Anja Buchmann: Der bessere Echo, das will der Preis für Popkultur sein. Ein Musikpreis, der nicht allein auf Verkaufszahlen schaut, sondern künstlerische Qualität auszeichnet, ein Jurypreis, der die Vielfalt der Szene in ihrer Gesamtheit abbilden möchte. Soweit der Anspruch. Verliehen wird er vom Verein zur Förderung der Popkultur in 13 Kategorien, darunter etwa "Lieblingsband", "Beeindruckendste Liveshow", aber auch "Schönste Geschichte". Gestern ist der Preis für Popkultur zum zweiten Mal im Berliner Tempodrom verliehen worden und Christoph Möller war für Corso dabei. Schönen guten Tag, Herr Möller!
Möller: Guten Tag!
Buchmann: Der Echo dümpelt mit schlechten Einschaltquoten vor sich hin, ausgezeichnet wird, wer am meisten Platten verkauft. Macht der Preis für Popkultur das alles besser?
"Es bleibt so ein Beigeschmack"
Möller: Tja, das ist zumindest der selbst gesetzte Anspruch. Kunst statt Kommerz, Vielfalt statt Helene Fischer und Udo Lindenberg. Ein Jurypreis soll das sein, verliehen von einem gemeinnützigen Verein mit 650 Mitgliedern - vor allem Leute aus der Industrie: Labelbosse, Musikmanager, Booker. Und jeder von denen hat eine Stimme. 60 Euro pro Jahr und schon ist man drin im Verein - und hat sich das Stimmrecht sozusagen erkauft. Da frage ich mich schon: Ist das dann wirklich ein unabhängiger Preis? In der Vereinssatzung steht außerdem: geschäftliche Beziehungen sind irrelevant für die Vergabe des Preises.
Aber wenn man sich allein mal anguckt, wer da gestern aufgetreten ist: Kraftklub, Joy Denalane, Materia. Da gibt es schon ganz enge Beziehungen. Der Kassenwart zum Beispiel bringt Joy Denalane auf seinem Label heraus. Eine Vorsteherin managt Materia, Casper und K.I.Z, die waren alle gestern nominiert. Und ich habe vor der Verleihung Anne Haffmans auf diese Vetternwirtschaft angesprochen, sie ist Labelmanagerin und erste Vorsitzende des Vereins:
Haffmans: "Das lässt sich aber irgendwie auch nicht ganz vermeiden, weil der Vorstand ist eben aktiv im Musikgeschehen, und es gibt eben da ein paar Leute, die arbeiten mit Bands, die sind halt gerade sehr aktiv. Wir können überhaupt nichts an den Nominierungen drehen. Wir sind neun Leute im Vorstand und wir haben 650 Mitglieder. Und die haben Bands nominiert, die unter anderem auch bearbeitet werden von Leuten aus dem Vorstand."
Möller: Trotzdem: Es bleibt so ein Beigeschmack. Dazu kommt: Ein Musikjournalist, der im Vorstand ist, der war selbst für einen Preis nominiert. Das finde ich dann schon sehr komisch.
Buchmann: Da fällt mir im Vergleich der Echo Jazz ein. Das ist auch ein Jurypreis, aber ein Großteil der Mitglieder Chefs oder Angestellte bei den großen deutschen Jazz-Labels - das nur am Rande. Der Preis für Popkultur ist gestern erst zum zweiten Mal verliehen worden. Letztes Jahr wurde gemäkelt: Die Verleihung sei viel zu lang. Der Moderator Bernd Begemann wurde für sein forsches Auftreten kritisiert. War das gestern besser?
Möller: Ja, zum Teil. Also die Show fing fulminant an, kurzes Hallo der beiden Moderatorinnen - dieses Jahr Hadnet Tesfai und Claudia Kamieth, Fernseh- und Radiomoderatorin. Und dann Kraftklub - eine von vielen Männerbands. Ich mag die auf Platte eigentlich nicht. Aber gestern hatten die 50 Tänzerinnen und Tänzer mit auf der Bühne, die sogenannten Lemminge, vielleicht 15, 16, 17 Jahre alt. Mit so ganz coolen, lässigen Bewegungen, sind die da den Steg der Bühne runtergetanzt und haben mitten in der Manege performt. Drumherum - so im U - hat die Pop-Bourgeoisie Wein getrunken. Alle Nominierten saßen ausgestellt an runden Tischen.
