Der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten, Bernie Sanders, hat seinen Rückzug aus dem Wahlkampf angekündigt. Damit ist der frühere Vizepräsident Joe Biden nun der einzige verbliebene Bewerber für die demokratische Kandidatur und steht so als Gegenkandidat zu dem amtierenden US-Präsidenten Trump fest. Rüdiger Lentz, Direktor des Berliner Aspen-Instituts, meint, für Biden sei das nun eine Gratwanderung. Wenn er Sanders Positionen übernehme, drohe ihm, dass er sowohl moderate Republikaner als auch konservative Demokraten verliere.
Das Interview in voller Länge:
Zagatta: Herr Lentz, wenn Joe Biden etwas ausrichten will gegen Trump, dann müssten ja zumindest die Demokraten einigermaßen geschlossen hinter ihrem Kandidaten stehen. Sehen Sie diese Geschlossenheit?
Lentz: Wir haben gerade das Problem ja anschaulich geschildert bekommen. Das Problem ist: Gelingt es Biden jetzt, den linken Flügel der Demokraten herüberzuziehen, ihn mit ihm als Person und mit seiner Politik zu versöhnen, und die Frage ist nicht endgültig beantwortet, weil dieser Flügel einfach mit seinen moderaten Positionen unvereinbar ist. Biden ist ein Mann des Establishments. Biden ist ein Mann eher des konservativen demokratischen Flügels. Und Sanders hat einen Flügel verdeutlicht und auch dargestellt, der wirklich grundlegende Reformen will, was ihn ja immer in amerikanischen Augen in die Nähe eines Sozialisten gerückt hat. Nach europäischen, deutschen Vorstellungen ist das eher eine mittlere Position der Sozialdemokratie. Das genau wird und nutzt jetzt schon Trump aus, um ihn dann als jemand darzustellen, der vom linken Flügel gesteuert wird.
Für ihn ist das eine Gratwanderung, für Biden, weil wenn er sich mit den Linken aussöhnt und versucht, ihre Positionen auch nur teilweise zu übernehmen, dann droht ihm, dass er moderate Republikaner und auch konservative Demokraten verliert und moderate Republikaner nicht in das demokratische Lager herüberziehen kann. Also eine Gratwanderung, die noch nicht entschieden ist.
Verlauf der Coronakrise und Wirtschaftsdaten prägen den Wahlkampf
Zagatta: Das dürfte schon schwierig werden. – Dass Sanders sich jetzt nicht ganz zurückzieht – bei weiteren Vorwahlen will er ja auf dem Stimmzettel bleiben -, ist das auch schon ein Störungsmanöver gegen Biden?
Lentz: Aber natürlich! Auf dem Wahlparteitag, der jetzt auf den August verschoben worden ist, geht es natürlich darum: Wer hat wie viele Stimmen bekommen in den Vorwahlkämpfen. Und wenn Sanders noch Stimmen hinzugewinnt, hat er natürlich ein starkes Argument, die Parteiplattform dann auch inhaltlich zu beeinflussen, und ich denke, seine Anhänger werden auch Wert darauf legen, dass das dann auch passiert.
Zagatta: Das klingt ja ziemlich pessimistisch, was Sie da sagen, für die Demokraten. Donald Trump, der nennt Biden ja jetzt schon "Sleepy Joe". Kann denn der verschlafene Joe zu Trumps Albtraum werden? Nach dem, was Sie uns sagen, wohl eher nicht?
Lentz: Das hängt jetzt eigentlich ausschließlich von dem Verlauf der Corona-Krise und den Wirtschaftsdaten ab, denn natürlich kann der Präsident im Moment nicht damit trumpfen, was die Republikaner zum Hauptthema des Wahlkampfes machen wollten: wirtschaftliche Erfolge, die geringste Arbeitslosenquote seit 50 Jahren etc. etc. Das alles hat sich jetzt geändert. Deshalb versucht sich Trump jetzt als Manager darzustellen und hat aus Sicht von Europäern und von uns erstaunlicherweise damit durchaus Erfolg. Er etabliert sich jeden Tag als Manager, als Commander-in-Chief, der das Militär einsetzt, der schaltet und waltet, wie es ihm gefällt. Und Joe Biden, der in seinem Haus in Delaware im Untergeschoss sitzt, neben einer amerikanischen Flagge und von dort aus versucht, Wahlkampf zu machen, muss demgegenüber quasi als eine sehr blasse Figur erscheinen. Von daher werden die Wirtschaftsdaten im August, September, Oktober entscheidend dafür sein und möglicherweise auch das Missmanagement von Trump in der Corona-Krise, die dann den Ausschlag geben können. Insofern sind Spekulationen heute sehr, sehr schwierig.
Die Liebe der Amerikaner zum starken Mann
Zagatta: Nach diesem Missmanagement wollte ich Sie gerade fragen. Präsident Trump wird ja vorgeworfen, in der Corona-Krise mit der Verharmlosung zunächst voll danebengelegen zu haben, voll versagt zu haben, und dennoch steht er bei Umfragen jetzt bei Zustimmungswerten, wenn diese Umfragen stimmen, von um die 50 Prozent. Wie ist das zu erklären?
