Manuela Klein, Personaldisponentin beim Südwestrundfunk, besucht die Fortbildung der Mainzer Fachstelle für Sexualisierte Gewalt - auf eigene Faust. Weil sie festgestellt hat, dass viele, mit denen sie arbeitet, ihr irgendwann Probleme anvertrauen. Und weil sie bei sich und einer Arbeitskollegin erlebt hat, wie sehr sexuelle Belästigung verunsichert. "Vielleicht war es nicht so traumatisierend für mich, aber unangenehm", sagt sie, "und ich habe nicht gewusst, wie ich mich verhalten soll und wem und ob ich das jemandem berichten soll."
Viele kennen keine Ansprechpartner
Damit gehörte Klein bis zur Fortbildung zu den 70, 80 Prozent der Beschäftigten, die nicht wissen, dass der Arbeitgeber sie aktiv vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen muss und die keine Ansprechperson in ihrem Betrieb kennen. "Bei mir persönlich habe ich das mit mir selber ausgemacht und bin der Situation aus dem Weg gegangen", berichtet Klein.
Zweideutige Witze, Starren in den Ausschnitt, eine zufällig wirkende Berührung am Knie – wie gehen Frauen am Arbeitsplatz damit um? Aus der Beratungspraxis weiß Anette Diehl, Fortbildnerin von der Mainzer Fachstelle für sexualisierte Gewalt, dass die überwiegend weiblichen Betroffenen im ersten Moment verunsichert und gelähmt sind und sich fragen:Meint er das jetzt nett oder ist es so, wie es sich für mich anfühlt, nämlich eklig und übergriffig. Hat er gerade eine Grenze überschritten? Ich kann es gar nicht richtig einordnen für mich. Es ist eher ein diffuses Gefühl von Angeekeltsein, Scham, Mitschuldgefühlen, die hilflos und ohnmächtig machen. Halten diese Selbstzweifel und die sexuelle Belästigung längere Zeit an, können sie zu Schlafstörungen und Depression führen, die Arbeitsmotivation rauben und am Ende arbeitsunfähig machen.
Am besten zwei Anlaufstellen
Da ist es gut, wenn es in Betrieben Ansprechpersonen gibt, die anonym und vertraulich beraten. Das ist nicht immer der Fall. Gesetzlich verpflichtet sind Arbeitgeber nur dazu, eine Beschwerdestelle einzurichten. Sie ist meist bei den Gleichstellungsbeauftragten angesiedelt. Wenn diese Stelle auch die Erstberatung übernimmt, fürchten viele Betroffene, zwangsläufig in ein offizielles Beschwerdeverfahren einsteigen zu müssen, so Anette Diehl: "Klarer wäre es, wenn es zwei getrennte Anlaufstellen gäbe: Es gibt die Erstberatung, die vertrauliche Stelle, wo das alles in aller Ruhe angeguckt wird. Und dann sagt die betroffene Person, jetzt würde ich es gern in eine Beschwerde münden lassen. Und dann wechselt man sozusagen den Raum. Die Erstberatung kann ja begleitend mitgehen und die Brücke machen und dann geht es in eine offizielle Beschwerde über." Dann wird der Fall mit Hilfe von Gedächtnisprotokollen und Zeugen-Anhörungen überprüft.
Am Städtischen Klinikum Karlsruhe ist die Beschwerdestelle an die Personalabteilung angedockt. "Auf mein Anraten hin hat man tatsächlich erst vor kurzem entschieden, sowohl Frau als auch Mann zu benennen in der Beschwerdestelle.": Für Birgit Mangold, Gleichstellungsbeauftragte am Klinikum Karlsruhe, ist wichtig, "dass die Menschen frei wählen können, denn es sind ja auch Frauen, die Frauen belästigen, und Männer die Männer belästigen, also es geht ja nicht immer über Kreuz. Und Kolleginnen, die von einer Frau belästigt wurden, sind ganz dankbar, wenn ein Mann als Ansprechpartner da ist."
Kosequenzen bis zur Kündigung
Sie wünscht sich, dass das Klinikum demnächst eine Betriebsvereinbarung zum Thema auflegt, wichtig wäre dabei ein Fahrplan, wie mit Vorwürfen sexueller Belästigung umzugehen ist. Ob eine Beschwerde berechtigt sei, darüber entscheide am Ende ein Gremium von Personalverantwortlichen und Führungskräften – so berichtet es die Mitarbeiterin einer Großstadt-Verwaltung, die anonym bleiben möchte.
"Ja, es gibt Grenzfälle und Graubereiche, und es ist sehr schwierig für eine Person zu entscheiden, was stimmt da, oder wie weitgehend muss man Maßnahmen einleiten. Das kann ja ziemliche Konsequenzen haben, bis hin zur Kündigung."
Sanktionen müssen angemessen sein, und Maßnahmen müssen die Situation der Betroffenen verbessern. So steht es im Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dass Menschen eine Beschwerde einreichen, nur um anderen zu schaden, sei "sehr unwahrscheinlich". Denn die Beschwerde koste die Betroffenen "viel Energie".