Eine öffentliche Kundgebung in Nigerias Hauptstadt Abuja, an der Anfang Februar hunderte Menschen teilgenommen haben. Ein Pastor, der sich Sunday Garuba nennt, ruft öffentlich zur Wiederwahl von Muhammadu Buhari auf. Garuba ist sonst in Nigeria unbekannt. Weder hat jemand seine Kontaktdaten, noch gibt es Hinweise, wo seine Kirche steht. Bisher ist er nur als Wahlkampfhelfer für den Präsidenten in Erscheinung getreten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Kundgebung sogar von Buhari-Anhängern organisiert und bezahlt wurde. Nigeria ist mitten im Wahlkampf, und Stimmen aus den religiösen Lagern sind willkommen und wichtig.
Hoch im Kurs stehen aktuell auch Prophezeiungen zum Wahlausgang. Mitunter werden täglich neue Wahl-Weissagungen bekannt gegeben. Kardinal John Onaiyekan, katholischer Erzbischof von Abuja, sagt dazu:
"Prophezeiungen vor Wahlen sind Teil der nigerianischen Politik. Ich selbst bin kein Prophet und prophezeie auch nichts. Diejenigen, die das machen, hoffen sehr, dass sie Recht behalten. Falls nicht, dann verlieren sie auch nichts. Ihnen geht es vor allem um Aufmerksamkeit."
Alles wird spirituell erklärt
In Nigeria ist das Alltag. In dem Staat, in dem sich die große Mehrheit der gut 190 Millionen Bewohner stets als "religiös" bis "sehr religiös" bezeichnet, sind Politik und Religion eng miteinander verknüpft. Professor Jacob Kehinde Ayantayo, der den Fachbereich Religionswissenschaften an der Universität Ibadan leitet, erklärt die Gründe.
"In Nigeria bestimmt die Religion jeden Lebensbereich. Grund dafür ist, dass alles spirituell erklärt wird, selbst Dinge, die sich wissenschaftlich erklären lassen. Es ist das Ergebnis eines alten Wertesystems und der Tradition, dass Religion überall ist."
Das ist im Wahlkampf besonders stark zu spüren. In Reden fallen oft Sätze wie "durch Gottes Gnade" oder "so wahr mir Gott helfe". Professor Ayantayo:
"Wenn Menschen in der Regierung ständig über Gott sprechen, dann ist es das Konzept der Zivilreligion. So hat es Soziologe Robert Bellah beschrieben. Der Zivilreligion gehört jeder an. Weder das Christentum noch der Islam kann Gott für sich beanspruchen. Es ist ein Gott für alle, den alle kennen. In diesem Konzept ist der Präsident der Hauptpriester."
Das ändert sich jedoch, sobald es um die Besetzung von Ämtern geht. Wie in den USA auch treten Präsidentschaftskandidat und Vize als Team an. In zahlreichen Parteien gilt: Wenn der Spitzenkandidat ein Muslim ist, muss sein Stellvertreter Christ sein. Bei Landeswahlen in den christlich dominierten Bundesstaaten des Südens wird sogar darauf geachtet, dass die Kandidaten unterschiedlichen Kirchen angehören. Generell ist die Religionszugehörigkeit ein wichtiges Kriterium für zahlreiche Wähler und trägt zur Wahlentscheidung bei. Bei dieser Wahl sind die Spitzenkandidaten Muhammadu Buhari und Atiku Abubakar jedoch beide Muslime. Das ist eine neue Entwicklung, sagt Kardinal Onaiyekan.
"Es ist nicht so wie 2015, als die Spaltung entlang religiöser Linien ein Hauptthema war. Niemand macht Wahlkampf für einen christlichen oder einen muslimischen Präsidenten. Das ist gut, weil die religiöse Dimension so weniger wichtig wird."
Politiker bestechen religiöse Meinungsführer
Dennoch suchen auch muslimische Kandidaten Unterstützung in den zahlreichen Kirchen des Landes. Kardinal Onaiyekan erhält regelmäßig Besuch:
"Personen, die eng mit Buhari zusammen arbeiten, sind zu mir gekommen wie auch Menschen aus Atikus' Lager. Bei mir sind sie jedoch sehr vorsichtig. Sie trauen sich nicht, offen um Unterstützung zu bitten. Sie wissen, dass ich das nicht tun würde. Stattdessen erhoffen sie sich, dass ich ihren Kandidaten eine Chance gebe und nicht komplett der jeweiligen Opposition angehöre."
In Karu, einem Vorort von Abuja, geht das Nuru Khalid nicht anders. Er ist Hauptimam der Apo Legislative Quarters Mosque. Es ist ein Viertel, in dem zahlreiche Politiker wohnen:
"Es sind vor allem schlechte Politiker ohne Programm. Sie nutzen Geld, um Stimmen zu kaufen. Auch geben sie religiösen Meinungsführern und Organisationen Geld. Das streitet niemand ab."
Ein beliebter Prediger – gleich, ob Pastor oder Imam – kann Bewerbern zahlreiche Wählerstimmen verschaffen. Als gesichert gilt heute, dass der frühere Gouverneur des Bundesstaates Borno, Ali Modu Sheriff, im Jahr 2003 die Unterstützung von Boko Haram suchte. Die Gruppe war damals noch nicht die radikale Miliz von heute. Es waren vor allem konservative, von der Politik enttäuschte junge Männer, die sich in der Moschee von Boko-Haram-Gründer Mohammed Yusuf trafen. Ali Modu Sheriff warb um ihre Unterstützung, was er bis heute abstreitet.
Prediger wechseln in Politik
Für alle sichtbar wechseln jedoch Priester und Pastoren in die Politik. Prominentestes Beispiel ist Vizepräsident Yemi Osinbajo, Jurist und Pastor der Pfingstkirche Redeemed Christian Church of God. Damit wird sogar auf den Wahlplakaten in der Hauptstadt Abuja geworben. Imame finden sich auf der Kandidatenliste jedoch nicht. Imam Nuru Khalid hat dafür seine eigene Erklärung.
"Dafür gibt es viele Gründe. Beispielsweise sind Imame nicht so reich wie Pastoren. Auch gibt es im Islam eine Limitierung, wie stark man sich in der Politik einbringen darf. Das gilt insbesondere dann, wenn Politik ein dreckiges Spiel ist. Doch genauso wird die Politik in Nigeria überwiegend betrachtet."