Noch vor wenigen Wochen hatten die Umfragen nicht nur einen Sieg des Amtsinhabers Bronislaw Komorowski vorhergesagt. Sogar eine absolute Mehrheit schon im ersten Wahlgang schien möglich. Dementsprechend groß war die Überraschung gestern Abend. Der Herausforderer Andrzej Duda lag im ersten Wahlgang knapp vor Komorowski und hat bei der Stichwahl in zwei Wochen alle Chancen auf das Präsidentenamt.
Duda ist Kandidat der rechtskonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS. Deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski hatte dem erst 42-Jährigen den Vortritt gelassen. Der Rechtsanwalt aus Krakau setzte schon kurz nach dem Wahlerfolg seinen Angriff auf Komorowski fort:
"Niemand darf die Gesellschaft teilen und den einen Teil an den Rand drängen. Das beschädigt die Gesellschaft, das verletzt die Nation. Aber so geschah es in den vergangenen Jahren, und damit muss Schluss sein. Denn wir haben nur eine rot-weiße Flagge und einen gemeinsamen Staat Polen."
Duda war im Wahlkampf der Parteilinie der PiS treu geblieben. Er hatte die weltanschauliche Nähe seiner Formation zur katholischen Kirche in Polen herausgestrichen. Er hatte sich gleichzeitig als Anwalt der kleinen Leute präsentiert. In den umstrittensten Fragen - etwa zum Flugzeugabsturz in Smolensk vor fünf Jahren - hielt Duda sich jedoch zurück.
Stimmen des Drittplatzierten dürften an Duda fallen
Der amtierende Komorowski hatte im Wahlkampf sein Image als besonnenes Staatsoberhaupt gepflegt, als berechenbarer und zuverlässiger Politiker. Analysten warfen dem 62-Jährigen vor, keine Vision für seine zweite Amtszeit zu präsentieren. Das gestand Komorowski am Wahlabend ein:
"Dieses Ergebnis lese ich als ernsthafte Warnung für das gesamte Regierungslager, aus der wir weitgehende Konsequenzen ziehen müssen. Wir müssen den Wählern zuhören. Es reicht nicht nur, alle rationalen und gemäßigten Kräfte in Polen zu mobilisieren. Wir müssen auch intensiv daran arbeiten, den Glauben an das demokratische, bürgerliche Polen zurückzugewinnen."
Komorowski hofft also bei der Stichwahl in zwei Wochen auf eine höhere Wahlbeteiligung. Gestern hatte sie unter 50 Prozent gelegen - so niedrig wie noch nie.
Duda dagegen machte bereits deutlich, dass er um die Stimmen des drittplatzierten Pawel Kukiz werben wird. Kukiz gilt als Rechtspopulist und EU-Kritiker. Er errang - ebenfalls völlig überraschend - rund 20 Prozent der Stimmen. Von ihnen dürften tatsächlich die meisten an Duda fallen, meint der Politologe Marek Migalski.
"Das ist ein Grund, warum Komorowski in einer schlechteren Position ist. Ein anderer ist das anstehende Fernsehduell. Duda hat in den vergangenen Wochen den Eindruck gemacht, dass er mit solchen Stresssituationen besser fertig wird. Deshalb ist Andrzej Duda jetzt Favorit."
Die Vollmachten des Präsidenten sind in Polen nicht besonders groß. Der Ausgang der Wahl um das Staatsoberhaupt wird jedoch ein wichtiges Signal auch für Parlamentswahl im Herbst sein, sagen Experten.