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Praktische Erfahrungen zeigen positive Auswirkungen von Hartz IV

Remme: Morgen wird im Bundesrat abgestimmt über Hartz IV. Es entsteht offenbar eine Spaltung zwischen dem Westen der Republik, der Mehrheit der Bundesländer, und dem Osten. Diese Bundesländer wollen Hartz IV nicht zustimmen, weil sie die Ausgewogenheit bezweifeln zwischen dem Gedanken des Forderns, also dem Kürzen von Mitteln für Langzeitarbeitslose, und dem Fördern, nämlich dem Bemühen, diese Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Helga Hackenberg arbeitet für die Bertelsmann-Stiftung, und sie war Leiterin eines Projekts, das in den vergangenen Jahren durchgeführt wurde und das bereits untersucht hat, inwieweit diese gemeinsame Betreuung, so wie es jetzt geplant ist, von Langzeitarbeitslose durch kommunale Träger und die damalige Bundesanstalt für Arbeit funktionieren kann. Frau Hackenberg, wie sah dieses Projekt konkret aus?

    Hackenberg: Nun, wir haben im Jahre 2000 schon erheblichen Bedarf bei den Integrationsleistungen für so genannte Problemfälle am Arbeitsmarkt, nämlich vornehmlich die Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, deutlich gemacht. Wir haben uns dann entschieden, gemeinsam mit Kommunen, gemeinsam mit Kollegen der Arbeitsverwaltung, Wissenschaftler anderer Institutionen so wie Kammern, Verbände etc. ein bundesweites Netzwerk aufzustellen. Beteiligt waren 24 Kommunen insgesamt. Das ging quer durch die Republik von Rostock bis Reutlingen, Tübingen, von Köln bis Elbe Elster, immer mit der Frage, was können wir tun, wo können wir jeweils unsere Zusammenarbeit, unseren institutionellen Aufbau verbessern, kritisch nachgucken, immer mit der Stoßrichtung eines besseren Förderns der Menschen, die wirklich viele unterschiedliche Hilfsangebote brauchen, und weniger die Frage nach der finanziellen Ausstattung im Sinne des Aspektes des Forderns, der ja in den letzten Monaten sehr stark in den Vordergrund getreten ist.

    Remme: Und wie sah das konkret aus?

    Hackenberg: Ganz konkret haben unter der Schirmherrschaft der Bertelsmann-Stiftung des gesamten Netzwerkes sich fünf Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten gebildet. Die reichten dann auch wieder von Vergleichsanalysen über einer gemeinsamen Fortbildung von Fachleuten der Arbeitsämter, der Kommunen und so genannter Dritter, hin bis zu einem tiefen Profiling. Ein letztes Projekt nannte sich WINK IV, Wirtschaft im Netzwerk mit Kommunen. Lassen Sie mich an dem letztgenannten Beispiel ganz kurz ausführen, wie praktisch unsere Arbeit war. Da haben sich nämlich Kommunen zusammengefunden bei den Landkreisen, die ja sehr stark in der Fläche verteilt sind, und die direkte Arbeitgeberansprache stand da im Vordergrund, auch mit der Stoßrichtung, dass wir einen starken Fachkräftemangel haben, der in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Da war die Idee, was kann ich tun, wenn neue Unternehmen sich ansiedeln, mit knappen Fachkräften, wie kann ich die entlasten? Das heißt, können wir so etwas wie Helfertätigkeiten wiederbeleben? Die sind in den letzten Jahren ja ganz stark zurückgefahren worden, ganz problematisch für Leute ohne abgeschlossene Schulausbildung, Berufsausbildung.

    Remme: Was sind das, Helfertätigkeiten?

    Hackenberg: Einfache Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Lager sortieren, für die Fachkräfte, für deren Arbeitsablauf wirklich so etwas wie eine Vorsortierung, Unterstützung direkt zu bringen. Da war die Frage, können wir den Unternehmen Leute anbieten, wo wir sicherstellen, dass, wenn sie einen ganz speziellen Bedarf haben, wir als Sozialamt sagen, das können wir dir Unternehmen zur Verfügung stellen, kurzfristig und so, dass sich die Arbeitgeber darauf verlassen können, dass wirklich eine Entlastung im Betrieb, im Unternehmen stattfindet. Lassen Sie mich auch das mit einer Zahl belegen. Also es geht da tatsächlich um Leute, wo eigentlich gesagt wird, die haben kaum eine Chance auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt. Es ist in knapp elf Monaten gelungen, tatsächlich 40 solcher neuen Stellen zu schaffen.

    Remme: Was folgt daraus als Ergebnis dieses Projektes für eine möglicherweise bundesweite Anwendung?

