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Präsidentschaftswahl in Polen
"PiS hat viel versprochen, aber auch viel realisiert"

Bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag in Polen sei der Ausgang offen, sagte Agnieszka Lada, Vize-Direktorin des Deutschen Polen-Instituts, im Dlf. Der Kandidat der Opposition, der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski, habe einen dynamischen Wahlkampf geführt und sei für viele Menschen eine neue Hoffnung.

Agnieszka Lada im Gespräch mit Stephanie Rohde |
Wahlwerbung vor der Präsidentschaftswahl in Polen.
Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Polen hat die liberale Opposition dank der Pandemie in Umfragen überraschend zugelegt. (dpa / picture alliance / Dominika Zarzycka)
Am Sonntag wählt Polen einen neuen Präsidenten - das Rennen ist offen, laut Prognosen wird es sich zwischen dem Amstinshaber Andrzej Duda und Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski entscheiden. Insgesamt stehen elf Kandidaten zur Wahl. Die größten Erfolgsaussichten werden aber Amtinshaber Duda von der nationalkonservativen PiS-Partei und seinem Herausforderer Trzaskowski zugesprochen. Der Präsident hat eine Schlüsselrolle in Polen. Er ist zwar nicht der Chef der Exekutive wie ein Präsident in Frankreich oder den USA, aber einflussreicher als ein Bundespräsident. Gesetze treten erst mit der Unterschrift des Präsidenten in Kraft. Er ernennt auch die obersten Richter. Duda agierte als treuer Erfüllungsgehilfe der PiS und ihres Parteichefs Jaroslaw Kaczynski.
Binnen vier Wochen hat sich die machtpolitische Konstellation in Polen jetzt gedreht. Anfang Mai wähnte sich die nationalpopulistische Regierungspartei PiS auf sicherem Kurs zur Wiederwahl Dudas. Der Hickhack um die Frage, wie die anstehende Wahl unter den Bedingungen der Corona-Pandemie abgehalten werden soll – an welchem Tag und auf welche Weise, durch Abstimmung im Wahllokal oder per Briefwahl –, schien Duda nichts anzuhaben.
Wahlwerbung für die polnische Präsidentschaftswahl
Polen-Experte: "Die PiS-Revolution wäre damit zu Ende"
Polen wählt einen neuen Präsidenten. Ein Sieg des Oppositionskandidaten Rafal Trzaskowski könnte die Regierungsmehrheit im Parlament blockieren, sagte der Polen-Experte Klaus Bachmann im Dlf.
Anfang Juni ist alles in Bewegung gekommen. Die Wahl wurde auf den 28. Juni verschoben, unter Umgehung der zentralen Verfassungsorgane. Der Hinterzimmerdeal schadete der PiS massiv. Die Opposition stellte sich neu auf. Der liberale Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski sammelte innerhalb kürzester Zeit 1,6 Millionen Unterschriften für eine Kandidatur. Wenn die Umfragen für die elf Kandidaten nicht täuschen, dürfte der 48-jährige Trzaskowski den gleichaltrigen Duda in eine Stichwahl zwingen.

