Ann-Kathrin Büüsker: Am Sonntagabend werden wir wissen, wer neuer Präsident von Frankreich ist, oder eben neue Präsidentin. Macron gegen Le Pen, es ist Endspurt um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Am Abend fand das letzte TV-Duell der beiden Kandidaten statt. Zweieinhalb Stunden haben Macron und Le Pen gestritten und sich teilweise wirklich ordentlich behakt.
Über dieses Duell möchte ich nun ausführlich mit Pascal Thibaut sprechen, Berlin-Korrespondent von Radio France Internationale. Guten Tag, Herr Thibaut.
Pascal Thibaut: Guten Tag! – Bonjour!
Büüsker: Viele Beobachter sehen jetzt Emmanuel Macron als Gewinner des gestrigen Abends. Sehen Sie das auch so?
Thibaut: Ja, ich glaube auch, vor allem, wenn man in die Zukunft geht und wenn man bedenkt, dass es darum geht, einen Staatschef oder eine Staatschefin zu wählen. Ich glaube, dass da durch ihre radikalen Angriffe Marine Le Pen sich doch zumindest bei einer breiten Schicht von Franzosen disqualifiziert hat. Möglicherweise hat sie ihre Anhänger dadurch noch verstärkt, aber andere mit Sicherheit auch erschreckt, und man wird sehen, und darum ging es auch bei diesem Duell, welche Auswirkungen die gestrige Debatte für die Unentschiedenen haben wird.
Großer Respekt vor der Rolle des Staatspräsidenten
Büüsker: Aber konnte Marine Le Pen nicht gerade die Menschen, die ohnehin auf sie setzen, mit dieser Haltung überzeugen, weil das ist ja auch das, was die Menschen bisher offenbar angezogen hat?
Thibaut: Ja. Ich denke, aber wiederum gibt es welche, für die dieses Kasperle-Theater vielleicht zu viel des Guten ist. Es gibt einen großen Respekt in Frankreich vor der Rolle des Staatspräsidenten, des republikanischen Monarchen, und man erwartet auch jemanden, der dieses Amt mit Würde füllt, und da haben sich vielleicht bei Manchen gewisse Zweifel entwickelt. Sie hat sich bemüht, auch linke Wähler mit sozialen Versprechen zu locken, zum Beispiel die von dem Kandidaten Mélenchon, aber sehr auffällig war, als es um die Zukunft der Eurozone ging, dass ihre Äußerungen doch nicht unbedingt ganz klar und überzeugend waren, und das ist ein Punkt, wo viele Franzosen ihre Zweifel haben, ob ein Verlassen der Eurozone für das Land und für die Bürger von Vorteil wäre.
Büüsker: Le Pen wirkte ja gestern an einigen Stellen auch schlichtweg schlecht vorbereitet. Sie musste dann noch mal in ihren Unterlagen blättern, geriet auch ein bisschen durcheinander. Wie ist das zu erklären? Ist sie sich schon zu siegessicher?
Thibaut: Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass ihre Wirtschaftsvorschläge – das hat auch Herr Macron versucht zu zeigen – nicht unbedingt finanziert sind, dass es in der letzten Zeit bei der Haltung zur Eurozone viele Unsicherheiten gab oder Veränderungen. Sie hat versucht, das etwas zu relativieren, und dadurch hat man in der letzten Zeit verschiedene Aussagen gehabt, und man merkte in der Tat, als sie in der Defensive war bei diesen harten Themen, dass sie entweder nicht Bescheid wusste. Manchmal hat sie mit falschen Fakten argumentiert. Heute sind die Medien und die sozialen Netze damit beschäftigt, diese Aussagen zu korrigieren. Ich glaube, das ist für ihre Wählerschaft vielleicht nicht unbedingt entscheidend. Ich glaube, sie wollte auf jeden Fall zeigen, sie wollte Macron angreifen und zeigen, dass er das Erbe der Hollande-Regierung ist und überhaupt des etablierten Systems, während sie mit radikalen Vorschlägen etwas anderes bietet.
"Wir haben es in Frankreich mit radikaleren, härteren Tönen zu tun"
Büüsker: Herr Thibaut, die Debatte, die wir da gestern gesehen haben, die war geprägt von einem sehr aggressiven Ton, gegenseitige Angriffe. Ist das die Art der politischen Kommunikation, an die wir uns in Frankreich gewöhnen müssen?
