Archiv


Präsidentschaftswahl in Kirgistan

16 Kandidaten stellen sich am Sonntag in Kirgistan zur Präsidentschaftswahl. Drei Kandidaten gelten als die Aussichtsreichsten. Und keiner von ihnen spricht sich gegen eine Zusammenarbeit mit Moskau aus.

Von Robert Baag |
    "Rachmat(Danke)”",

    ruft Adachan Madumarow strahlend ins dicht besetzte Halbrund des Audimax der Agraruniversität von Bishkek. Er winkt den gut 500 Studenten und Dozenten, die ihm hier eine Stunde lang zugehört haben, schwungvoll zu. Dann verlässt er bei schmissigem Klang dynamischen Schritts den Hörsaal, umringt von einem Pulk schwarz gekleideter kräftiger junger Herren mit dunklen Sonnenbrillen. Der Beifall des Publikums ist durchaus freundlich, doch nicht überschwänglich und er dauert auch nicht allzu lange. - Madumarow, einst Parlamentspräsident, zuhause im Süden Kirgistans, werden durchaus Chancen eingeräumt am Sonntag ganz weit oben in der Wählergunst zu landen. Er spielt ganz klar die nationalistische Karte. Kirgistan, das kirgisische Volk, die kirgisische Sprache - das sind seine ideologischen Prioritäten. Für die ethnisch russische Forstwirtschaft-Dozentin Elina Prochorenko ist das von untergeordneter Bedeutung. Dass ein Sieg Madumarows vielleicht sogar wieder zu Unruhen und Pogromen an der usbekischen Minderheit führen könnte wie vor anderthalb Jahren, mit Hunderten Toten und Tausenden Flüchtlingen, kann sie heute nicht so recht schrecken:

    ""Dafür ist er, denke ich, zu weise”",

    meint sie und setzt freundlich lächelnd hinzu:

    ""Mit denen im Süden muss man ein bisschen arbeiten. Die Usbeken dort sollte man, na, ja, vielleicht nicht unter Druck halten, aber doch so ein bisschen zur Vernunft bringen."

    Bei ihr punktet Madumarow noch aus einem anderen Grund:

    "Er will mit Russland Freundschaft halten. Das ist gut für mich. Ich gehöre hier selbst der russischen Minderheit an. Ich wohne hier und will weiter in Kirgistan leben. Klar: Er vertritt so ein bisschen nationalistische Positionen, etwa was die Priorität der kirgisischen Sprache angeht. - Wir sind doch alles Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, fühlen eine entsprechende Nostalgie. Wir müssen uns wieder vereinigen und zusammengehen. Dafür würde ich sogar wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Wir müssen mit Russland zusammen sein!"

    Wahr ist: Unter der Dreierspitzengruppe der insgesamt 16 morgen zur Wahl antretenden Kandidaten ist kein einziger zu finden, der sich nicht für eine Zusammenarbeit mit Moskau ausspräche. Immerhin: Viele Kirgisen leben seit Jahren als Arbeitsmigranten in Russland, versorgen mit ihren Geldüberweisungen ihre Familien in Kirgistan, das bis heute eine der ärmsten Ex-Sowjetrepubliken geblieben ist.

    Madumarow, schlank, hochgewachsen, in einem dunkelblauen Zweiteiler von dezenter Eleganz, steht inzwischen vor dem Universitätsgebäude, gönnt sich eine Zigarettenpause. Aus seiner Abneigung gegen das 2010 per Volksabstimmung eingeführte parlamentarisch-demokratische Regierungssystem macht der gut aussehende Ex-Parlamentspräsident und glühende Gegner der bis Ende Dezember amtierenden Präsidentin Rosa Otunbaewa keinen Hehl:

    "Demokratie bedeutet doch nicht, dass alles erlaubt ist",

    stößt Madumarow hervor.

    "Das hier ist eine Herrschaft der negativen Elite im Verbund mit Anarchie. Wir haben keine Demokratie. Das parlamentarische System hat gezeigt, dass es nicht effektiv ist."

