Tobias Armbrüster: Schönen guten Morgen, Herr Stegner.
Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Stegner, wir haben da ja gerade schon einiges aus Berlin gehört. Wie schätzen Sie das ein? Hat die FPÖ diese Wahl in Österreich wirklich verloren?
Stegner: Na ja, es ist schon so, dass ich sagen muss, wenn man sich vorstellt, da wäre jetzt ein Rechtspopulist in die Wiener Hofburg eingezogen, das wäre ja geradezu ein Triumphgeheul geworden der Rechtspopulisten überall in Europa. Das hätte mit Sicherheit den Ausgang der Volksabstimmung in Großbritannien beeinflusst und hätte, glaube ich, schon den Rechten einen Rückenwind beschert, vor dem sich Europa durchaus hätte fürchten müssen, auch was die französischen Präsidentschaftswahlen angeht.
Rechtspopulisten sind gefährlich für unsere Demokratie
Armbrüster: Und dieser Rückenwind, der ist jetzt mit knapp 50 Prozent nicht da?
Stegner: Der ist jedenfalls nicht da, weil es dieses Symbol nicht gibt. Aber Fakt ist natürlich schon: Wenn fast die Hälfte der Österreicher, die zur Wahl gegangen sind, einen Rechtspopulisten gewählt haben, dann ist das ein dickes, dickes blaues Auge für die demokratischen Parteien, und das darf man sich nicht schönreden. Das zeigt, dass wir was tun müssen, dass die Angstmacher eben nicht so viel Konjunktur bekommen und dass wir es ihnen nicht so leicht machen, was wir teilweise tun, dass sie solche Erfolge einfahren können. Denn man konnte ja schon in Österreich beobachten, dass am Ende die FPÖ dort die politische Agenda diktiert hat, dass mehr oder weniger alle Parteien sich in die Richtung geneigt haben und gedacht haben, na ja, so ein bisschen Richtung Stammtisch müssen wir uns auch bewegen.
Ich glaube allerdings, dass man die Probleme ansprechen muss, aber dass man sich mit der Politik und den Parteien, den Rechtspopulisten sehr viel härter und schärfer auseinandersetzen muss. Das sind nämlich keine normalen Parteien, sondern die sind gefährlich für unsere Demokratie, und das muss auch klar sein. Insofern steckt da schon eine Menge drin auch an Hausaufgaben, die wir wirklich zu machen haben, damit das nicht in anderen Ländern dazu kommt. Das ist ein großer Warnschuss, den man ernst nehmen muss, auch wenn das eine Wahl in einem kleinen Land gewesen ist.
Armbrüster: Heißt dieses Ergebnis denn möglicherweise auch, dass die deutsche Willkommenskultur unser Nachbarland Österreich viel zu stark unter Druck gesetzt hat?
Stegner: Ich glaube, dass solche Analysen ein bisschen zu kurz springen. Es ist auch leicht gesagt, was da alles falsch gemacht worden sei. Ich glaube, am Ende ist es so, dass Menschen in schwierigen Situationen, wo sie Orientierung suchen, wo es viel Unsicherheit gibt, einfache Antworten dann auch wählen. Die sind aber fast immer falsch.
Und die großen Parteien, die demokratischen Parteien müssen sich deutlich mehr Mühe geben, den Menschen zu erklären, dass es nichts nützt, für alles einen Sündenbock, aber für nichts eine Lösung zu haben, dass in einer Demokratie Kompromisse dazugehören, dass manche Dinge lange dauern, dass man manches Problem nicht von heute auf morgen abstellen kann. Vor allen Dingen aber, dass man sich um die Probleme der Menschen kümmert und es nicht heißt, die da oben, die kümmern sich gar nicht und die sind sich alle gleich. Da kann man, glaube ich, eine Menge Lehren draus ziehen.
Armbrüster: Hat auch Ihre Partei, die SPD, hat die das möglicherweise auch gemacht, nicht so richtig zugehört, was den Menschen eigentlich auf den Nägeln brennt?
Stegner: Wenn man solche Umfragen hat wie wir, dann kann man nicht sagen, man hat alles richtig gemacht. Wir müssen uns ernsthaft gerade um die Gerechtigkeitsthemen unbedingt kümmern. Das sind Alltagsfragen. Das ist Arbeit, das ist Rente, Gesundheit, Familie, Pflege. Solche Themen sind das. Und zusätzlich sagen, …
Stegner: Den Menschen die Angst vor den Flüchtlingen nehmen
Armbrüster: Aber nicht Flüchtlinge?