Thibaut: Ja. Leider muss man sagen, dass wir es in Frankreich mit etwas radikaleren, härteren Tönen zu tun haben als das, was man in Deutschland und vielleicht anderswo kennt. Man hat auch gesehen, als es diese Debatte gab mit den elf Kandidaten des ersten Wahlgangs ging es auch drunter und drüber mit auch relativ exotischen Persönlichkeiten. Man hat es in der Tat mit einem Land zu tun, das sehr gespalten ist, abgesehen bei dem ersten Wahlgang.
Ungefähr die Hälfte der Wähler sind eurofeindlich, europafeindlich oder euroskeptisch. Es gibt klare Trennlinien zwischen Städten und Land, zwischen Globalisierungsbefürwortern und den Befürwortern eines Rückgangs ins Nationale. Und das wird natürlich eine Herausforderung sein für Emmanuel Macron, wenn er gewählt wird, zu versuchen, das Land wieder in ruhige Gewässer zu bringen. Aber das Erbe oder die Spuren dieses Wahlkampfes und der letzten Jahre werden mit Sicherheit nicht von heute auf morgen zu beseitigen sein.
Macron müsse wahrscheinlich eine Koalition eingehen
Büüsker: Wenn wir davon ausgehen, dass Emmanuel Macron der neue französische Präsident wird, wie kann er dann diese Aufgabe lösen, das Land wieder einen?
Thibaut: Zuerst muss er überhaupt die Mittel dafür haben, und die Mittel dafür haben, das heißt, über eine Mehrheit, egal wie sie aussieht, in der Nationalversammlung zu verfügen. Es wird im Juni, also gleich im nächsten Monat Parlamentswahlen geben und es ist überhaupt nicht klar, wahrscheinlich eher unwahrscheinlich, dass er eine absolute Mehrheit nur mit seinen Kandidaten, mit seinen Abgeordneten gewinnt. Das heißt, er muss wahrscheinlich (und die Frage ist auch mit wem) eine Koalition eingehen. Das heißt, man nähert sich wieder an parlamentarischen Sitten, wie man sie auch in Deutschland kennt, mit Koalitionen, was aber ein Bruch mit den bisherigen Jahrzehnten in Frankreich wäre. Da ist erst mal ein großer Zweifel.
Und dann muss man auch berücksichtigen, dass selbst wenn er mit 60 Prozent oder zwei Dritteln der Stimmen am nächsten Sonntag gewinnt, viele auch für ihn wählen werden, weil er für manche Wähler das kleinste Übel ist, aber nicht unbedingt aus Begeisterung für diesen Kandidaten. Das hat man auch schon in der Vergangenheit gehabt. Das heißt, er muss auch aus dieser mäßigen Begeisterung etwas anderes machen und diese Wähler später für sich gewinnen. Ansonsten ist möglicherweise die Unzufriedenheit oder die Wut gegen die Regierung, wenn sie nicht schnell genug liefert, vorprogrammiert. Das hat man aber leider häufiger in Frankreich erlebt.
Front National werde gute Ergebnisse gute Ergebnisse erzielen
Büüsker: Wenn wir noch mal kurz auf die politischen Einwirkungsmöglichkeiten gucken. Sie haben Koalitionen angesprochen. Welche sind denn überhaupt für Emmanuel Macron denkbar?
Thibaut: Da gibt es manche, die zur Verfügung stehen. Manche werden erst zur Verfügung stehen, wenn die Parlamentswahlen geklärt sind. Das sind einerseits Leute aus dem bürgerlichen Lager, von Mitte-Rechts, sage ich mal, oder wie Bruno Le Maire zum Beispiel, den man heute Abend bei Maybrit Illner erleben wird, oder Leute vom rechten Flügel der Sozialisten zum Beispiel, wie der frühere Premierminister Manuel Valls – er wird wahrscheinlich nicht in der Regierung sein -, aber zumindest Leute, die ähnliche Ideen verkörpern.
Das heißt, eine Koalition mit Vertretern eines sozialliberalen Kurses rechts und links der Mitte. Dann ist die Frage, ob es reicht, um eine Mehrheit zu bekommen, weil mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Front National gute Ergebnisse erzielen, wobei das Wahlrechtssystem für die Parlamentswahl für diese Partei nicht so günstig ist. Und die radikale Linke hinter Mélenchon wird mit Sicherheit auch sich als eine starke Oppositionskraft profilieren und dann ist die Frage mit diesen drei Polen sozusagen, ob die Mitte rund um Macron eine Mehrheit (die kann vielleicht wechseln) im Parlament findet.
Büüsker: So die Einschätzung von Pascal Thibaut, Berlin-Korrespondent von Radio France Internationale. Danke schön für das Interview heute im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.