    Hackenberg: Dass die verschiedenen Akteure mit ihrem wirklich jeweiligen arbeitsmarktpolitischen Know-how tatsächlich ganz stark zusammenarbeiten sollten. Die müssen nicht alles gemeinsam machen, sondern jeder sollte das, was er am besten kann, einbringen. Da haben die Kommunen in den letzten Jahren sicherlich den Vorteil, die wissen genau, wo ihre Kunden sitzen, was der regionale Arbeitsmarkt, der lokale Arbeitsmarkt ganz stark braucht. Da ist Köln zum Beispiel auch ein gutes Beispiel - Grüße Sie auch, Frau Jung. Köln hat vor Jahren angefangen, in einer ganz engen Zusammenarbeit zu gucken, was brauchen die einzelnen Kunden, was brauchen Jugendliche, um tatsächlich, wenn sie keinen Abschluss haben, wieder schnell in Arbeit zu kommen? Jugendliche ist sicherlich die Problemgruppe der Zukunft schlechthin, und wir müssen alles daran setzen, gemeinsam mit allen Akteuren Jugendlichen eine wirkliche Perspektive zu geben in dem Arbeitsmarkt und sie nicht langfristig versorgen, alimentieren nur über Geldleistungen, sondern sagen, auch du findest einen Platz und wir helfen dir dabei.

    Remme: Das Projekt ist ja insoweit abgeschlossen. Ein Abschlussbericht liegt vor. Glauben Sie, dass nun mit dem, was innerhalb von Hartz IV geplant ist, dieser Gedanke erfolgsversprechend weitergeführt wird?

    Hackenberg: Das glaube ich fest, weil auch verschiedene Punkte aus dem Projekt sehr wohl bei Hartz eingeflossen sind, wie zum Beispiel diese gemeinsame Fortbildung zum Filemanager, die ganz stark auf dem hier entwickelten Curriculum, auf dieser Weiterbildung fußt. Insofern bin ich guter Hoffnung, wenn wir jetzt noch mal Rückenwind in diese Reform kriegen, dass sich da wirklich gute Erfolge einstellen werden.

    Remme: Helga Hackenberg war das über dieses Projekt. Bei mir im Studio ist Birgit Jung. Sie leitet zusammen mit einer anderen Person das Jobcenter in Köln, ein Modellprojekt, das sehr gute Noten bekommen hat, wenn es um die gemeinsame Betreuung von Langzeitarbeitslosen ging. Frau Jung, was haben Sie anders gemacht als andere?

    Jung: Wir hatten ja viele Mistreiter. Es gab ja bundesweit über 30 ähnliche Projekte, die gefahren wurden. Was in Köln vielleicht anders ist als in anderen Kommunen, ist, das wir, das heißt Stadt und Agentur für Arbeit, schon seit Mitte der neunziger Jahren sehr eng zusammenarbeiten und von daher diese Zusammenarbeit in Köln auch schon eine recht lange Tradition hat und uns auch schon sehr lange bewusst war, wo die Probleme liegen. Es kann nämlich überhaupt nicht sein, dass zwei Institutionen nebeneinander die gleichen Personen betreuen. Jeder plant für sich und kommt zu keinem guten Ergebnis.

    Remme: Wenn Sie mal die Welt vor dem Jobcenter und nach dem Jobcenter skizzieren, wo sind die Unterschiede?

    Jung: Die Unterschiede liegen ganz klar darin, dass wir ja bis Mitte, Ende der neunziger Jahre jeder für sich gearbeitet haben, das heißt, die Stadt Köln hat für ihre Sozialhilfeempfänger geplant und gearbeitet und wir für die Arbeitslosenhilfeempfänger und auch für die Sozialhilfeempfänger. Das heißt, beide Institutionen habe gleiche Personen und auch dieselben Personen betreut, aber ohne sich über Hilfeplanung oder Fortplanung überhaupt abzustimmen.

    Remme: Und wenn Sie jetzt mal ein Beispiel aufziehen einer Person, die zu Ihnen kommt, wie sieht die Betreuung heute aus?

    Jung: Die Betreuung sieht folgendermaßen aus, dass jemand, der Hilfe braucht, ins Jobcenter Köln kommt, dort einen Termin bei seinem Filemanger erhält - das ist ein Mitarbeiter der Stadt Köln. Der Filemanager bespricht mit ihm, welche Ursachen überhaupt da sind, dass er arbeitslos ist, dass er einen Hilfebedarf hat. Er macht eine sehr umfangreiche Sozialanamnese, wie wohnt der Mensch, was hat er für Schwierigkeiten, hat er Schulden, familiäre Probleme, Suchtproblematik etc. Wenn der Filemanager dann der Auffassung ist, dass dieser Mensch arbeiten kann, also vermittlungsfähig ist, die Probleme nicht so gravierend sind, dann übergibt er quasi dem Arbeitsvermittler der Agentur den Kunden im Rahmen einer so genannten "warmen Übergabe". Wir nennen das deswegen so, weil wir den Kunden nicht alleine laufen lassen, nicht wieder zur Agentur für Arbeit schicken, sondern der Filemanager und der Arbeitsvermittler sitzen Tür an Tür, und der Filemanager bringt den Kunden quasi zum Arbeitsvermittler.