Stephanie Rohde: Frau Lada, warum ist die Präsidentschaftswahl jetzt doch unerwartet offen und auch spannend?
Agnieszka Lada: Die Wahl ist in der Tat offen, weil der neue Kandidat Rafal Trzaskowski mit einer neuen Energie sehr dynamisch jetzt den Wahlkampf macht. Natürlich hat sich auch nach der Coronakrise einiges verändert in dem Lande, aber vor allem der Kandidat von der Opposition ist ein neues, frisches Gesicht, eine neue Hoffnung für viele. Man kann davon ausgehen, die Stichwahl wird notwendig sein.
Rohde: Sie sagen, das liegt an der Stärke von Trzaskowski, lassen Sie uns auf die andere Seite schauen, auf Präsident Duda: Der lag mal bei etwa 60 Prozent, ist jetzt gefallen auf 40 Prozent in den Umfragen. Woran liegt das?
Lada: Der amtierende Präsident hat noch Vorsprung und große Unterstützung, aber viele Wähler, die bisher vielleicht keine Alternative sahen, mit dem Kandidaten Trzaskowski jetzt eine Chance sehen, doch jemanden zu haben, den sie unterstützen können, die bleiben dann vielleicht nicht mehr zu Hause. Deshalb sind die Zahlen dann anders.
Zweitens, das ist auch oft so, dass eine neue Person unabhängig von dem Land, unabhängig von der Stimmung in dem Lande einfach erst gute Zahlen macht, und als Konkurrenz zu dem Hauptkandidaten, das ist immer eine Gefahr.
Rafal Trzaskowski blickt bei einer politischen Veranstaltung mit ernster Miene.
Trzaskowski spielt auf Zeit
Polens Regierungspartei PiS kam die Verschiebung der Präsidentschaftswahl nicht gelegen. Die Opposition konnte sich mit einem neuen Herausforderer positionieren: Warschaus Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski.
"Die polnische Gesellschaft ist gespalten"
Rohde: Es gab ja ein großes Thema, ein umstrittenes Thema im Wahlkampf, und zwar Homosexualität. Präsident Duda hat immer wieder im Wahlkampf die Rhetorik aufgegriffen, es gebe eine vermeintliche LGBT-Ideologie, die man angreifen müssen. Der Gegenkandidat Trzaskowski hat liberale Positionen vertreten, auch im Blick auf Homosexuelle. Bewegt dieses Thema die Menschen wirklich weiterhin so sehr, dass das so ein großes Thema ist?
Lada: Das Thema wurde hochgeschaukelt, vor allem von dem amtierenden Präsidenten und seinem Team. Es ist nicht so, dass die meisten der Polen oder sogar eine große Gruppe der Polen sich dafür so stark interessieren würde. Das ist einfach ein Thema, das extra gewählt wurde, weil es trennt, aber das heißt nicht, dass es für die Polen so eine große Rolle spielt, was hier die Kandidaten sagen.
Wie bei vielen anderen Ländern kümmert sich die Bevölkerung viel mehr um die Wirtschaft, um die sozialpolitischen Themen. Also das ist eher hochgeschaukelt, auch wenn vielleicht für ein paar Prozent der Wähler das Thema doch wichtig ist und wenn vor allem die rechtlich-öffentlichen Medien das Thema auch für so wichtig halten.
Rohde: Es wird ja immer davon gesprochen, Polen sei so gespalten. Wenn ich Ihnen jetzt zuhöre, bekomme ich das Gefühl, das ist möglicherweise bei so grundlegenden Themen wie Homosexualität gar nicht der Fall.
Lada: Die polnische Gesellschaft ist gespalten, das merkt man eigentlich bei jedem Thema. Auch bei diesem Thema, da ist die Spaltung zu spüren, aber das Thema ist einfach nicht so wichtig für die Wähler. Es ist generell so, dass die Spaltung Opposition-Regierung bleibt, und wenn jemand dann gefragt wird, dann sind in der Tat die Wähler von der PiS hier viel mehr konservativ und würden bei dem Thema Homophobie eine Meinung haben und die Wähler von der Opposition eher eine andere. Aber sie beschäftigen sich nicht täglich mit dem Thema, und sie gucken nicht auf den Kandidaten, wie er hier dazu steht.
Das ist einfach ein bisschen ein künstliches Thema, obwohl natürlich für viele Gruppen in der Bevölkerung auch wichtig, das ist klar. Viele denken da sehr an sich, aber nicht so viele, dass der Wahlkampf damit entschieden sein soll.
TV-Debatte der Kandidaten für das polnische Präsidentschaftsamt
Polens Präsidentschaftswahl - Streit um die Wahlverschiebung
Millionen Polen verfolgten im TV die Debatte der Kandidaten kurz vor der Präsidentschaftswahl. Dann wurde die Wahl wegen der Coronakrise abgesagt – die Art der Entscheidung sorgte für Kritik.
"Die PiS und ihr Kandidat erscheinen glaubwürdig"
Rohde: Welche Themen sind denn wahlentscheidend, vor allem in der Coronakrise jetzt?
Lada: Natürlich sind die sozialpolitischen Themen wichtig, sie sind bei fast jedem Wahlkampf wichtig. Die PiS-Regierung hat hier in den letzten Jahren viel versprochen, aber auch ziemlich viel realisiert. Die Partei und auch ihr Kandidat erscheinen damit glaubwürdig deshalb. Kindergeld, niedriges Rentenalter, das ist alles für die Bevölkerung wichtig, das wurde schon gemacht, und die Wähler haben die Hoffnung, es bleibt dabei.
Und da gibt es weitere Versprechen aus diesem Bereich, dass die Regierung PiS mit dem neuen Präsidenten sich darum kümmern wird. Wiederum für die anderen Wähler, die jetzt andere Kandidaten, Oppositionskandidaten unterstützen, sind die europäischen Werte sehr wichtig: liberales, dynamisches Polen, Polen, das in der EU eine aktive Rolle, konstruktive Rolle spielt, das ist auch wichtig. Also vor allem Wirtschaft und diese proeuropäische Einstellung spielen schon bei diesen Trennlinien eine Rolle.
Rohde: Der Präsident hat ja bislang die Gesetze der PiS meistens oder immer unterschrieben. Was wäre denn jetzt, wenn Trzaskowski gewählt würde? Glauben Sie, er würde der PiS die Stirn bieten können?
Lada: Natürlich hat der Präsident am Ende eine sehr wichtige Rolle, weil er die Gesetze unterschreiben kann oder auch nicht. Für die PiS war es jetzt sehr einfach, über Nacht ein Gesetz zu verabschieden und einen Tag danach das Gesetz schon unterschrieben zu haben. Jetzt, falls ein Kandidat von der Opposition gewinnt, wird das höchstwahrscheinlich anders sein, das wird sich länger ziehen.
Sonst wird der Präsident von der Opposition bestimmt eine große Rolle in der Außenpolitik spielen wollen, sich in Europa stark zeigen wollen und auch mit eigener Gesetzgebung, also mit eigenen Entwürfen, mit eigenen Initiativen auch das verändern wollen, was ihm gerade vonseiten der Regierung nicht gefällt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.