"Das sind Menschen, die freiwillig zu uns kommen und die wirklich einen unglaublichen Leidensdruck haben und alles dafür tun wollen, nie zum Täter zu werden."
Erzählt die Psychotherapeutin Kirsten Dammertz-Hölterhoff. Seit etwa vier Jahren leitet sie die Ambulanz für Menschen mit pädophilen Neigungen in Düsseldorf - die erste Einrichtung dieser Art in Nordrhein-Westfalen.
"Die Angstschwellen sind extrem hoch und deswegen ist es uns extrem wichtig, wirklich nicht nur sehr freundlich und wertschätzend, sondern wertneutral auch diesen Menschen zu begegnen. Weil sie vorher, ja, Angst haben vor Ablehnung und Stigmatisierung."
Sexuelle Neigungen: Schicksal, keine Wahl
Ablehnung hat auch Kirsten Dammertz-Hölterhoff oft gespürt, als sie die Ambulanz eröffnete. Nicht jeder Düsseldorfer fand es gut, dass hier in seiner Stadt Pädophile therapiert werden sollten. Bis heute ist der Ort, an dem sich die Therapie-Gruppen treffen, geheim. Auch ich darf nicht dorthin. Kirsten Dammertz-Hölterhoff trifft sich mit mir in einem Besprechungsraum der Uniklinik-Verwaltung.
"Was in der Öffentlichkeit immer noch mal dargestellt werden muss, dass sexuelle Neigung Schicksal und keine Wahl ist. Das ist, was immer noch falsch verstanden wird. Oder dass nicht jeder Pädophile gleichzeitig auch ein Missbrauchstäter ist."
Das ist auch dem Mann wichtig, der bereit ist, seine Geschichte zu erzählen. Er ist Mitte, Ende 20 und seit eineinhalb Jahren Teilnehmer des Projekts. Der Mann ist bereit, zu reden - aber ohne erkannt zu werden. Seine Stimme lassen wir deshalb nachsprechen.
"Die Angst ist immer da. Ich sage auch immer, bei dem aktuellen Stand unserer Gesellschaft wäre ein Öffentlich-Werden, wäre ein gesellschaftlicher Selbstmord."
Der Mann wirkt freundlich, gutmütig, sanft. Er spricht leise, aber ohne Scheu. Man merkt: Bei Kirsten Dammertz-Hölterhoff hat er gelernt, über sein Geheimnis zu sprechen. Die Psychotherapeutin und ihr Team aus Verhaltens- und Sexualtherapeuten bieten verschiedene Therapieformen an. Größtenteils treffen sich die Teilnehmer zu Gruppentherapien.
"Ich glaube, dass Wichtigste an der Therapie ist, dass man endlich über sein Problem reden kann. Dass man nicht mehr mit seinem Problem alleine ist. Weil jeder geht hin, wenn er irgendein Problem hat, und spricht Freund oder Freundin an, mal auch einen Arbeitskollegen, wenn es was Kleineres ist, und holt sich eine zweite Meinung ein. Das kann man einfach bei dem Thema nicht machen."
Jahrelang war der Mann mit seinen Gefühlen alleine. Mit seiner Abneigung gegen sich selbst. Mit seiner Ohnmacht gegenüber den eigenen Empfindungen und der Frage: Warum?
"Das fing eigentlich schon in der Pubertät an. Als dann alle anderen in der Klasse - wir sind ja Generation Smartphone - die ersten Foto-Handys tauchten auf und man hat sich gegenseitig Bilder gezeigt von Frauen mit großen Brüsten und so und das hat mich null interessiert."
Viele Pädophile leiden unter ihrer Neigung
Damals dachte er: Egal, ich bin vielleicht ein Spätzünder. Je älter er wurde, desto mehr merkte er aber - das geht nicht weg. Die Mädchen ohne weibliche Kurven gefallen mir immer noch viel besser.
"Dann habe ich das aber ganz lange versucht, zu ignorieren. Weil man wollte das ja auch nicht wahrhaben. Weil man hat ja jahrelang beigebracht bekommen, was das für Menschen sind - die, die auf kleine Mädchen stehen."
