"Ich heiße Xenia Sobtschak. Wie jeder russische Staatsbürger habe ich das Recht, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Ich habe mich entschieden, von diesem Recht Gebrauch zu machen."
Frederik Rother: So stellt sich die 35-jährige Xenia Sobtschak in einem Internetvideo vor, das letzte Woche veröffentlicht wurde und in Russland heiß diskutiert wird. Eine neue Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen also, die im kommenden Frühjahr stattfinden. Xenia Sobtschak ist keine Unbekannte, sie ist die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von Sankt Petersburg, der wiederum als Ziehvater von Präsident Wladimir Putin gilt. Viele Russen kennen Xenia Sobtschak noch als Moderatorin fürs Unterhaltungsfernsehen, seit Jahren ist sie aber auch auf der politischen Bühne aktiv, nahe der Opposition. Was hat es mit der Kandidatur und der Kandidatin, die sich heute in Moskau offiziell vorstellt, auf sich? Darüber spreche ich jetzt mit Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa". Herr Sapper, Xenia Sobtschaks Slogan "Ich bin die Kandidatin gegen alle", was heißt das? Geht es denn hier nur um Protest?
Manfred Sapper: Na ja, sie hat in diesem Video sich so vorgestellt und sie knüpft damit an eine Tradition an, die es bis 2006 im russischen Wahlrecht gab. Da konnten die Wählerinnen und Wähler nämlich auf ihren Stimmzetteln "gegen alle" ankreuzen und das ist der Versuch, die unzufriedenen Leute aus allen politischen Milieus anzusprechen. Ob sie damit erfolgreich sein wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.
"Russland ist keine Demokratie"
Rother: Jetzt ist Sobtschak ja auch gegen Alexei Nawalny, der ist zurzeit sicherlich der bekannteste Oppositionelle im Land. Er betont immer wieder: "Ich trete an." Offizieller Bewerber ist er noch nicht für die Wahlen, da vorbestraft. Aber trotz allem, was bedeutet Sobtschaks Ankündigung für Alexei Nawalny?
Sapper: Der eigentlich wirklich gefährliche Gegner von Putin ist Alexei Nawalny. Und der Kreml versucht mit allen Mitteln, mit politischen Prozessen Nawalny auszuschalten, damit er nicht bei den Präsidentschaftswahlen im März antreten kann. Und es sieht ganz danach aus, dass dem Kreml das auch gelingen wird, zu verhindern, dass Nawalny antritt. Denn über eins muss man sich klar sein: Russland ist keine Demokratie. Und diese Wahlen dienen zur Legitimitätsstiftung des autoritären Regimes, aber der Kern jeder Demokratie, ergebnisoffene Wahlen zu produzieren, die sind nicht gegeben. Und in der Hinsicht ist die Kandidatur von Sobtschak unter Umständen ein ziemlich abgekartetes Spiel. Denken wir daran, dass 2012 der Oligarch Michail Prochorow plötzlich als Kandidat für die liberalen Kräfte auftrat, und es war durchsichtig, dass auch er mit dem Segen des Kreml antrat. Und in Russland wird deshalb so heftig diskutiert, was das eigentlich bedeutet, weil völlig unklar ist, ob Xenia Sobtschak nicht eine Marionette von Putin ist. Denn Sie haben ja in Ihrer Anmoderation darauf hingewiesen: Putin ist nicht nur ein sehr guter Bekannter von Xenia Sobtschak, sondern Xenia Sobtschak hat sich am 10. Oktober sogar mit Putin getroffen, offiziell heißt es, wegen eines Films über den Vater. Da sehen viele Skeptiker und kritische Beobachter allerdings den Hintergrund, dass Xenia Sobtschak eine Absprache mit Putin darüber besprochen habe zu kandidieren. Insofern ist das eine sehr fragwürdige Kandidatur.
Eine vermeintliche Repräsentatin der liberalen Kräfte
Rother: Ja, zumal der Kreml die Kandidatur offiziell ja recht wohlwollend aufgenommen hat. Kann sie denn dem Kreml gefährlich werden?
Sapper: Nein, überhaupt nicht. Sie ist Teil dieses legitimitätserheischenden Spiels, dass nämlich unter Umständen der Kreml in jeder Hinsicht gewinnt. Wird Sobtschak antreten als vermeintliche Repräsentantin der liberalen Kräfte und dann wenig Stimmen bekommen, weil sie weder von den Liberalen noch von den nationalpatriotischen, mit Putin Unzufriedenen gewählt werden wird, dann kann der Kreml sagen: Seht ihr, so schwach sind die Liberalen! Mobilisiert sie dagegen Wähler, die bislang nicht gewählt haben, stärkt das die Legitimität des Regimes, das darauf hinweisen kann: Seht ihr, bei unseren Wahlen nehmen doch 60, 70, 80 Prozent der Bevölkerung teil! Das ist also ein eindeutiger Nutzen fürs Regime. Etwas ganz anderes wäre es – und das wird momentan noch nicht in Russland diskutiert –, wenn es tatsächlich zu einer Absprache zwischen Nawalny und Xenia Sobtschak kommt. Es ist davon auszugehen, dass Nawalny nicht antreten wird, aber er hat eine enorme mobilisierende Kraft und eine politische Funktion in der Antikorruptionsbekämpfung, und er könnte eine außerparlamentarische Opposition repräsentieren, und Xenia Sobtschak könnte theoretisch eine präsidiale Opposition repräsentieren, wenn es denn wirklich ihr ernst mit dem ist, was sie seit fünf Jahren, wo sie sich in dem oppositionellen Lager bewegt, tatsächlich das eine oder andere Mal verlauten lässt.
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