Wiebke Esdar ist Psychologin an der Universität Bielefeld. Nach ihrem Diplom hatte die 28-Jährige lange überlegt, ob sie weiter im Wissenschaftsbetrieb bleiben soll – und sich dann für eine Promotion entschieden. Als Doktorandin erlebte sie schnell die organisatorischen Schwierigkeiten, mit denen viele Nachwuchswissenschaftler zu kämpfen haben.
"Ich bin eingestiegen in ein Forschungsprojekt, dass dann noch ungefähr ein Jahr gelaufen ist, danach bin ich auf ein Stipendium gewechselt und habe neben dem Stipendium eine Viertelstelle mit doppeltem Lehrdeputat, das heißt: zwei Semesterwochenstunden Lehre neben dem Stipendium. Ich hab den Glücksfall, dass ich diese Viertel-Stelle noch habe, sodass die Krankenversicherung den Arbeitgeberteil absichert und ich mich nicht komplett krankenversichern muss."
Denn nur wer einen Arbeitsvertrag hat – und ist er noch so klein – wird auch über den Arbeitgeber krankenversichert. Alle anderen Doktoranden müssen das auf eigene Kosten tun – und das sind nicht wenige, weiß Wiebke Esdar. Als Sprecherin der Doktoranden an der Bielefelder Universität hört sie viele Klagen über Arbeitsverträge mit Mini-Laufzeiten. Wenig Gehalt, kurze Vertragsdauer – Experten bezeichnen das als prekäre, also höchst unsichere Arbeitsverhältnisse, mit deren Einkommen man kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Umso mehr weiß Wiebke Esdar die Möglichkeiten zu schätzen, die sie selber hatte und hat.
"Ich bin angefangen, und es war klar, dass das Forschungsprojekt noch ein Jahr läuft. Und die Zeit hab ich genutzt, um ein Exposé zu schreiben, um dann die Möglichkeit zu haben, zwei bis drei Jahre auf einem Stipendium zu promovieren und eine Perspektive zu haben, die halt zwei bis drei Jahre lang ist und damit schon relativ lang ist. Das ist die Luxus-Situation."
Wenn eine Job-Perspektive für drei Jahre schon eine Luxus-Situation ist – dann lässt sich ein unbefristeter Arbeitsvertrag für Nachwuchsforscher nur als Sechser im Lotto bezeichnen. Tatsächlich hangeln sich die allermeisten Doktoranden und Post-Docs von einem Kurzzeit-Projekt zum nächsten, halten mal hier eine Vorlesung und arbeiten dort in einem Forschungsprojekt mit, immer auf der Suche nach der nächsten Option, die sich auftut. Fast wie Eichhörnchen sammeln sie überall Qualifikationshäppchen und Lehrerfahrungen, um dann irgendwann – so die Hoffnung – doch einmal dauerhaft im Wissenschaftsbetrieb unterzukommen. Dabei sind es häufig die Doktorandinnen und Doktoranden, die an den überfüllten Universitäten einen Großteil der Arbeit machen, wenn morgen wieder das Wintersemester beginnt. Ohne sie gäbe es riesige Lücken im Lehrangebot und bei der Betreuung von Hausarbeiten, bei Tutorien und in der täglichen Arbeit der Forschungsinstitute. Wie viele Doktoranden es an deutschen Hochschulen insgesamt gibt, weiß niemand – nur, dass jedes Jahr etwa 25.000 Nachwuchsforscher ihre Promotion abschließen.
Auch Regina Weber ist Doktorandin. Die Politikwissenschaftlerin hat in Aachen und in Duisburg, in Prag und in Potsdam studiert und schreibt jetzt an der Universität Duisburg-Essen ihre Forschungsarbeit über junge Parteimitglieder.
"Die Arbeitsbedingungen sind bei uns schon ein Thema. Also grad bei den Promovierenden, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern ist natürlich das Thema Befristung ein Riesending (...) weil viele befristet sind, für maximal ein Semester befristet sind und da ist die Planungssicherheit für längere Zeit einfach nicht gegeben."
Und dann sind da natürlich noch die Erwartungen des Professors, bei dem man vielleicht einen Vertrag bekommen hat.
