäle generieren und notfalls auch die Ausgaben für die Mannschaft kürzen. Iso Martins ist einer seiner Fürsprecher: "Victor Font möchte den Club modernisieren. Wenn zum Beispiel wichtige Entscheidungen anstehen, wenn es um das neue Stadion oder die Trikots geht, dann sollen die Mitglieder mitbestimmen. Wenn man ein Mitglied ist, könnte man dann bei diesen Entscheidungen abstimmen. Mit Laporta wäre es mehr das traditionelle System, in dem der Präsident alles entscheidet."
Die Stimmung im und um den Verein ist extrem aufgeladen. Martins berichtet davon, dass er bereits Morddrohungen erhalten habe, weil er sich öffentlich für Font ausspricht.
Neuer Präsident steht vor fast unlösbarer Aufgabe
Er gibt sich aber ohnehin keinen Illusionen hin. Denn unabhängig davon, wer neuer Präsident wird, eine Sanierung des Vereins kommt einer fast unlösbaren Aufgabe gleich. Der FC Barcelona mag ein besonderer Club sein, aber aktuell steht er vor allem für eines: Chaos.