Die Unterstützung für Marine Le Pen sei groß, so Grosser. Ihre Politik richte sich gegen die Pariser Eliten und finde vor allem Anhänger bei Arbeitern und Angestellten. Gute Chancen habe auch Emmanuelle Macron mit seiner neu gegründeten Partei "En Marche!", der auch Grossers persönlicher Favorit ist. Macron mache eine Politik zugunsten von sozial Benachteiligten. Zudem seien seine Vorschläge zur Erziehungspolitik "genau das Gegenteil von Eliten".
Der Kandidat der Konservativen, François Fillon, habe vor allem wegen der aktuellen Vorwürfe gegen ihn keine großen Chancen auf das Präsidentenamt, glaubt Grosser. Fillon soll seine Frau Penelope jahrelang auf Staatskosten beschäftigt haben - ohne dass sie dafür gearbeitet hat. Mittlerweile untersucht die Staatsanwaltschaft auch Zahlungen an seine Kinder. Der Kandidat der Sozialisten, Benoît Hamon, sei zu "utopisch links", um zu gewinnen, so Grosser.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Jasper Barenberg: Marine Le Pen als französische Präsidentin, das galt bisher als undenkbar, als unmöglich. Doch die Kandidaten des rechtsextremen Front National spürt Rückenwind. Nach dem Brexit-Votum der Briten und nach der Wahl von Donald Trump tritt sie selbstbewusster denn je auf. Vor den Präsidentschaftswahlen liegt Le Pen auch in den Umfragen vorn, zumal ihr konservativer Gegenkandidat Fillon politisch in diesen Tagen schwer unter Beschuss geraten ist. Mit scharfen Tönen hat Marine Le Pen jetzt in Lyon ihre Wahlkampagne begonnen und dort haben sich auch andere Kandidaten präsentiert.
- Am Telefon begrüße ich den Autor, Soziologen und Politikwissenschaftler Alfred Großer. Guten Morgen nach Paris!
Alfred Großer: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Großer, ist Marine Le Pen stark wie nie zuvor, oder täuscht dieser Eindruck?
Großer: Nein, sie ist stark. Sie hat viel Unterstützung von Leuten, die einfach von der Politik angeekelt sind. Sie selbst ist in Schulden, sie selbst hat finanzielle Probleme, aber das verschwindet im Vergleich mit einem anderen wie Francois Fillon, der weiterhin kandidiert. Und man muss sehen, dass wenn er nicht kandidieren würde, würde die gemäßigte Rechte überhaupt keinen Kandidaten mehr haben. Bis zum 10. März, 17. März spätestens, muss man sich gemeldet haben, muss man 500 Unterschriften niedergelegt haben. Und dazu ist keine Zeit. Die einzige Möglichkeit wäre, dass Fillon eine Woche vor dieser Grenze weggeht. Und dann darf der Verfassungsrat die Wahl verschieben. Aber so weit sind wir noch nicht. Fillon bleibt, heute Morgen gibt er sich sehr kämpferisch, obwohl er wirklich vieles Finanzielle verbrochen hat.
Barenberg: Lassen Sie uns gleich noch weiter über Francois Fillon sprechen und noch einen Augenblick bei Marine Le Pen bleiben. Sie haben gesagt, die Menschen unterstützen sie, weil sie angeekelt von der Politik sind. Ist das das Geheimnis ihres Erfolgs, alles gegen die Eliten in Paris?
Großer: Teilweise ja, obwohl selbst natürlich der Vater und sie schon längst zu den Eliten der Politik gehören. Und die Nichte in Marseille auch, die noch viel rechter ist als sie. Aber sie hat Erfolg vor allen Dingen bei Arbeitern und Angestellten unten, weil man glaubt, dass die Elite in Paris sehr schlecht ist. Aber das ist eine ganz andere Geschichte in Frankreich, dass man sagt, die Elite in Paris und so weiter. Teilweise stimmt es, etwa im Fall von Emmanuel Macron. Ich muss gleich sagen, ich bin für Emmanuel Macron, dass bei Emmanuel Macron das nicht stimmt. Er hat sich sehr viel um Soziales gekümmert. Er hat mit sich den Mann, der am meisten Unternehmen hat, private Unternehmen hat zugunsten der Benachteiligten, zugunsten der Armen, der Banlieues und so weiter. Und die Vorschläge, die er gemacht hat zur Erziehungspolitik, sind genau das Gegenteil von Eliten.
Barenberg: Sind Sie denn sicher wie alle anderen in Frankreich offenbar, dass Le Pen es zwar in die Stichwahl schafft, aber dann garantiert verlieren wird, gegen welchen Kandidaten auch immer?
Großer: Ja. Aber man kann sich kaum vorstellen, dass ein Mann wie Hamon mit seinem Programm der Mann ist, der gewinnen würde.
Barenberg: Hamon, der Kandidat der Sozialisten.