Stegner: Na ja. Dass die Flüchtlinge kommen, das ist ein Fakt. Und dass wir die integrieren müssen, dass darin auch eine Chance liegt, ist auch ein Fakt. Wir müssen den Menschen die Angst vor den anderen nehmen und vor allen Dingen glauben, dass irgendetwas besser wird, wenn man auf Intoleranz setzt, wenn man sich gegen Menschen wendet, am Ende ja teilweise sogar zur Gewalt mit beiträgt. Das tun ja die Rechtspopulisten. Die tun ja nur harmlos. Die stellen sich jetzt da als verfolgte Unschuld in Österreich, alle seien gegen sie gewesen. Das ist ja alles lächerlich. In Wirklichkeit sind das Brandstifter und da muss man in der Tat sich kümmern, dass die keinen Einfluss haben. Aber noch mal:
Bei aller Freude, die wir haben über das knappe Wahlergebnis für die Vernunft in Österreich, muss man schon sagen, das ist ein letzter harter Warnschuss dafür, es wird nichts besser. Wenn die Republik nach rechts rückt sich mitzurücken ist falsch, sondern wir müssen dem uns entgegenstellen, aber die praktischen Probleme müssen gelöst werden. Sonst ist es für Menschen doch eine Verlockung zu sagen, lasst uns doch mal die wählen. Wenn die aber Einfluss gewinnen auf Politik, in Parlamenten oder gar in Regierungen, dann geht es bergab mit Europa. Um das an einem Punkt zu sagen: Jeder muss wissen, wer heute den Euro abschafft und die Grenzen hochziehen will, der sorgt für Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Das muss man den Menschen sagen. Deswegen kürze ich AfD auch immer mit Arbeitslosigkeit für Deutschland ab.
"Wer den Euro abschafft, sorgt für Massenarbeitslosigkeit in Deutschland"
Armbrüster: Herr Stegner, wir wollen heute Morgen mit Ihnen noch über ein anderes Thema sprechen, das mit dieser Entwicklung in Österreich durchaus verbunden und verwandt ist, wo es einige Schnittstellen gibt. Die Große Koalition, die will auf ihrer Klausur in Meseberg, die heute losgeht, ein Integrationsgesetz für Deutschland auf den Weg bringen. Darin werden einige Pflichten für Flüchtlinge noch einmal ganz klar formuliert. Unter anderem soll es künftig eine Wohnsitzauflage geben. Die soll Flüchtlingen vorschreiben, wo diese zu wohnen haben, wo diese sich ansiedeln sollen. Da fragen sich jetzt viele, ist das wirklich eine Hilfe für die Integration, oder ist so eine Vorschrift nicht eher eine Schikane.
Stegner: Na ja, sagen wir mal so herum: Auch das ist ein Gesetz in der Großen Koalition, was ein Kompromiss zwischen SPD und Union ist. Da haben wir versucht, Integrationschancen zu verbessern mit den Dingen, die insbesondere Andrea Nahles, unsere Arbeitsministerin, hineingebracht hat. Und mit der Union ist manches auch nicht anders zu machen. Aber es ist schon ein Einstieg, würde ich mal sagen, in ein Zuwanderungsgesetz, das wir irgendwann haben werden, und die Wohnsitzauflage, die muss natürlich vereinbar bleiben mit europäischem Recht für anerkannte Flüchtlinge. Um die geht es ja. Also die, die bis zum 1. Januar 2016 nicht anerkannt worden sind, auf die bezieht sich das, was da geregelt worden ist.
Das darf der Freizügigkeit nicht widersprechen, die wir im europäischen Recht auch haben. Aber richtig ist natürlich auch, wir wollen nicht, dass es Anziehungspunkte gibt und wir Sozialtransfer-Hochburgen haben. Es geht ja um die Menschen, die im Grunde genommen Sozialtransfers bekommen, nicht von eigener Arbeit leben können, dass die nicht sich aussuchen können, wo sie sind, weil wir nicht Anziehungspunkte für Sozialtransfers schaffen wollen.
Integrationsgesetz: "Wir wollen keine Sozialtransfer-Hochburgen haben"
Armbrüster: Aber genau an dieser Stelle, Herr Stegner, fragen sich doch viele Menschen: Wie wollen Sie sicherstellen, dass Hunderttausende von Flüchtlingen tatsächlich immer genau in den Regionen angesiedelt werden, in denen sie dann auch künftig als Arbeitskräfte gebraucht werden.
Stegner: Nein, so kann man das nicht steuern. Das hat alles seine Grenzen. Es soll auch neue 500.000 Ein-Euro-Jobs geben, mit Fortbildungsinstrumenten für Menschen, jedenfalls für Ungelernte insbesondere, dass die jedenfalls ein bisschen einen Einstieg bekommen in Arbeitsmöglichkeiten. Aber dass man das generell steuern könnte, ist sicher falsch.
Wir dürfen auch nicht hingehen in Gegenden, wo teilweise die Fremdenfeindlichkeit besonders hoch ist - das sind ja Regionen, wo es wenige Flüchtlinge gibt -, dass man die quasi den Rechtspopulisten überlässt. Das hat ja mit dem Thema was zu tun, über das wir gerade gesprochen haben. Das darf man nicht. Aber in gewissem Maße dafür zu sorgen, dass nicht große Metropolen im Grunde genommen die ganze Last zu tragen haben, denn das würde ja auch die Integrationsbereitschaft der Bevölkerung, ich glaube, schmälern.
Das wollen wir ja nicht, sondern wir müssen versuchen, das in einem gewissen Maße jedenfalls auszugleichen. Aber ich bleibe dabei: Das ist ein Kompromiss mit der Union. Das ist das, was jetzt möglich war. Es ist ein erster Einstieg, Integration verbindlicher zu regeln und Teilhabe versuchen, so zu regeln, dass das kein Zufall ist. Aber es ist ein schwieriger und langer Weg, das ist keine Frage.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der stellvertretende Vorsitzende der SPD, Ralf Stegner. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Stegner: Sehr gerne, Herr Armbrüster.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.