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Pragmatisch und selbstbewusst

Perspektivlos, antriebslos, politisch uninteressiert? Im Gegenteil: Laut der 16. Shell-Jugendstudie blicken 59 Prozent positiv in ihre persönliche Zukunft. Doch auch Unsicherheiten sind aus den Ergebnissen ablesbar.

Von Bettina Mittelstrass |
    "Hätten Sie mich vor einem Jahr gefragt, wie sich die Wirtschaftskrise, die immer unsicher werdenden Berufsverläufe, sowie der vielerorts berichtete Druck in Schule und Hochschule, der auf den Jugendlichen lastet, auf die heutige junge Generation der 12 bis 25-Jährigen in Deutschland auswirkt, dann hätte ich wohl ziemlich überzeugt gemutmaßt, dass dieser Generation dass dieser Generation das ganz schön auf die Stimmung schlägt. Aber ich hätte mit dieser Mutmaßung auch ziemlich daneben gelegen."

    Denn die junge Generation in Deutschland, so das zentrale Ergebnis der 16. Shell Jugendstudie, ist nicht zerknirscht. Im Gegenteil. Gefragt nach ihrer Lebenssituation, ihren Plänen und Perspektiven blicken 59 Prozent zuversichtlich in ihre persönliche Zukunft. Das sind fast zehn Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Hört man sich unter jungen Studierenden in Berlin vor der Universitätsbibliothek im Grimm Zentrum um, bestätigt sich dieses Ergebnis schnell.
    "Ich glaube, wir sind alle ganz optimistisch, ja."

    "Für mich persönlich - ich ... konnte sehr gut mir überlegen, was ich eigentlich machen möchte. Und da ich damit einfach sehr glücklich bin, ... bin ich sehr sehr zuversichtlich, dass ich in dem Bereich auf jeden Fall bleiben werde und gut sein werde und das auch irgendwie eine Zukunft hat. Das auf jeden Fall."

    "Und dann - klar - auch Uni als seinen Job und seine Arbeit ansieht und nicht schleifen lässt. Ich glaub, wenn man das wirklich macht, kann man durchaus auch zuversichtlich sein."

    Katharina ist 20 Jahre alt und studiert an der Universität Potsdam Psychologie. Hanna studiert an der Freien Universität Berlin Philosophie und Literaturwissenschaften. Beide jungen Frauen sind optimistisch, weil sie das persönliche Wohlbefinden mit der beruflichen Weichenstellung zusätzlich mit Zielstrebigkeit verbinden. Diese selbstsichere Haltung der beiden Studentinnen deckt sich mit den Ergebnissen der Studie. Matthias Albert, Professor für Politikwissenschaft an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld und ver-antwortlich für Konzeption und inhaltliche Ausrichtung der Studie.

    "Insgesamt zeichnet die neue Shell Jugendstudie das Bild einer Generation, die pragmatisch und selbstbewusst ist. In ihren Werteinstellungen kommt zum Ausdruck, dass Fleiß und Ehrgeiz hoch im Kurs stehen, dabei aber das Spaß haben und das Leben genießen nicht zu kurz kommen dürfen."

    Seit der Jugendstudie von 2002 sprechen die Wissenschaftler von der "pragmatischen Generation." Die Zuversicht ist nicht naiv, sondern junge Menschen in Deutschland wissen offenbar sehr genau, was auf sie zukommt und stellen sich positiv darauf ein - so wie Nora und Ihre Kommilitonen, die an der Humboldt Universität studieren:

    "Ich glaube schon, dass tendenziell schon eine Krisenstimmung bei Studenten vorhanden ist, einfach weil man weiß, dass der Arbeitsmarkt ziemlich überlaufen ist und dass die Anforderungen auch immer härter werden. Das heißt, dass der Konkurrenzkampf auch immer härter wird. Wir studieren jetzt alle Jura, von daher wissen wir, dass die Konkurrenz jetzt sowieso groß ist. Da, würde ich sagen, hat sich in den letzten vier Jahren wahrschein-lich auch nicht so viel verändert."

    Die Antwort ist nicht nur persönlicher Ehrgeiz. Junge Menschen sehen auch sehr klar, dass es Voraussetzungen gibt, die sie nicht immer in der eigenen Hand haben.

    "Zielstrebigkeit - ja. Und es müssen auch Grundanforderungen schon da sein. Also man muss die Möglichkeit haben, einen Bildungsweg einzugehen, der finanzielle Rückhalt muss auch da sein."

    "In einer Generation, der es grob gesprochen gut geht, die pragmatisch, leistungsbereit und zuversichtlich bleibt, wird die soziale Kluft zu den je nach Zählweise 10 bis 15 Prozent sozial benachteiligten, abgehängten Jugendlichen in mehrfacher Hinsicht - das zieht sich durch viele Einzelergebnisse der Studien durch - größer. Diese Kluft wird größer."

