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Präsidentschaftswahl in Belarus
"Bevölkerung will Recht auf freie Meinungsäußerung"

Auch wenn die Wahl in Belarus nicht zu einem Wechsel an der Spitze des Landes führen werde, habe sie im Vorfeld viel Neues gebracht, sagte Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne im Dlf. Es gebe eine starke Bürgerbewegung im Land, die sich das Recht auf faire Wahlen und freie Meinungsäußerung erkämpfen wolle.

Marieluise Beck im Gespräch mit Stephanie Rohne |
Zahlreiche Menschen leuchten mit ihren Handys während einer Wahlkampfveranstaltung von Präsidentschaftskandidatin Svetlana Tikhanovskaya.
Unterstützer der Oppositionskandidatin Svetlana Tikhanovskaya während einer Wahlkampfveranstaltung (imago / TASS / Natalia Fedosenko)
Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Belarus hat sich Amtsinhaber Alexander Lukaschenko siegessicher gezeigt. Lukaschenko regiert Belarus, das auch als Weißrussland bekannt ist, seit 26 Jahren autokratisch. Er will am Sonntag (09.08.2020) für eine sechste Amtszeit gewählt werden. Zuvor hatten die Behörden des Landes eine für Donnerstag (06.08.2020) geplante Großkundgebung gegen den Staatschef kurzfristig abgesagt. Trotzdem kamen in Minsk etwa 5.000 Menschen zusammen, um die Oppositionskandidatin Tichanowskaja zu unterstützen.
Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne sagte im Dlf, dass die Menschen in Belarus keine Angst mehr hätten, ihren Wunsch nach freien Wahlen zu zeigen und ihre Unterstützung für Tichanowskaja offen zu zeigen. Die Wahl habe im Vorfeld eine breite Bürgerbewegung in Gang gesetzt - und das nicht nur in der Hauptstadt Minsk.
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Drei Kandidatinnen werben für ein neues Belarus, gegen Dauer-Amtsinhaber Lukaschenko. Sie sind die Antwort darauf, dass drei oppositionelle Männer nicht kandidieren durften. Zu ihren Wahlkampfauftritten kommen Tausende. Reicht das für den Machtwechsel?
Lukaschenko hat immer weniger Unterstützung
Dafür gebe es drei Gründe. Zum einen sei der Ehemann der Oppositionskandidatin Tichanowskaja ein sehr bekannter und volksnaher Blogger. "Er hat die breite Bevölkerung angesprochen." Auch der Umgang Lukaschenkos mit der Coronakrise habe im Land für viel Unmut gesorgt und die Bürgerinnen und Bürger zur Selbstorganisation gezwungen. Zuletzt führe auch die katastrophale wirtschaftliche Situation zu viel Unmut.
Man wolle jedoch keinen "zweiten Maidan" wie in der Ukraine provozieren. Man strebe nicht gen Westen, sondern kämpfe für das Recht auf freie Meinungsäußerung und faire Wahlen, so Beck. Die Wahl in Belarus findet ohne Beobachter der OSZE statt. Beck glaubt, dass Lukaschenko dafür sorgen werde, dass das Ergebnis "nach außen so aussieht, wie er es sich wünscht". Die Wahllokale seien eine ganze Woche geöffnet.
Das Interview im Wortlaut:
Rohde: Lange galt ja mit Blick auf Wahlen in Weißrussland: im Osten nichts Neues. Kann diese Wahl etwas Neues bringen?
Beck: Sie bringt vor allen Dingen im Vorfeld etwas Neues, diese breite Bewegung, die man wirklich als Bürgerbewegung bezeichnen kann, und zwar nicht nur in Minsk, sondern tatsächlich auch in der Fläche, in der Region, und ganz offensichtlich Menschen, die nicht mehr so viel Angst haben, sehr deutlich zu zeigen, dass sie das Recht auf freie Wahlen haben möchten.
Menschen wollen faire Wahlen
Rohde: Die Strategie des autoritären Staatschefs Lukaschenko war ja über Jahrzehnte eigentlich, Menschen entpolitisieren, die Opposition zu spalten, viele auch festzunehmen. Wie erklären Sie sich das denn, dass genau jetzt die Opposition so sichtbar ist und so viele Menschen politisiert?
Beck: Es gibt verschiedene Gründe. Zunächst einmal ist der Ehemann von der nun anstehenden Kandidatin Swetlana Tichanowskaja, dieser Mann ist Blogger, er ist sehr volksnah, sehr hemdsärmlich, und er hat tatsächlich die breite Bevölkerung angesprochen. Er ist auch über Land gereist. Er hat eigentlich das Klientel angesprochen, was sonst immer ganz verlässlich ist, Lukaschenko-Klientel war. Das ist ein Grund. Das Zweite ist, dass die Art, wie Lukaschenko mit Covid umgegangen ist, so offensichtlich irrsinnig war, dass die Menschen es gemerkt haben und zur Selbsthilfe gegriffen haben. Also die haben verstanden, dass die Vorschläge, Vodka zu trinken, in die Sauna zu gehen und Trecker zu fahren gegen eine Pandemie nicht hilft, und sie haben angefangen, sich selbst zu organisieren. Es gab einen Hashtag "wir bleiben zu Hause", also im Internet, einen zweiten, der hieß "BHelp", steht für BH, Belarus. Also es hat eine Selbstorganisation stattgefunden jenseits des patriarchalen Staates. Das ist tatsächlich etwas, hat eine neue Qualität in Weißrussland, wobei wir das immer ein Stück in den letzten Jahren auch schon beobachtet haben im vorpolitischen Raum, bei Kultur, Kunstschaffenden, Literatur. Also man konnte spüren, dass es durchaus Bewegung gibt. Der dritte Punkt ist die katastrophale wirtschaftliche Situation. Es ist ja fast noch eine weitgehende Staatswirtschaft, die ist antiquiert, sklerotisch würde ich sagen, erinnert ein bisschen an die DDR zu Honeckers Zeiten, und abhängig von Subventionen aus Russland. Russland hat angefangen, Lukaschenko unter Druck zu setzen, weil die Belarus in einen Unionsstaat zwingen wollten. Alle diese drei Faktoren zusammengenommen haben in der Bevölkerung jetzt nicht zu dem Wunsch geführt, so wie man in der Ukraine sagen konnte, wir wollen einen Maidan, wir wollen nach Europa, also wir wollen gen Westen, aber wir wollen das Recht auf freie Meinungsäußerung, und wir wollen faire Wahlen.
