Das Schiff hat gerade angelegt, hier am Steg, der mitten in Prag in die Moldau hineinragt. Ein riesiger Lastkahn ist es, und vorne auf dem Deck erhebt sich wie eine riesige Gallionsfigur meterhoch eine steinerne Marien-Statue in den Himmel. Drei Tage war die Besatzung unterwegs auf Elbe und Moldau bis hier nach Prag, eine Truppe aus Geistlichen, Bildhauern und Unterstützern, jetzt klettern die Schiffsfahrer über einen schmalen Holzsteg hinunter an Land.
Ich will anstoßen auf die Geschichte der Jungfrau Maria! - ruft einer, und alle greifen zu den Sektgläsern, die am Ufer vorbereitet sind.
Hier an der Moldau direkt unter der Karlsbrücke soll jetzt das letzte Kapitel einer Geschichte beginnen, deren Anfang einige Jahrhunderte zurückliegt. Etwas mehr als 500 Meter sind es von hier aus zum Altstädter Ring, dem historischen Platz mitten im Prager Zentrum, wo die Mariensäule aufgestellt werden soll.
Fast am Ziel
Vor dem Schiff stimmen die Mitglieder der Bürgerinitiative, die sich für die Wiedererrichtung der Mariensäule einsetzt, jetzt Marienlieder an. Sie haben nach zwei Jahrzehnten Restaurationsarbeiten eine Baugenehmigung und wähnen sich fast am Ziel. Aber inzwischen zeigt sich: Ganz so einfach wird es nicht mit dem Denkmal, das in Tschechien schon länger für leidenschaftliche Debatten sorgt.
"Wir haben die Sorge, dass die Wiedererrichtung der Säule ein weiteres Symbol wird für die unselige Expansion von konservativen bis ultrakonservativen Strömungen innerhalb der katholischen Kirche in den öffentlichen Raum. Sie führt nicht zur Versöhnung, sondern kann neue Fehden hervorrufen. Es wäre sicher gut, wenn die Säule zu sehen ist – aber in einem Museum, begleitet von fundierten Ausführungen zu ihrer widersprüchlichen Geschichte."
Errichtung und Zerstörung
Die Geschichte: Sie reicht zurück bis ins 17. Jahrhundert. Im Jahr 1620 besiegten die Truppen der katholischen Liga die protestantischen böhmischen Stände in der "Schlacht am Weißen Berg" vor den Toren Prags – eine Schlacht, die bis heute auf viele Tschechen traumatisierend wirkt. Für fast 300 Jahre gewannen die Habsburger den Einfluss über Böhmen und Mähren – und mit ihrer Herrschaft begann eine teils brutale Re-Katholisierung des Landes, in dem zuvor die Lehre des Reformators Jan Hus weiten Zuspruch gefunden hatte.
Rund 30 Jahre nach der Schlacht am Weißen Berg, nach dem Westfälischen Frieden, wurde auf dem Altstädter Ring die Mariensäule errichtet. Dort stand sie bis ins Jahr 1918 – damals, kurz nach der Gründung der Tschechoslowakei, stürzte ein aufgebrachter Mob sie vom Sockel. Beide Ereignisse spielen heute in der Diskussion um einen Wiederaufbau die tragende Rolle – sowohl die Errichtung als auch die Zerstörung. Das tschechische Fernsehen widmete dem Thema eine ganze Talkshow. Philosoph Miroslav Bednar von der Akademie der Wissenschaften sagte darin:
"Das war keine halbverrückte Masse, wie es heute manchmal heißt, sondern eine organisierte Aktion, die den freien Willen der meisten Bürger der tschechoslowakischen Republik ausdrückte."
"Siegreiche Jungfrau"
Was er nicht mehr sagt: Die Masse konnte nur mit Mühe gehindert werden, auch noch die berühmten Heiligenstatuen in die Moldau zu stürzen, die die Karlsbrücke flankieren. Bednar macht seine Kritik an einer Inschrift auf dem Sockel der Mariensäule fest.
"Darauf heißt es: Ein Denkmal für den Sieg des Katholizismus über ein ketzerisches Königreich. Es geht um das böhmische Königreich, für das die Religionsfreiheit charakteristisch war. Wir reden von der Säule der 'Siegreichen Jungfrau Maria', wie sie ja heißt; ich wiederhole: siegreich."
Ein Zeichen des Triumphes der Habsburger über die Tschechoslowaken – so legen viele Gegner der Mariensäule die Symbolik aus. Und das, obwohl 1915 ein monumentales Denkmal für den Reformator Jan Hus direkt neben der Mariensäule errichtet wurde – ein Denkmal, das bis heute dort steht mit einem steinernen Jan Hus, der direkt hinüberschaute zur Jungfrau Maria.
"Mehr Nationalismus und Intoleranz"
Und wie sieht die Kirche das Tauziehen um die Mariensäule? Daniel Zenaty ist Synodalsenior der protestantischen Kirche der Böhmischen Brüder und Vorsitzender des ökumenischen Rats, in dem elf tschechische Religionsgemeinschaften versammelt sind.
