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Prävention
Sexualisierte Gewalt in der Altenpflege

Nach den Skandalen der letzten Jahre versuchen viele kirchliche Träger, stärker gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf minderjährigen Opfern, auch in der Altenpflege ist Präventionsarbeit nötig.

Von Ramona Westhof |
    Hände von älteren Menschen, die sich trösten
    Die Malteser schulen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Altenheime präventiv sexuelle Gewalt zu erkennen und anzusprechen. (imago stock&people)
    "Hier der Bistro-Bereich wird von allen möglichen Menschen einfach so genutzt, ansonsten ist hier auch Mittagessen, auch für die Bevölkerung im Umfeld, die kommen so hier rein, ein offenes Bistro, können essen und haben so immer regen Kontakt auch zu den Bewohnern."
    Heike Petzold ist Pflegedienstleitung im St. Nikolaus, einem Altenheim der Malteser in Duisburg. Am frühen Nachmittag ist nicht viel los im Bistro.
    Zwei Frauen, eine Bewohnerin und ihre Schwester, sitzen am Tisch und spielen Karten – auf dem Tisch liegen ein paar Münzen, daneben stehen zwei Gläser Bier. Die Gewinnerin zahlt.
    Eher Jugendherberge als Altenheim
    Das Bistro im weitläufigen Eingangsbereich des Pflegeheims erinnert an die Kantine einer Jugendherberge: ein Verkaufstresen für Getränke, Brötchen und Schokoriegel, einfache Stühle und Tische, zu Grüppchen zusammengestellt. An einer Litfaßsäule in der Mitte der Halle werben Plakate für Freizeitangebote und die Menü-App des Kantinenbetreibers. Es riecht nicht nach Krankenhaus und Desinfektionsmittel, sondern nach den belegten Brötchen in der Auslage.
    Die Malteser betreiben mehr als 30 Altenheime und andere Altenpflegeeinrichtungen. Seit 2017 gibt es dort ein spezielles Präventionsprogramm gegen sexualisierte Gewalt in der Altenpflege. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden darin geschult, sexualisierte Gewalt zu erkennen und anzusprechen. Dabei geht es auch um ganz grundlegende Fragen:
    "Wer kann denn Opfer sein, wer kann auch Täter sein, eben nicht nur der auffällig böse Mensch, sondern einfach der, der jahrelang neben mir arbeitet und dass wir alle ein bisschen genauer hingucken ohne permanent misstrauisch zu sein", so Heike Petzold.
    Trainings werden gut angenommen
    Das Präventionsprogramm ist Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die nach den Skandalen der letzten Jahre in kirchlichen Einrichtungen getroffen werden, um sexualisierte Gewalt zu verhindern. Noch sind nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult, die Trainings seien bisher aber gut angekommen, sagt Silke Bauschmann. Die Psychologin und Therapeutin hat die Trainings für die Malteser mitkonzipiert und auch einige der Schulungen durchgeführt. Viele konkrete Situationen, die dabei besprochen wurden, haben die Gruppen selbst eingebracht:
    "Das hat mich sehr beeindruckt, mit welchem Engagement die Malteser-Mitarbeitenden da auf das Thema zugegangen sind. Wir haben fast durchgängig eigentlich von vielen gehört, das war mal gut, sich in Ruhe auch wirklich zwei Tage in dieser Intensität mit dem Thema zu beschäftigen."
    Bauschmann betont, dass sexualisierte Gewalt selten mit Sex zu tun hat, vielmehr geht es um Dominanz und den Ausdruck von Macht. Auch das lernen die Pflegerinnen und Pfleger und ihre Führungskräfte in den Schulungen. Unter Gewalt fallen nicht nur strafbare Handlungen, sondern auch scheinbar alltägliche Kommentare und Berührungen:
    "Ich nehme jetzt mal als Beispiel eine Pflegekraft, die im Alltäglichen Hilfestellung bei der Körperpflege leistet. Da kann sexualisierte Gewalt da schon beginnen, dass ich etwas länger als eigentlich bräuchte, den Intimbereich berühre der zu versorgenden Person. Es geht also im Prinzip nicht um die eigentliche Handlung per se, sondern wenn es sich um Handlungen handelt, die über das Notwendige hinausgehen: einmal zu oft in den Arm nehmen, einmal zu oft ‚Schätzchen‘ sagen, einmal zu oft eventuell zu sagen, ‚Mensch, ich muss nochmal gucken, ob die Intimversorgung in Ordnung ist‘."