Drei Frauen im Wahlkampf: "Eine neue Qualität"
Rohde: Es gibt ja keine Umfragen. Die Oppositionskandidatin, die ist, muss man sagen, politisch unerfahren, tritt nur an – das haben Sie eben schon gesagt –, weil ihr Mann im Gefängnis sitzt. Muss ein erfahrener Staatschef, ein langjähriger Staatschef wie Lukaschenko sich tatsächlich vor so einer Kandidatin jetzt fürchten?
Beck: Ja, er muss genau vor so einer Kandidatin sich fürchten. Es ist ja auch nicht nur eine Frau, es sind ja drei Frauen, zwei Frauen, deren … Einmal ist es die Wahlkampfmanagerin eines durchaus systemnahen Mannes, der Manager von Gazprom gewesen ist. Die zweite Frau, deren Mann war Diplomat, ist jetzt nach Russland gegangen, um sich dort mit den Kindern in Sicherheit zu bringen, und Swetlana Tichanowskaja, deren Mann auch verhaftet ist. Diese drei Frauen treten zusammen auf, auch eine neue Qualität. Es war in den letzten Wahlen nie möglich, die verschiedenen Parteien wirklich dazu zu bringen, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Sie alle sind selber angetreten und haben sich selbst gespalten. Also jetzt diese drei Frauen, die wirken sehr authentisch, sie wirken ehrlich, sie haben überhaupt nichts zu tun mit einem Mann, der seit 26 Jahren an der Macht festhält und immer antiquierter und aus der Zeit gefallen wirkt. Das ist eine ganz neue Qualität. Das hat Lukaschenko unterschätzt, als er dachte, na ja, die Frau, die lass ich mal zur Wahl zu, alle anderen, die mir gefährlich werden könnten, die setze ich eher in Haft.
Rohde: Lassen Sie uns schauen – Sie haben das eben auch erwähnt – auf die Frage nach der Nähe und der Distanz zu Russland in diesem Wahlkampf, aber auch generell. Lukaschenkos Strategie war ja, vor Putschversuchen in den Land zu warnen, vor einem Massaker mitten in Minks, wie er es genannt hat, und er hat das auch in Zusammenhang gebracht mit der Festnahme von 33 russischen Söldnern in der vorigen Woche in Belarus. Was genau steckt dahinter?
Beck: Das ist bisher relativ undurchsichtig. Es handelt sich um Mitglieder der Gruppe Wagner. Das ist eine Söldnertruppe aus Russland, die überall dort ihre Finger drin hat, wo es Krieg und Mord gibt, sowohl bei der Krim als auch im Donbas, in Afrika und vor allen Dingen in Syrien. Es gibt verschiedene Thesen. Es sind tatsächlich 33 Männer dieser Gruppe Wagner in Minsk gewesen. Es kann sein, dass es eine ganz einfache Erklärung gibt. Aus Moskau gehen ja seit dem Lockdown fast keine Flugzeuge mehr raus, und Minsk kann als Drehscheibe genutzt worden sein. Das, was Lukaschenko versucht, herbeizureden, da sollte es einen Putsch geben, und ich schütze euch vor einer Übernahme durch Moskau, halte ich nicht für plausibel, denn Putin muss nicht Lukaschenko wegputschen. Er hat Lukaschenko doch weitgehend in der Hand, allein schon über die ökonomische Macht, und insofern würde ich das eher für eine Finte halten. Lukaschenko bemüht diese Idee, besucht ja auch den Sicherheitsapparat im Augenblick, um zu zeigen, ich schütze euch, ich bin euer starker Mann.
Lukaschenko wird für Wunschergebnis sorgen
Rohde: Frau Beck, noch kurz eine Frage mit Bitte um eine kurze Antwort: Die Wahl findet ja erstmals ohne Beobachter der OSZE statt, die Opposition befürchtet jetzt schon Wahlbetrug. Stimmt Stalins Spruch weiterhin, dass es in Belarus nicht darauf ankommt, wer wählt, sondern wer die Stimmen auszählt?
Beck: Aber hallo! Die Wahllokale sind eine Woche offen. Können Sie sich das vorstellen, dass eine Woche Urnen in Schulen und sonst wo stehen unbewacht, was man da alles treiben kann? Eine Woche sind die Urnen offen, und insofern wird Herr Lukaschenko dafür sorgen, dass das Ergebnis nach außen so aussieht, wie er es sich wünscht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.