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Präsidentschaftswahl in der Türkei
Der kurdische Herausforderer Erdogans

In der Türkei wird ein neuer Präsident gewählt. Nachfolger von Adullah Gül will der derzeitige Regierungschef Recep Tayyip Erdogan werden. Echte Konkurrenten gibt es wohl nicht. Aber allein schon die Kandidatur von Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen Partei HDP ist eine Überraschung.

Von Gunnar Köhne |
    Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), spricht vor der Präsidentenwahl auf einer Kundgebung in Istanbul. SEDAT SUNA
    Gestern Nachmittag im Istanbuler Macka-Park. Mehrere hundert Frauen haben sich um eine Bühne herum versammelt, die Stimmung ist ausgelassen, es wird getanzt. Auf Halstüchern und Transparenten dominieren die Farben lila - für die Frauenbewegung - und rot-gelb-grün für die kurdische Freiheitsbewegung. Türkische und kurdische Frauengruppen sind zusammen gekommen, um den Präsidentschaftskandidaten des "demokratischen Wandels" zu begrüßen: Selahattin Demirtas.
    Fast schüchtern tritt der 41jährige auf die Bühne, weisses Hemd, sorgsam gescheiteltes schwarzes Haar. Demirtas erinnert das Publikum daran, dass unter der AKP-Regierung die Gewalt gegen Frauen drastisch zugenommen habe und das Frauenbild Erdogans bloß aus Kindern und Küche bestehe. Und dann macht Demirtas klar, dass er sich auch unter den Frauen des Landes als der Kandidat derjenigen sieht, die sich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt fühlen.
    "Ob Alevitinnen, Kurdinnen, Frauen mit oder ohne Kopftuch, Armenierinnen, kritische Akademikerinnen, Arbeiterinnen, Hausfrauen, Homosexuelle - wir alle sollten am 10. August zusammenstehen!"
    Lange Zeit sah sich Demirtas eher als Regionalpolitiker. Seine Partei BDP erzielte ausschließlich in den Kurdengebieten Erfolge. Aber nach den Istanbuler Gezi-Protesten beschloss die Parteiführung, sich auch linken und liberalen Türken zu öffnen. Der Parteiname wurde in Demokratische Partei der Völker - kurz: HDP - geändert und seitdem kämpft Demirtas unermüdlich auch im Westen des Landes um Stimmen. Seit sich die beiden anderen Oppositionsparteien auf den weitgehend unbekannten konservativen Professor Ekmelledin Ihsanoglu als Präsidentschaftskandidaten geeinigt haben, bekennen sich immer mehr Türken zu dem kurdischen Kandidaten Demirtas. Eine türkische Besucherin der Wahlveranstaltung ist begeistert:
    "Es gibt nun mal eine kurdische Realität in diesem Land, das haben auch die letzten Türken anerkannt. Das sollte keine Rolle mehr spielen. Entscheidend ist das der nächste Präsident aufrichtig ist, dem Volk nahe steht und die demokratischen Werte verteidigt."
    Sympathie für PKK-Führer Abdullah Öcalan
    Geboren und aufgewachsen ist Demirtas in der kurdischen Stadt Diyarbakir. In der Hauptstadt Ankara studierte er Jura und arbeitet danach in Diyarbakir als Menschenrechtsanwalt. Weil er sich für die Opfer von Folter und willkürlicher Haft einsetzte, landete er selbst dutzende Male vor dem Kadi. 2007 wurde er erstmals für die Kurdenpartei BDP ins Parlament in Ankara gewählt und übernahm bald darauf die Parteiführung.
    Aus seiner Sympathie für den inhaftierten Anführer der kurdischen Untergrundorganisation PKK, Abdullah Öcalan, hat Demirtas nie einen Hehl gemacht. Regelmäßig besucht er Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali. An den geheimen Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK hatte Demirtas vermutlich seinen Anteil. Seit nunmehr einem Jahr schweigen die Waffen im Südosten des Landes, und die PKK zieht ihre Kämpfer zurück. Im Gegenzug hat die Regierung eine Teilamnestie für PKK-Kämpfer erlassen. Doch die Kurden hoffen auf mehr Zugeständnisse, nicht zuletzt wollen sie die Freilassung Öcalans. Doch das hindert Demirtas nicht, Ministerpräsident Erdogan immer wieder scharf anzugreifen:
    "Die ISIS-Kämpfer im Irak, die türkische Staatsbürger entführen, die nennt Erdogan nicht Terroristen. Aber den 15jährigen Berkin Elvan, der während der Gezi-Proteste von der Polizei tödlich verletzt wurde, den nennt er einen Terroristen!"
    Bis zu zehn Prozent der Stimmen werden Demirtas im ersten Wahlgang vorhergesagt - wahrscheinlich nicht genug, um Erdogan gemeinsam mit dem anderen Gegenkandidaten in eine Stichwahl zwingen. Dennoch: Noch vor wenigen Jahren wäre es in der Türkei undenkbar gewesen, dass sich ein bekennender Kurde um das höchste Staatsamt bewirbt.