Monster, Kriminelle, Gewalttäter. Dabei sind die meisten Missbrauchstäter gar nicht pädophil. Solche Straftaten sind häufig sogenannte Ersatzhandlungen. Manchmal sind sie sadistisch begründet, eine reine Machtausübung. Und Pädophile - sie sind bei Weitem nicht alles Straftäter, sie leiden mitunter am meisten unter ihrer sexuellen Neigung.
Dennoch: Damit Pädophile auch wirklich keine Täter werden, gibt es mittlerweile ein gleichnamiges Präventionsnetzwerk. In Berlin fing es 2005 an, mittlerweile hat das Netzwerk bundesweit elf Standorte. Die Düsseldorfer Ambulanz hat nach Berlin den meisten Zulauf. Knapp 1.500 Anfragen haben Kirsten Dammertz-Hölterhoff und ihr Team in den letzten vier Jahren erreicht.
"Schuldgefühle wurden immer größer"
Der Mann, einer ihrer Teilnehmer, erzählt, dass er nie übergriffig geworden ist - und für sich auch absolut ausschließe, dass das einmal passieren könnte. Aber er habe Bilder im Internet angeschaut. Verbotene Bilder.
"Ich war einfach total alleine damit, ich hatte keine Ahnung, wie ich irgendwas in den Griff bekommen soll. Ich habe immer wieder versucht, damit aufzuhören, einfach den Computer ganz auslassen, alles Mögliche - aber es hat einfach nie lange funktioniert."
Damals, mit vielleicht Anfang 20, sei es für ihn irgendwann kaum noch auszuhalten gewesen, erzählt der Mann. Denn er wusste ja, dass er etwas Schlimmes tut. Dass das alles nicht sein darf, dass diese Bilder gar nicht existieren dürften.
"Diese Schuldgefühle wurden immer größer, aber nach außen hin kann man das keinem zeigen, weil sobald jemand fragen würde, hätte man keine Antwort: Warum bist Du jetzt so schlecht drauf? Warum hast Du Depressionen? Also verschweigt man das einfach und setzt sich eine Maske auf und lächelt in den Tag hinein und das 365 Tage im Jahr."
Irgendwann kamen dann diese Gedanken: Wenn es ihn nicht mehr gäbe, dann könnte er auch die Bilder nicht mehr anschauen. Wäre dann alles wieder gut?
"Das war dann der Zeitpunkt, wo ich mich an meine beste Freundin gewandt habe."
"Sie hat kein Wort der Verachtung oder sonst irgendwas gesagt. Sondern, sie hat mich in den Arm genommen und gesagt: Wir schaffen das."
Keine Heilung, aber lernen damit umzugehen
Diese Freundin habe dann recherchiert und die Ambulanz in Düsseldorf gefunden. So sei er hierhergekommen - und habe gelernt, diese bestimmte Seite an ihm zu akzeptieren, denn ein "Heilen" gibt es nicht.
"Ich hatte die naive Hoffnung, als ich hierhin gekommen bin, dass mir jemand sagt: Ja, man kann es heilen, auch wenn ich eigentlich wusste: Kann man nicht. Damit werde ich wohl mein Leben lang auskommen müssen."
Kirsten Dammertz-Hölterhoff:
"Pädophilie kann in den Hintergrund treten."
Die Teilnehmer der Therapiegruppen lernen deshalb, andere Alternativen zu entwickeln und Hobbys zu stärken. Der Mann sagt, er habe gelernt:
"Es ist in Ordnung, dass man gute Seiten hat und dass man sie auch wertschätzt."
Mittlerweile wissen auch viele seiner Freunde Bescheid - und akzeptieren sein Geheimnis.
"Die sagen: Okay, ist so, das ist für Dich sicherlich schwierig, aber Du hast Dir Hilfe geholt, gehst damit um, das ist in Ordnung."
"Im Prinzip geht es darum, mehr Lebenszufriedenheit zu bekommen. Raus aus einer Isolation aufgrund der Angst, stigmatisiert zu werden."
Kirsten Dammertz-Hölterhoff sagt, das sei eine sehr wirksame Vorbeugung gegen mögliche Straftaten: Zufriedenheit. Wer zufrieden sei und eingebunden in ein funktionierendes soziales Leben, könne lernen damit umzugehen, pädophil zu sein.