Lentz: Es ist die Liebe der Amerikaner zum Strong Man, zum starken Mann an der Spitze, die ihn ja schon einmal ins Amt gespült hat und die ihn bis heute da hält. Trotz vieler, wie man ja weiß, Lügen, Beleidigungen etc. hält immer noch eine radikale Minderheit plus eines gewissen Anteils einer schweigenden Mehrheit an ihm offensichtlich beständig fest. Hier müsste schon noch einiges passieren.
Hier spielen möglicherweise in Zukunft die Gouverneure und die Bürgermeister von Gemeinden, die von Corona betroffen sind, eine entscheidende Rolle in den nächsten Monaten, denn sie werden möglicherweise, wie jetzt schon Cuomo, Anklagen an die Zentralregierung und an die Person Trumps richten und sagen, hier ist viel falsch gelaufen, wir sind der Beweis dafür, wir klagen an. Das kann kommen und Trump schaden.
Harter Schlagabtausch steht bevor
Zagatta: Wenn Sie sagen, die Liebe der Amerikaner zum starken Mann – wie ist es denn um die Liebe zu Biden bestellt? Diese Ukraine-Geschichte, dass sein Sohn da einen gut dotierten Posten bekommen hat, diese Vermischung von Politik und Geschäft, die ja nach Korruption riecht – schadet ihm das, oder spielt das keine große Rolle, weil Trump ja auch Politik und Geschäft vermischt?
Lentz: Interessanterweise hat es in der Vergangenheit schon eine Rolle gespielt – vielleicht nicht so entscheidend, wie manche gedacht haben. Das wird sicherlich wieder hervorgeholt werden im aktuellen Wahlkampf. Es wird sicherlich eines der Themen sein, die bei der bevorstehenden oder geplanten Fernsehdebatte zwischen Trump und Biden mit Sicherheit aus der Versenkung geholt werden. Das trifft auch die Frage der immer wieder vermuteten Altersdemenz bei Biden, der ja hin und wieder nicht weiß, wo er sich befindet, Namen verwechselt, seine Frau mit seiner Schwester verwechselt. Das alles sind noch Schwachpunkte bei Biden, die mit Sicherheit von Trump, der es ja immer verstanden hat, die Schwachstellen seiner Gegner brutalst auszunutzen, das alles wird noch hervorgeholt und hervorgezogen werden, und da wird man sich auf noch einen harten Schlagabtausch und sehr schmutzigen Endwahlkampf gefasst machen müssen.
"Wahlkampf wird voller Überraschungen sein"
Zagatta: Da hat Trump ja auch schon angekündigt, dass er Biden vernichten wolle in diesem Wahlkampf. Wird das ein ganz, ganz schmutziger Wahlkampf, oder ist so was ohnehin mit Trump zu erwarten? Diesen Ton kennt man ja von ihm.
Lentz: Die Frage ist, ob es noch sehr viel schmutziger werden kann als das, was wir in den vergangenen drei Jahren ja schon an Attacken auf seine politischen Gegner innerhalb der USA, aber auch in der ganzen Welt gehört und gelernt haben oder haben lernen müssen. Insofern glaube ich: Ja, das wird der schmutzigste Wahlkampf, den man sich vorstellen kann. Er wird voller Überraschungen möglicherweise sein. Und ob Biden seine große Karte, nämlich moderat zu sein, Charakter zu haben, Würde zu haben, der Versuch, Amerika Würde wieder zurückzugeben, bei der Wählerschaft dann in einer solchen Krise tatsächlich wahlentscheidend, positiv für Biden werden wird, das genau ist die Frage, die heute niemand beantworten kann, von der man nur hoffen kann, dass diese Vorzüge von Biden dann letztlich auch Rechnung tragen werden.
Zagatta: Herr Lentz, in Deutschland heißt es ja bei fast jeder Stellenausschreibung im öffentlichen Bereich, bei gleicher Qualifikation sind Frauen zu bevorzugen. In den USA wird das jetzt wie selbstverständlich ein Zweikampf von zwei Männern, die auch noch beide über 70 sind. Spielt das dort keine Rolle?
Lentz: Es wird eine ganz erhebliche Rolle spielen und das ist eine Karte, die Biden ausspielen wird und auch ausspielen muss. Er wird sich als Running Mate eine Frau nehmen müssen. Er hat das auch schon quasi öffentlich zugesagt. Hier gibt es natürlich auch Druck auf ihn, der ausgeübt wird – unter anderem vom Black Caucus, der Vereinigung Schwarzer Abgeordneter im US-Kongress, die sagen, und eigentlich müsste dieses eine farbige Person sein. Und dann ist natürlich immer wieder von Kamala Harris die Rede. Sie hat nur einen großen Nachteil: Sie kommt als Senatorin aus Kalifornien und das würde bedeuten, dass auf dem demokratischen Ticket die Ost- und die Westküste vertreten sind, aber nicht das Kernland, in dem Trump gepunktet hat und hofft, auch wieder punkten zu können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.