Die Stimmung in Buenos Aires ist unaufgeregt. Zwar hängen in der ganzen Stadt Plakate mit den Konterfeis der Kandidaten, aber sonst weist wenig darauf hin, dass in Argentinien morgen ein neuer Präsident gewählt wird. Ein Passant im Rentenalter:
"Ich wage noch nicht zu sagen, wer der nächste Präsident wird. Auf jeden Fall muss er einiges anders machen, denn seit vier Jahren tritt Argentinien wirtschaftlich auf der Stelle. Und der überhebliche, autoritäre Regierungsstil unserer jetzigen Präsidentin gefällt mir nicht."
Cristina Kirchner darf nach acht Jahren im Amt nicht mehr antreten. Ihr Bündnis Front für den Sieg, eine linke Gruppierung innerhalb des Peronismus', schickt Daniel Scioli ins Rennen um die Präsidentschaft. Der 58-Jährige ist Gouverneur der großen Provinz Buenos Aires, wo ein Fünftel aller Argentinier lebt, war früher ein bekannter Motorbootrennfahrer und verlor bei einem Unfall seinen rechten Arm. Seit 1997 hält sich Scioli erfolgreich in der Politik über Wasser und hat sich dabei als ehrgeizig, anpassungsfähig, ideologisch flexibel und zäh erwiesen. Jetzt will er aus dem Schatten Kirchners heraustreten, die ihn nominierte, weil er den Umfragen nach die besten Siegchancen hat. Sergio Berensztein, politischer Analyst:
"Daniel Scioli gehört nicht zum engsten Machtzirkel von Cristina Kirchner. Er wollte eigentlich neben den Kirchner-Anhängern eine Wählergruppe ansprechen, die zur politischen Mitte tendiert. Aber dazu hätte er im Wahlkampf mehr Unabhängigkeit, mehr Distanz zur Präsidentin demonstrieren müssen. Das hat er nicht getan. Und deshalb stagniert er wohl in den Umfragen."
Scioli könnte im ersten Wahlgang scheitern
Zwar liegt Scioli deutlich vor dem Mitte-Rechts-Kandidaten Mauricio Macri, aber es ist alles andere als sicher, ob er im ersten Wahlgang gewinnen kann. Dazu müsste er die 40-Prozent-Hürde überschreiten und einen Vorsprung von mindestens zehn Prozentpunkten erreichen. Wie stark er sich von seiner bisherigen politischen Chefin emanzipieren würde, sollte er Präsident werden, da bleibt Daniel Scioli bisher eher vage.
"Es gilt beizubehalten, was beibehalten werden muss, und zu ändern, was geändert werden muss", sagt er gerne. Konkrete Ankündigungen hört man eher selten von Scioli. Und dem TV-Duell mit den anderen Präsidentschaftsbewerbern blieb er einfach fern. Herausforderer Macri, bislang Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, kann mit knapp 30 Prozent der Stimmen rechnen. Das Anti-Kirchner-Wählerpotenzial teilt er sich im Wesentlichen mit dem Drittplatzierten Sergio Massa, einem unabhängigen Peronisten, der in den Umfragen bei etwa 20 Prozent liegt. Beide haben angekündigt, die seit Jahren schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Mauricio Macri:
"Wir werden Argentinien voranbringen, indem wir den ehrgeizigsten Infrastrukturplan unserer Geschichte auflegen, der unserer Wirtschaft in allen Regionen Auftrieb verleihen wird. Wir werden die Inflation auf eine einstellige Rate senken und die verbreitete Schwarzarbeit bekämpfen. Und wir wollen die Einstellung junger Leute fördern, indem wir ihren ersten Job für fünf Jahre steuerfrei stellen."
Im Wahlkampf ähnelten sich die Themen der drei chancenreichsten Kandidaten für das argentinische Präsidentenamt. Sie alle versprachen, die ökonomischen Probleme anzugehen, die Armut zu verringern, Kriminalität und Drogenhandel zu bekämpfen. Analyst Berensztein:
"Die vielen Ähnlichkeiten machen Hoffnung. Falls Scioli Präsident wird, könnte er, anders als seine Vorgängerin Kirchner, den Konsens mit anderen politischen Kräften suchen – vor allem, um die komplexe wirtschaftliche Situation zu bewältigen."
Inflation von fast 30 Prozent
Nicht nur die Inflation von fast 30 Prozent ist eines der drängendsten Probleme. Auch die von der Regierung verfügte Deckelung der Devisenkäufe der Argentinier gehört dazu. Und das stark gewachsene Steuerdefizit. Den sinkenden Staatseinnahmen stehen riesige öffentliche Ausgaben gegenüber, die vor allem in Sozialprogramme fließen. Mario Wainfeld, Kolumnist der regierungsnahen Zeitung "Página Doce":
"Die Kirchner-Regierung investiert viel Geld in die soziale Unterstützung für die Armen. Sie hat auch die Renten erhöht und die Zahl der Rentenempfänger erheblich ausgeweitet. Sie hat ein Kindergeld eingeführt – all das bedeutet hohe Ausgaben. Im Kontext einer geschwächten Wirtschaft ist das ein Problem, aber ich bin überzeugt, dass die Hilfen für die sozial Schwachen aufrechterhalten werden müssen."
"Mir wäre wichtig, dass die hohe Kriminalität verringert wird und nicht mehr an jeder Ecke Drogen verkauft werden. Und dass sich unsere Gesundheitsversorgung und Bildung verbessern. Es fehlen staatliche Krankenhäuser, es fehlen Ärzte. Und auch unsere öffentlichen Schulen sind ein Desaster."
Für diese desillusionierte Hausangestellte aus der Provinz Buenos Aires steht fest: Den bisherigen Gouverneur Daniel Scioli wird sie nicht zum Präsidenten wählen. Noch hat die Argentinierin nicht entschieden, wem sie es zutraut, die gravierenden Probleme in ihrem Lebensumfeld zu lösen.