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Präsidialsystem
Türkisches Parlament berät umstrittene Verfassungsreform

In Ankara beginnt die Große Nationalversammlung mit der Beratung der neuen Verfassung. Die Vorlage soll die Türkei erstmals in ihrer Geschichte zur Präsidialrepublik machen. Befürworter des Systems erwarten mehr Stabilität - Kritiker warnen vor einem Willkürstaat.

Von Christian Buttkereit |
    Das Parlament in Ankara, die Große Nationalversammlung der Türkei.
    Das Parlament in Ankara, die Große Nationalversammlung der Türkei. (picture alliance / dpa / EPA FILE)
    Schon bei der Diskussion des Gesetzentwurfes im Verfassungsausschuss ging es turbulent zu. Einige Abgeordnete konnten nur mit Mühe davon abgehalten werden, handgreiflich zu diskutieren. Auch auf der Straße regt sich vereinzelt Widerstand. Kern der Verfassungsreform ist Einführung eines Präsidialsystems. Der Präsident wäre dann nicht nur Staatsoberhaupt sondern auch Regierungschef und darf einer Partei angehören. Die Aufgabe des Ministerpräsidenten entfällt. Der derzeitige Ministerpräsident Binali Yildirim ist ein Verfechter der Abschaffung seines eigenen Amtes: "Wenn das Präsidialsystem nicht eingeführt wird, droht der Türkei eine Spaltung. So klar und deutlich sage ich das. Das Präsidialsystem lehnt sich an das Prinzip: Ein Land, eine Nation, eine Fahne, ein Staat."
    Und ein Präsident. Der hieße auch nach der Verfassungsreform erst einmal Recep Tayyip Erdogan. Denn neu gewählt werden soll der Präsident erst Ende 2019 - ab dann alle fünf Jahre immer zeitgleich mit dem Parlament. Die Opposition lehnt den Verfassungsentwurf strikt ab: "Werden wir das zulassen? Werden wir das zulassen? Natürlich werden wir das nicht zulassen." Der Vorsitzende der kemalistischen CHP Kemal Kilicdaroglu spricht von Verrat an der Geschichte der Republik. Er stört sich vor allem daran, dass der Präsident das Recht erhalten soll, Minister zu ernennen und abzusetzen und das Parlament aufzulösen: "Es ist das Parlament, das den Willen des Volkes repraesentiert. Aber der Herr soll die Möglichkeit bekommen, eines Morgens aufzuwachen und zu sagen: Ich löse euch heute auf. Ein Grund? Wir dürfen nicht fragen. Das Recht soll uns genommen werden. Kann es so einen Staat geben. Darf das sein?"
    Erdogan beschwichtigt
    Befürworter des Präsidialsystems erwarten mehr Stabilität, da sich so Koalitionsregierungen oder Pattsituationen verhindern ließen. Die Türkei könne dann effektiver regiert werden. Oppositionsführer Kilicdaroglu widerspricht: "Wir müssen uns anhören, dass alles wieder gut werde, wenn wir erst einmal das Präsidialsystem haben. Aber das haben wir de facto doch sowieso schon seit zwei Jahren. Was hat sich denn in diesen zwei Jahre verbessert? Hat sich der Terror im Land verringert? Nein. Hat die türkische Lira an Wert gewonnen? Nein. Geht es der Wirtschaft super? Nein."
    Tatsächlich gibt Staatspräsident Erdogan auch heute schon die politischen Leitlinien vor. Der soeben verlängerte Ausnahmezustand erlaubt es ihm auch, die Kabinettssitzungen zu leiten und per Dekret zu regieren. Neben der CHP warnt auch die pro-kurdische Oppositionspartei HDP vor einem Machtmonopol des Präsidenten. Doch Erdogan beschwichtigt: "Das Deutsche Reich wurde parlamentarisch regiert. Doch dies bewahrte die Deutschen nicht vor der Hitler-Diktatur."
    Außer Erdogans AKP wollen die Nationalisten für die Verfassungsreform und damit für den starken Mann an der Spitze des Staates stimmen. Der Gesetzentwurf wurde in enger Abstimmung mit ihnen ausgearbeitet. Die AKP benötigt von der MHP mindestens 40 Stimmen, um das Volk in einem Referendum über die Verfassung abstimmen zu lassen. Mit der Volksabstimmung wird im Frühjahr gerechnet.