Ann-Kathrin Büüsker: 66,5 Prozent - am Ende war das Ergebnis für François Fillon deutlich. Er tritt als Spitzenkandidat für die konservativen Republikaner in Frankreich an. Das haben die Franzosen gestern in der Stichwahl entschieden. Als Fillon vor einer Woche bereits als Spitzenreiter aus der ersten Runde der Wahlen hervorgegangen war, da waren zumindest wir hier in Deutschland ein bisschen überrascht. Immerhin hatte er ja Nicolas Sarkozy aus dem Rennen geworfen. Fillon ist jetzt Spitzenkandidat. Aber hat er tatsächlich auch das Zeug zum Präsidenten?
Über die Wahl Fillons und seine Chancen möchte ich nun mit Claire Demesmay sprechen. Sie arbeitet für Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist dort Programmleiterin für den Bereich Frankreich. Guten Tag!
Claire Demesmay: Guten Tag.
Büüsker: Wie sehr hat es Sie überrascht, dass die Wählerinnen und Wähler sich tatsächlich für Fillon entschieden haben?
Demesmay: Ich war vor allem letzte Woche am Sonntag überrascht, denn keiner hatte damit gerechnet, dass Fillon ein so gutes Ergebnis bekommen würde und so schnell auch Nicolas Sarkozy aus dem Rennen bringen würde. Das war in der Tat die große Überraschung.
Büüsker: Wie erklären Sie sich das denn?
Demesmay: Ich glaube, es hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass Fillon für feste Überzeugungen steht mit einem klaren Diskurs über die Wahrheit. Er will den Franzosen die Wahrheit sagen und ich denke, dass das ein Diskurs ist, der in einem Teil der konservativen Wählerschaft sehr gut ankommt. Viele haben das Gefühl, dass in Frankreich nichts passiert, dass die Reformen nicht vorankommen, und wenn er sagt, er will klar und streng reformieren, dann ist das etwas, was überzeugt. Und dann muss man auch sehen, dass er im Vorwahlkampf nicht so präsent war. Er war da, er hat seine Positionen verteidigt, aber alle hatten erwartet, dass das ein Duell zwischen Alain Juppé und Nicolas Sarkozy ist, und die beiden haben sich gegenseitig angegriffen und sie haben sich gegenseitig auch vernichtet, politisch vernichtet, könnte man so sagen, und der große Gewinner war dann François Fillon.
Büüsker: Das heißt, er hatte so was wie einen Außenseiterbonus?
Demesmay: Ja, ich glaube schon, und das ist auch paradox, weil er war immerhin fünf Jahre lang Premierminister unter Sarkozy und trotzdem wird er als frischer Kandidat gesehen, der nicht unbedingt dem politischen System angehört. Und das ist interessant, weil in Wirklichkeit ist er in diesem System seit nicht nur Jahren, seit Jahrzehnten. Er war nicht nur Premierminister, er war auch Minister, und trotzdem schafft er das, dieses Image von ihm so zu vermitteln.
"Hohe Enthaltung im Fall einer Stichwahl Le Pen/Fillon"
Büüsker: Welche Chancen hat er, dann tatsächlich Präsident von Frankreich zu werden? Was denken Sie?
Demesmay: Man muss, das wissen wir jetzt alle, sehr vorsichtig mit Umfragen umgehen. Aber ich denke trotzdem, dass er sehr hohe Chancen hat, der nächste Präsident Frankreichs zu werden. Umfragen sagen jetzt, dass er gegen Marine Le Pen in der Stichwahl der Einzige wäre, der wirklich gute Chancen hätte, Marine Le Pen zu schlagen. Ich wäre da trotzdem auch vorsichtig. Es wird für ihn nicht ganz leicht sein. Er hat gute Chancen, aber trotzdem ist es nicht ganz leicht, denn er ist für linke Wähler schwer wählbar. Er hat ein Programm, in der Wirtschaftspolitik sehr liberale Forderungen für französische Verhältnisse. Er vertritt auch sehr, sehr konservative Werte bei gesellschaftlichen Fragen. Und auch sein Diskurs über Patriotismus und sein Diskurs über Außenpolitik, wie die Bündnisse mit Russland, das sind Sachen, die für Sozialisten schwierig sind. Das heißt, ich erwarte im Fall einer Stichwahl Le Pen/Fillon eine sehr hohe Enthaltung.