Ja und Kraftklub - das war schon ein gelungener Auftakt. Da fand ich es fast schade, dass sie dann keinen Preis bekommen haben, obwohl sie in vier von 13 Kategorien nominiert waren. Und naja. Danach dann die ewig gleichen, langweiligen Floskeln, die man so kennt von diesen Verleihungen: Wie toll das alles ist, wie schön, dass alle da sind. Wenig Sinn für Dramaturgie. Viele Wiederholungen, immerhin ganz gute Live-Einlagen eben von Kraftklub oder dem Pianisten Lambert.
"Bei 13 Kategorien hat nur eine Frau gewonnen"
Buchmann: Die vielen männlichen Bands haben Sie schon angesprochen. Die haben dann am Ende auch eher gewonnen.
Möller: Ja, tatsächlich. Also, es ist auch fast schon eine Schande das zu sagen, aber bei 13 Kategorien hat nur eine Frau gewonnen. Alice Merton, eine deutsch-irische Musikerin, 23 Jahre alt. "Lieblingskünstlerin" und "Hoffnungsvollste Newcomerin". Das geht in Ordnung. Aber ich frage mich schon: Was ist da los? Denn: Der Preis für Popkultur will eine diverse Popkultur fördern. Dann, finde ich, muss verhindert werden, dass da nur eine Frau gewinnt. Das ist eigentlich ein katastrophales Signal. Die restlichen Preise also für Männer: "Lieblingsband" sind die Beatsteaks, "Lieblingsalbum": "Advanced Chemistry" von den Beginnern. Der "Lieblingssong", lustigerweise ist "Menschen, Leben, Tanzen, Welt" von Jan Böhmermann. Das ist dieser Satire-Song, der die Einförmigkeit deutscher Popmusik kritisiert. Gut fand ich den "Lifetime Achievement"-Preis. Der hat mal diese artifizielle Inszenierung so ein bisschen unterbrochen. Wurde posthum verliehen an Rio Reiser. Sein Bruder, Gert Möbius, hat ihn stellvertretend angenommen. Mit einem Plädoyer gegen kommerziellen Erfolg und für künstlerisches Außenseitertum.
Möbius: "Der Spagat zwischen Kommerz und dem Aufschrei und dem Aufbegehren gegen Dinge, die an der sensiblen Seele eines Künstlers nagen, führen nicht immer sofort in die Charts. Aber, um es einmal pathetisch auszudrücken: Was sind schon die Charts, wenn das Gefühl eines Künstlers sich weigert, immer nur blind dem aktuellen Mainstream zu folgen?"
Buchmann: Applaus.
Möller: Ja, darauf konnten sich alle einigen: Mainstream ist doof, auch wenn ein Teil dieses Mainstreams natürlich da auch gestern nominiert war.
Buchmann: Rio Reiser hat mit seiner Band Ton Steine Scherben ja eine bessere Welt ja quasi herbeigeschrien. War denn generell bei der Verleihung noch was übrig von dieser politischen Unbedingtheit, diesem Willen?
Möller: Nicht so wirklich. Also es gibt natürlich den wütenden Casper, der den "Lieblingsvideo"-Preis gewonnen hat. Da ist die sehr politische Band Feine Sahne Fischfilet, die sich aktiv gegen Neonazis einsetzt, hat auch einen Preis dafür gewonnen. Aber musikalisch war das alles ein Brei: viel Hip-Hop, so ein bisschen urbane Rockmusik, elektronische Musik fehlte, genauso wie Jazz, Metal und eigentlich hundert andere Szenen, die der Preis irgendwie einfach nicht beachtet.
"Nur ein sehr, sehr eingeschränktes Bild der deutschen Popmusik"
Buchmann: Sie klingen ernüchtert.
Möller: Ja, ich bin das auch eigentlich. Die Verleihung an sich war viel zu lang. Aber so schlimm nun auch wieder nicht, besser als letztes Jahr. Was mich allerdings stört, ist, dass da ein "Verein zur Förderung der Popkultur" antritt, mit so einem allumfassenden Wir-machen-es-jetzt-besser-Gestus, wir retten die Popmusik, wir sind anders und besser als der Echo. Und dann zeigt man aber nur ein sehr, sehr eingeschränktes Bild der deutschen Popmusik, die eigentlich viel, viel diverser ist. Und vor allem: viel weiblicher.
Buchmann: Der Preis für Popkultur - viel Verbesserungsbedarf also. Herzlichen Dank, Christoph Möller.
Möller: Sehr gerne.
Einen Mitschnitt der ganzen Preisverleihung können Sie online bei "Arte Concerts" sehen. Und am Montag um 22:30 Uhr zeigt "ONE" eine 90-minütige Zusammenfassung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.