    Unter den Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien blicken nur 33 Prozent zuversichtlich in die Zukunft. Der Schulabschluss ist der Schlüssel zum Erfolg, und der hängt in Deutschland so stark wie in keinem anderen Land von der sozialen Herkunft ab. Das bestätigt die Studie einmal mehr. Um diese Zusammenhänge wissen auch die Studierenden.

    "Für die Leute ergibt sich halt häufig überhaupt keine Perspektive. Und solange ich keine Perspektive habe, weiß ich auch nicht, worauf ich hinarbeiten kann, und hab halt auch nichts, wo es sich lohnt für zu arbeiten oder tatsächlich auch vorwärtszukommen. Ich glaube, dass die Leute das Ganze deswegen perspektivloser sehen, ja."

    Interessante Ergebnisse für die Bildungspolitik liefert die Studie auch an anderer Stelle. Mit der viel beschworenen Politikverdrossenheit unter Jugendlichen könnte vielleicht bald Schluss sein.

    "Wenn ich mich politisch engagiere, dann wären mir die wichtigsten Themen Bildung. Ich könnte mich wirklich dauerhaft über viele Sachen im Bildungssystem aufregen."

    "Wir sehen bei der heutigen jungen Generation erste Anzeichen einer Re-Politisierung","

    so Matthias Albert auf der Bundespressekonferenz in Berlin. Aber das bedeutet noch nicht, dass sich die Jugend wieder in Massen auf die Straße begibt oder parteipolitisch organisiert.

    ""Aber was wir vorfinden, ist ein unglaublich großes, in Teilen bislang schlummerndes, politisches Aktivitätspotenzial. Fragt man Jugendliche, wie hoch ihre Bereitschaft ist, politisch aktiv zu werden, dann geben 27 Prozent eine Bereitschaft, 22 Prozent eine eher höhere Bereitschaft und 18 Prozent eine hohe Bereitschaft an. Das sind zusammen genommen 77 Prozent der Jugendlichen."

    "Also in meinem Umfeld habe ich nicht gemerkt, dass sich die Leute mehr engagiert hätten. Sondern die Leute haben sich informiert und haben auch darüber geredet, aber politisch aktiv, da stelle ich mir tatsächlich vor, dass man vielleicht irgendeine Demonstration organisiert oder zumindest regelmäßig daran teilnimmt oder vielleicht in irgendeiner Partei aktiv ist und das kenne ich jetzt in meinem Umfeld so nicht."

    "Fragt man dann weiter, was denn als politische Aktion infrage käme, dann steht nicht ganz überraschend die Bereitschaft, auf einer Unterschriftenliste zu unterschreiben an oberster Stelle, gefolgt vom Boykott von Waren aus politischen Gründen, und immer hin 44 Prozent der Jugendlichen wären bereit, sich an einer Protestveranstaltung zu beteiligen."

    Für die Frage, ob politische Aktivität ja oder nein könnte das Internet zukünftig eine größere Rolle spielen als bisher. Vor allem der jüngere Teil der Jugendlichen sei, so Matthias Bert, voll im Internet präsent und politisch interessierter als noch vor vier Jahren.

    "Es gibt tatsächlich eine Gruppe von Jugendlichen, die sich gut vorstellen können sich im Internet zu engagieren, das sind 37 Prozent, und 11 Prozent machen dies auch schon de facto."

    Die Soziologin Sibylle Picot von TNS Infratest, die an der Ausarbeitung der Studie beteiligt war, beschäftigt sich vor allem mit Jugend und Engagement. Die Frage ist, ob die Jugendlichen den Schritt von der Virtuellen in die reale Welt machen.

    "Das ist ja das Spannende, dass jetzt solches Internetengagement mit dem Handeln auf der Straße verquickt wird durch diese Aktionen wie Flashmobs und solche Geschichten, wo man durch Twitter und die neuen Kommunikationstechnologien einfach Möglichkeiten schafft, Engagement sehr viel schneller zu koordinieren und dann eben auch in faktisches Engagement, in faktische politische Aktion münden zu lassen. Das ist was ungeheuer Spannendes, was man sicher vonseiten der Forschung auch sehr beobachten muss."

    Die Philosophiestudentin Hanna ist da selbst eher skeptisch.

    "Es gibt dann online Petitionen und so weiter, aber das ist dann doch in so einem Modell von zwei Parallelwelten, sag ich mal, dass einfach das, was online passiert, nicht sonderlich viel Einfluss nimmt auf das, was man so in zwischenmenschlichen Kontakten so in der Praxis hat, also im praktischen Leben, ganz nah."