Büüsker: Dann lassen Sie uns auf die einzelnen Punkte, die Sie gerade angesprochen haben, Wirtschafts- und Außenpolitik, gleich noch mal genauer zu sprechen kommen. Sie haben jetzt gesagt, für linke Wähler ist er schwer wählbar. Bedeutet das im Umkehrschluss, für rechte Wähler ist er der ideale Kandidat?
Demesmay: Ja das ist in der Tat die Frage. Wir haben jetzt von der Stichwahl gesprochen. Aber es sind zwei Wahlgänge bei der Präsidentschaftswahl. Bei dem ersten Wahlgang kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Wähler, die bis jetzt sich eher für den Front National interessiert haben, sich dann im Endeffekt für Fillon, für die Republikaner entscheiden, weil es gibt viele Überschneidungen zwischen dem Programm von Fillon. Das Programm wird sich natürlich noch ändern, weil er möchte auch andere Wähler erreichen. Aber zwischen dem Programm, wie es jetzt ist, und dem Programm von Marine Le Pen gibt es Überschneidungen. Und für Wähler, die das Programm von Le Pen gut finden, aber zum Beispiel gegen einen Austritt aus der Eurozone sind, dann ist Fillon eine echte Alternative. Ich würde sagen, wenn er das so weiter macht, könnte es sogar sein, dass er noch bessere Ergebnisse dank Front National Wähler bekommt. Ich glaube, Marine Le Pen ist eigentlich die große Verliererin bei der Vorwahl von den Republikanern.
Büüsker: Spannende Perspektive. - Fillon, der möchte ja, wenn wir auf die außenpolitischen Programmpunkte gucken, die Sanktionen gegen Russland aufheben und die Annexion der Krim anerkennen.
Demesmay: Ja.
"Bekämpfung des islamistischen Terrorismus ist große Priorität"
Büüsker: Was würde das für einen europäischen Kurs Frankreichs bedeuten?
Demesmay: Ja, das ist eine interessante Frage. Bis jetzt ist das alles nur Theorie und niemand weiß wirklich, was das bedeuten würde, wenn er tatsächlich an die Macht kommen würde oder kommen wird. Man muss sehen. Die große Priorität von Fillon ist die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, und das hat er auch in seinem Buch geschrieben mit dem Titel "Vaincre le totalitarisme islamique", den islamischen Totalitarismus besiegen. Er hat dieses Buch kurz nach den Anschlägen in Nizza im Sommer geschrieben. Sein Programm in der Außenpolitik richtet sich nach dieser Priorität. Das ist seine absolute Priorität. Da will er Koalitionen bilden, insbesondere mit Russland, auch mit dem Iran, mit der Türkei, um den Krieg in Syrien zu beenden und um - und das ist auch ganz wichtig für ihn - verfolgte Christen im Orient zu schützen und sogar zu retten. Er spricht eigentlich nicht so viel von der Ukraine. Er möchte einen milden Kurs in der Russland-Politik haben, um mit Russland in Syrien zusammenzuarbeiten. Das ist wirklich sein Fokus, Syrien und Terrorismus, und man muss auch sehen, dass das Themen sind, die in Frankreich eine sehr wichtige Rolle spielen, insbesondere seit den Anschlägen.
Büüsker: Wenn er sich so positioniert, könnte er als Präsident von Frankreich mit Blick auf eine europäische Ausrichtung innerhalb der EU aber schwierig werden, gerade wenn ich mir ihn vorstelle in Verhandlungen mit Angela Merkel. Das birgt doch ein gewisses Konfliktpotenzial oder?
Demesmay: Ja, auf jeden Fall. Ich finde in der Tat, dass insbesondere bei diesem Thema ein Knackpunkt, ein Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich sehr schnell sein könnte. Man sieht in erster Linie in Deutschland, so ist meine Wahrnehmung, insbesondere die Reformen oder die Reformversprechen und man erhofft sich auch viel von einem Präsidenten Fillon, weil man denkt, er würde endlich mal die Strukturreformen durchführen, die man hier in Deutschland für notwendig hält. Aber man muss auch diesen Punkt sehen: Was passiert in der Außenpolitik? Was passiert auch mit dem europapolitischen Ansatz? Fillon hat immer gesagt, dass er für ein Europa der Nationen ist. Er möchte, dass Frankreich ein souveränes Land bleibt. Das sind alles Ideen, das sind alles Stichpunkte, die für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit schwierig werden könnten.
Büüsker: … sagt Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Wir haben über den Spitzenkandidaten der Konservativen gesprochen, François Fillon. Vielen Dank, Frau Demesmay, für das Gespräch heute hier im Deutschlandfunk.
Demesmay: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.