    Remme: Und haben Sie mal Zahlen, inwieweit es schon gelungen ist, diese Menschen dann wieder sogar in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?

    Jung: Wir sind ja während der Projektlaufzeit auch wissenschaftlich evaluiert worden durch das INFAS-Institut, und knapp 49 Prozent unserer Kunden - und das waren immerhin knapp 15.800 - sind in Arbeit vermittelt worden in den ersten Arbeitsmarkt.

    Remme: Wenn wir jetzt mal auf das schauen, was sich vielleicht ab 1. Januar 2005 ändert, zumindest nach dem, was geplant ist, können Sie mit ihrer Arbeit, so wie Sie sie bisher erfolgreich führen, weitermachen?

    Jung: Das hoffen wir sehr. Die Stadt Köln und die Agentur für Arbeit haben eine gemeinsame Absichtserklärung verfasst und auch veröffentlicht, dass sie im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft gemeinsam weiterarbeiten möchten. Zur Zeit sind wir dabei, dies zu gestalten. Wir sind natürlich noch in Verhandlungen, da gibt es noch keine konkreten Ergebnisse, aber wir hoffen sehr, dass wir diese Zusammenarbeit dann auch weiter fortsetzen können.

    Remme: Wie wichtig ist denn die Tatsache, dass diese Menschen dann eben nicht mehr Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe beziehen, sondern ein völlig neues Instrument, das Arbeitslosengeld II?

    Jung: Das ist von daher für uns ganz gut, weil wir nicht mehr zwei Behörden sind, sondern es gelingt uns dann, einheitlich mit einem Kunden zusammenzuarbeiten. Wir haben eine gemeinsame Leistung. Wir hoffen sehr, dass wir keine weiteren Verschiebebahnhöfe haben, sondern dann gemeinsam wirklich mit dem Kunden arbeiten, ihm einen Ansprechpartner bieten können, mit dem er seine Probleme klären kann und wo er auch eine Anlaufstelle hat, um dort die nötige Hilfe zu bekommen.

    Remme: Ein Gedanke, der so, sage ich mal, in der Mischzone zwischen Fordern und Fördern liegt, ist ja die Verschärfung der Zumutbarkeit. Das heißt, die Möglichkeit, vermutlich jemandem eine Arbeit zu geben, wird theoretisch größer. Glauben Sie, dass das die Vermittlung erleichtert?

    Jung: Also wir agieren in Köln so, dass wir jedem wirklich die Hilfen anbieten möchten, die er braucht. Wir erwarten aber auch im Rahmen der Mitwirkungspflichten unserer Klienten, dass sie alles dazu beitragen, um eine Arbeit aufnehmen zu können. Von daher wird sich für Köln, für die Zusammenarbeit im Jobcenter da nicht sehr viel ändern.

    Remme: Weil ich mir gerade vorstelle, dass es in der Vergangenheit so gewesen sein könnte, dass es da eine Arbeit gab, sie aber von vorne herein ausgeschlossen war auf Grund der dann geltenden Zumutbarkeitsregel, dass man einem Langzeitarbeitslosen diese Arbeit überhaupt anbietet.

    Jung: Also, wie gesagt, wir gehen davon aus, dass sich für uns nicht sehr viel ändert. Wir erwarten von unseren Kunden, dass sie mitwirken, dass sie auch die Möglichkeiten nutzen, die sie haben. Wir haben bisher immer auch schon so gearbeitet, dass nach Alternativen gesucht werden muss, wenn im erlernten Beruf zum Beispiel keine Vermittlungsmöglichkeiten bestehen, weil der Arbeitsmarkt es nicht zulässt oder eine so genannte Entfremdung im Beruf vorliegt.

    Remme: Die Tatsache, dass Sie mehr Leute in Arbeit gebracht haben, ist ja schon ein Plus an sich, vor allem für denjenigen, der vorher arbeitslos war. Aber Sie haben auch Geld gespart, oder?

    Jung: Ja, natürlich haben wir Geld gespart. Wenn sehr viele Leute in Arbeit kommen, sparen wir darüber natürlich Transferleistungen, sowohl auf Seiten der Stadt als auch auf Seiten der Agentur. Das ist natürlich der Fall.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.