    Viele trauen sich nicht, Missbrauch anzusprechen
    Wie viele solcher Fälle es in der Altenpflege gibt, lässt sich schwer sagen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass 0,7 Prozent der über 60-Jährigen von sexualisiertem Missbrauch betroffen sind. Andere Studien vermuten, dass vor allem sehr alte Pflegebedürftige, ab 79 Jahren, gefährdet sind. Die Dunkelziffer dürfte in jedem Fall hoch sein.
    Patientinnen und Patienten sind mitunter stark auf das Pflegepersonal angewiesen, auch das ein Risikofaktor, erklärt Heike Petzold:
    "Wenn wir von unserem Klientel hier im Altenheim ausgehen, sind die ja in einer Abhängigkeit. Oft hört man den Spruch: ‚Ich möchte Ihnen keine Umstände machen‘, ‚Lassen Sie gut sein‘, ‚Ist nicht nötig' oder ‚Was soll ich denn sonst machen?‘ und das sind natürlich potentielle Opfer, die sich ganz spät vielleicht erst melden, die sagen, 'wenn ich den Mund aufmache, dann geht’s mir vielleicht noch schlechter und wenn ich hier nicht bleiben kann, wo soll ich denn hin'? Das sind natürlich Menschen, die schnell zum Opfer werden können. "
    Gewalt auch gegen Pflegekräfte
    Das Alter der Betroffenen dürfte ebenso eine Rolle spielen. Viele haben das offene Sprechen über Sexualität nie gelernt. Und auch der Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Partnerschaft hat sich erst in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt.
    Andersrum kann sexualisierte Gewalt aber auch von den älteren Patientinnen und Patienten selbst ausgehen. Manchen fehlt es schlicht an menschlichem Kontakt, erklärt Bauschmann: "Ihre Bedürfnisse nach Nähe und Zuwendung können letzten Endes nur gestillt werden über den pflegerischen Kontakt. Und da kann dann die alltägliche pflegerische Handlung auch missdeutet werden als Beziehungsangebot."
    Heike Petzold kennt Geschichten von älteren Herren, die gegenüber jungen Mitarbeiterinnen anzügliche Bemerkungen gemacht oder ihnen an den Hintern gefasst haben. Ihr ist es wichtig, dass im Team offen über solche Situationen gesprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht wird:
    "Was sagt man da, also wie wehrt man das ab verbal, muss die Pflegekraft ausgetauscht werden, reicht das? Ist der kognitiv so erreichbar, dass man sagen kann, also das ist eine grobe Grenzüberschreitung, das wollen wir hier nicht, dann ist es meistens auch erledigt. Und ist es eine kognitive Veränderung, dann muss man halt gucken, wie man im Pflegealltag damit gut umgehen kann."
    Petzold nimmt solche Fälle gelassen. Sie ist sich sicher, dass sie im Team gut aufgearbeitet werden. Manchmal eben auch mit unkonventionellen Mitteln:
    "Wir hatten einen unsere Bewohner, der regelmäßig masturbiert hat und nicht mehr so genau klar hatte, dass andere das vielleicht nicht so interessant finden. Und die Lösung war tatsächlich, dass er einen besonderen Platz hatte, an dem er sich ganz wohl fühlte, dass wir eine mobile Sichtschutzwand haben, die wir im Akutfall ganz schnell aufgebaut haben und irgendwann hat sich das dann gesundheitlich und altersmäßig auch erledigt. Aber naja, er war halt aktiv und man musste beide Seiten schützen."
    Schwere Fälle von sexualisierter Gewalt in ihr bekannten Altenheimen, Vergewaltigungen etwa, sind Heike Petzold noch nicht zu Ohren gekommen, sagt sie. Aber sie verfolgt die Berichterstattung zum Thema und weiß, dass auch das vorkommen kann. Die neuen Schulungen könnten dabei helfen, auch solche Fälle zu erkennen und aufzuklären. Oder ihnen im besten Fall vorzubeugen.