    Gewinnt er morgen schon im ersten Wahlgang oder aber vierzehn Tage später bei der wahrscheinlich erforderlichen Stichwahl, will er sich für eine Rückkehr zum Präsidialsystem einsetzen.

    Die Tribüne des städtischen Stadions ist dicht gefüllt. Doch die Menschen kämpfen an gegen die Mittagshitze. Der eine oder andere Einwohner von Kyzyl-Kija gähnt verstohlen. Sie warten auf den Kandidaten Kamchybek Tashiew. Ein Einpeitscher von Tashiews "Heimat"-Partei ("Ata Zhurt") versucht sie wach zu halten. - Von den obersten Reihen der Arena aus ist die Fernstraße aus Osch gut auszumachen, jener zweitgrößten Stadt Kirgistans im Süden, Schauplatz der blutigen Usbeken-Pogrome vom Juni 2010. Die Trasse verläuft weiter westwärts in Richtung Tadshikistan. Links von ihr ragen die schneebedeckten Gipfel des Pamir-Hochgebirges aus dem Horizont. Hier, ganz in der Nähe, rollen nach Erkenntnissen internationaler Drogenfahnder viele Rauschgifttransporte von Afghanistan aus weiter in Richtung Russland und dann in den Westen. Diverse kirgisische Politiker, Polizei- und Zollbeamte sollen schon lange in diesem lukrativen Geschäft zusammen mit der Organisierten Kriminalität mitmischen, sind immer wieder Mutmaßungen zu hören. Auch Kamchybek Tashiew, politischer Matador aus Osch, zugleich schärfster Konkurrent Madumarows im nationalistischen, antiparlamentarischen Spektrum der Präsidentschaftsbewerber, wird immer wieder mit derlei Vorwürfen konfrontiert. Die dunklen Augen des bulligen Ex-Generals bleiben unbewegt:

    "Darauf antworte ich nur mit einem Lächeln. Ich hab' in meinem ganzen Leben noch kein Rauschgift gesehen und nie etwas damit zu tun gehabt. Das sind Provokationen im Wahlkampf. Ich war niemals ein Drogenbaron. Werde ich gewählt, wird es in unserem Land keinen Drogenhandel mehr geben. Ich werde das Gesetz streng anwenden. Nichts wird sie retten!"

    Die meisten Beobachter sind sich einig: Taschiew oder Madumarow, jeder für sich genommen, hätte jeweils gute Chancen, im Rennen gegen den in Umfragen immer noch führenden sozialdemokratischen Bewerber Almazbek Atambaew zu siegen. Der zum Lager von Präsidentin Rosa Otunbaewa zuzurechnende, in Nordkirgistan aber auch bei der usbekischen Minderheit und nicht zuletzt in Moskau favorisierte Atambaew lässt seit Beginn des Wahlkampfs seine Funktion als Ministerpräsident ruhen.

    Lassen die politischen Eliten Vernunft walten, könnte das kirgisische parlamentarisch-demokratische Experiment mit seiner Vorbildfunktion für den ganzen autoritär regierten zentralasiatischen Raum am Ende doch noch gelingen. - Auch Markus Müller, Schweizer Leiter der Kirgistan-Polizei-Mission der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, ist mit seiner über zehnjährigen Erfahrung vor Ort keineswegs pessimistisch - aller anti-parlamentarischen Rabulistik der nationalistischen Kandidaten zum Trotz:

    "Das wieder zu ändern, wird nicht so leicht sein. Viele politische Gruppen sind daran nicht interessiert. Die gegenwärtigen Parlamentarier werden wohl kein großes Interesse haben wieder zu einer Ein-Mann-Show zurückzukommen mit all den Risiken, die wir in der Vergangenheit gesehen haben. Ich denke, das wird nicht so einfach sein zu sagen: 'OK, jetzt ändern wir die Verfassung wieder und kommen zurück zu einem Präsidialsystem.' - Ich würde es noch nicht abschreiben das parlamentarische System."