"Gerade gestern haben wir uns getroffen, und wir konnten uns nicht einigen. Es gibt Kirchen, die darin überhaupt kein Problem sehen, und es gibt Kirchen, für die es aus tiefstem Herzen unvorstellbar ist."
Er selbst halte eine Wiedererrichtung der Mariensäule für falsch, eben weil sie an die Niederschlagung der Protestanten erinnere. Aber seine Kirche werde auch keine Proteste organisieren, wenn die Mariensäule denn aufgebaut werden sollte. Daniel Zenaty hat einen anderen Verdacht, und der wird in ihm wach, wenn sich auf einmal viele Tschechen, die mit den Kirchen nichts am Hut haben, auf die protestantische Tradition berufen, um gegen die Mariensäule vorzugehen.
"Das sind irgendwelche Reste eines religiösen Denkens, das ich nicht verstehe. Es ist mehr mit Nationalismus und Intoleranz verbunden als mit dem Glauben – das ist mir zuwider."
Tatsächlich mischen sich in der Debatte um die Mariensäule politisch-historische Erwägungen mit religiösen Empfindungen – und dass die Religion in Tschechien bis ins 20. Jahrhundert hinein wegen der österreichisch-ungarischen Monarchie als politisch empfunden wurde, ist eine der Wurzeln für die heutige Glaubensferne. Nach der jüngsten Volkszählung bekennen sich gerade einmal elf Prozent der Tschechen zu einer Religionsgemeinschaft.
Die Zeit läuft ab
Fragen wie die nach der Restitution von verstaatlichtem Kircheneigentum werden deshalb zu einem politischen Minenfeld – so wie jetzt eben auch die Debatte um die Mariensäule. Bei ihr ist jetzt die Politik am Zug: Vor zwei Jahren stellte die Stadt Prag schon eine Baugenehmigung aus. Aber nach tschechischem Recht genügt das nicht; nötig ist auch eine Art Bescheinigung, dass auf öffentlichem Grund die Baustelle errichtet werden darf. Eigentlich eine Formalie – aber die verweigern die gegenwärtigen Stadträte. Das Problem: In wenigen Wochen verfällt die Baugenehmigung, wenn bis dahin nicht der Grundstein gelegt ist. Hinter dem Timing stecke reines Kalkül, schimpft ein Befürworter der Mariensäule:
"Der Grund ist Antiklerikalismus und Bilderstürmerei. Manche politische Parteien wie die Piraten, die den Oberbürgermeister stellen, sehen den Glauben als etwas Ungehöriges. Sie erkennen nicht einmal den kunsthistorischen Wert dieser Säule an."
Boot und Barock
Auf dem Frachtkahn unter der Karlsbrücke hat Petr Vana jetzt sein Bildhauer-Atelier aufgebaut. Der Restaurator hat die Mariensäule in den vergangenen 20 Jahren wiederhergestellt.
"Jetzt muss ich noch zwei Kleinigkeiten fertigmachen, vor allem hier diesen Teil des Gesimses."
Vana hat bereits für das tschechische Nationalmuseum gearbeitet, für die Prager Burg und viele andere Auftraggeber; er zählt zu den renommiertesten Bildhauern des Landes. Die Marienstatue soll sein Meisterwerk werden; an ihr arbeitet er ehrenamtlich, nur das Material bekommt er von Unterstützern gestellt.
"Die Statue hat der Bildhauer Jan Jiri Bendl in den Jahren 1648 bis 1651 geschaffen. Sie wurde aufgestellt als Dank für die Errettung Prags vor den Pestzügen und vor der Übermacht der Schwedischen Soldaten, die damals die Stadt belagerten. Interessiert ist: Als ich angefangen habe, an dem Projekt zu arbeiten, habe ich verstanden, was sie eigentlich bedeutet: Es ist die erste Barockstatue in Böhmen – der Beginn des Steinernen Prags, das Sie hier überall sehen. Klar, vorher gab es das gotische und davor das romanische Prag, aber das barocke Prag hat seinen Ursprung in dieser Statue hier."
In weit über hundert Teile liegt die Mariensäule jetzt auf dem Frachtschiff verteilt. Das meiste sind Repliken der zerstörten Originalteile, deren Überreste in einem Lapidarium aufbewahrt werden. Die neuen Sandstein-Elemente müssen nur noch zusammengesetzt werden: Die Grundsteine, ringsum eine kunstvolle Balustrade mit Geländer, mittendrin die meterhohe Säule, auf der schließlich die Statue der Jungfrau Maria thront.
"Ich habe am Anfang nicht geahnt, dass das so eine politische Sache wird. Für viele ist es eine Herzensangelegenheit, und das schlägt eben auf die Politik durch: Manche sind begeistert davon, andere sind aus verschiedenen Gründen verletzt."
Wie es jetzt weitergeht, werden wohl die Politiker entscheiden – und die Gerichte. Die Bildhauer jedenfalls, sagt Petr Vana, haben ihre Arbeit gemacht. Wenn es doch noch klappt mit allen nötigen Genehmigungen, könne die Säule innerhalb von drei Wochen schon stehen.