Großer: Ja, der Sozialisten, der sehr links ist, sagen wir mal, der sehr utopisch links ist. Und wenn der Präsidentenkandidat würde gegen Marine Le Pen, müsste man für ihn stimmen, aber das wäre nicht sehr gut, meiner Ansicht nach.
Barenberg: Kommen wir zurück auf Francois Fillon. Ist es eigentlich überfällig, sein Rücktritt, weil man jetzt schon sagen kann, selbst wenn er das rechtlich irgendwie übersteht, ist sein Ruf endgültig ruiniert als der Ruf eines gierigen Mannes, der seinem Land aber ein Sparprogramm verschreiben möchte?
"Mit Fillon kann man das nicht schaffen"
Großer: Das ist sehr schwer zu sagen. Er macht Gegenprotest und versucht, sich reinzuwaschen. Aber von unten sagen die Abgeordneten, die Stimmung im Lande gegen ihn ist wirklich sehr stark. Und man möchte doch dann wenigstens wenn nicht die Präsidentschaftswahl, wenigstens die Wahl für die Assemblée Nationale kurz danach gewinnen. Und da gehen viele zu Macron über, weil sie glauben, mit Fillon kann man das nicht schaffen.
Barenberg: Würde denn Emmanuel Macron, den Sie, wie Sie sagen, unterstützen, würde der auch weitermachen, wo Fillon angefangen hätte, nämlich mit einer ziemlichen Rosskur an Reformen für ein Land, das lange schon an überbordender Bürokratie leidet und einer schwächelnden Wirtschaft?
Großer: Nein. Die übermäßige Bürokratie, das kann ich nicht mitmachen. Das stimmt unten und da versucht man - und das steht auch im Programm von Macron -, lokale Beamten zu entbeamten. Das heißt, dass sie nur noch Verträge bekommen. Denn da leidet Frankreich drunter, dass anderthalb Millionen Menschen in den verschiedenen Gemeinden in Regionalparlamenten sitzen, die nichts zu tun haben, aber denen man einen guten Job verschafft hat. Aber oben will man weniger Krankenschwestern, weniger Lehrer und so weiter. Im Gegenteil: Alle sagen, man braucht mehr Lehrer, man braucht mehr Polizisten, man braucht mehr Krankenschwestern und so weiter. Die Sache mit den Beamten ist gar nicht so einfach.
Barenberg: Emmanuel Macron, jetzt ein Hoffnungsträger und in den Umfragen derzeit auf Platz zwei, gibt ja im Moment noch die Parole aus, weder links noch rechts. Er ist sehr pro-europäisch. Aber er hat noch kein schlüssiges Programm aufgestellt. Trauen Sie ihm so ein schlüssiges Programm zu?
Großer: Ja. Ich habe anderthalb Stunden mit ihm gesprochen, muss ich gestehen, tête-à-tête, und er hat mich sehr überzeugt und ich glaube, das Programm hat er. Es wird sehr, sehr schwierig werden. Zum Beispiel gegen die Gewerkschaften mit der Erziehung will er, dass man in den sogenannten Vororten viel mehr gute Lehrer hinschickt mit besserer Bezahlung. Jetzt schickt man nur junge Leute hin, die wirklich nichts vermögen mit diesen Kindern und den jungen Leuten. Dass man die reinschickt und viel mehr bezahlt, dass man in der Grundschule in diesen Orten viel mehr bezahlt. Wenn die in den Grundschulen nicht gut sind, dann kommen sie nie mehr im Leben vorwärts, und das muss bedacht werden. Das ist das Typische des Programms.
Barenberg: Zum Schluss, Alfred Großer, und noch mal mit Blick auf die tiefe Politikverdrossenheit und die Frustration.
Großer: Aber so groß ist sie gar nicht. Wenn Sie sehen, welche Mengen gestern überall dabei waren. Jeder Kandidat hat abertausende Menschen, die zuströmen, wie Macron, aber die anderen auch in der Provinz. Man strömt, abertausende Menschen, hin, um wenigstens zuzuhören. Und das finde ich doch sehr ermutigend.
Barenberg: Und das heißt auch, dass am Ende die Sorge, dass es eine ganz große Katastrophe geben könnte, möglicherweise das Ende der Europäischen Union, wenn Marine Le Pen gewinnt, Sie sind sich einigermaßen sicher, dass es dazu nicht kommt?
Großer: Ich bin davon völlig überzeugt, dass es dazu nicht kommt. Und das europäische Programm - es gibt eine große Europaskepsis wie in Deutschland auch. Und wie Sie sehen, wie das mit dem Europäischen Parlament die letzten Wochen zugegangen ist, dass ein Berlusconi-Mann Präsident geworden ist, dass in Brüssel ein schwacher Präsident ist. Europa muss auch sich selbst bessern, damit es anziehungskräftiger wird in Deutschland wie in Frankreich.
Barenberg: ... sagt der Publizist, Politikwissenschaftler und Soziologe Alfred Großer. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
Großer: Bitte schön.
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