"Das ist natürlich auch immer schwierig, weil für viele Promovierende der Doktorvater gleichzeitig – oder die Doktormutter – gleichzeitig auch Chef oder Chefin ist, und da steht man natürlich in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen. Und ich weiß, dass es zumindest bei uns am Lehrstuhl da ganz gute Rahmenbedingungen gibt, aber es sind natürlich auch viele andere Kolleginnen betroffen, bei denen es ganz anders aussieht."
Ganz anders, das heißt zum Beispiel: Für die halbtags bezahlte Stelle arbeitet ein Doktorand ganztags. Eigentlich soll der 50-Prozent-Job die finanzielle Absicherung dafür sein, in der anderen Hälfte der Zeit für die Promotion zu forschen. Wenn nun aber, wie viele Doktoranden berichten, diese andere Tageshälfte ebenfalls mit Arbeit für den Lehrstuhl verplant ist – wann bleibt dann noch Zeit für die Forschung? Regina Weber:
"Na ja, die meisten machen die Forschung tatsächlich in ihrer Freizeit, weil das natürlich häufig – man macht ja Forschung, weil man’s gerne macht. Weil die Arbeitsbedingungen so gut sind, macht man’s nicht. Und dann macht man’s halt, weil man wirklich an dem Thema hängt. Aber wenn ich mir überlege, dass ich teilweise über ein Jahr brauche, bis mein Paper angenommen ist bei einem Journal, wenn ich’s einreiche und meine eigene Befristung noch nicht mal solange geht, dann sind das Rahmenbedingungen, die natürlich auf Dauer auch auf die Qualität der Forschung schlagen müssen."
Zugespitzt könnte man auch formulieren: Deutsche Unis setzen ihre Doktoranden flächendeckend ein, um die Belastung im Hochschulalltag aufzufangen – auf Kosten der Forschungsarbeiten, mit denen sich die Nachwuchswissenschaftler eigentlich beschäftigen sollten. Und das alles mit Verträgen, die keinerlei verbindliche Perspektive ermöglichen. Dass dies keine Einzelfälle sind, zeigt der aktuelle "Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs", der kürzlich vorgestellt wurde. Die darin aufgeführten bundesweiten Zahlen sind erschreckend: 87 Prozent und damit acht von neun Nachwuchsforschern haben nur einen zeitlich befristeten Vertrag. Ein Ergebnis, das Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nicht überrascht. Er ist im GEW-Vorstand für den wissenschaftlichen Nachwuchs zuständig.
"Die Karrierewege sind unsicher, weil Zeitvertrag auf Zeitvertrag folgt, mit immer kürzeren Laufzeiten. Es gibt ja Daten, die zeigen, dass mittlerweile über die Hälfte der Verträge eine Laufzeit von nicht mal einem Jahr hat. (...) Außerdem ist das große Problem, dass auch die Kontinuität von Forschung und Lehre leidet, wenn man nach dem Hire-und-Fire-Prinzip dann immer die Leute auswechselt – schon nach wenigen Monaten womöglich."
Wenn ein Nachwuchsforscher weitermachen will, muss er spätestens ein halbes Jahr vor Vertragsende die Anträge auf neue Fördermittel vorbereiten. Mit anderen Worten: Wer nur Jahresverträge hat, kann sich höchstens ein halbes Jahr lang auf sein Projekt konzentrieren, dann muss er sich wieder um eine neue Finanzierung kümmern – eine absurde Situation. Gewerkschafter Andreas Keller hat deshalb die schlechten Arbeitsbedingungen der Nachwuchsforscher zu einem Schwerpunkt seiner Aktivitäten gemacht. Und er bekommt Unterstützung von Hochschulforschern.
"Für die Forschung, da braucht man auch mal ein paar Jahre – wir haben ja immer kürzere Projekte, und man kommt ja gar nicht mehr zum Nachdenken, sozusagen."
Karin Zimmermann arbeitet am Institut für Hochschulforschung in Lutherstadt-Wittenberg. Sie ist also eine Wissenschaftlerin, die das Hochschulsystem untersucht – eine Forscherin in eigener Sache, gewissermaßen. Deutschland, sagt Karin Zimmermann, sei beim Umgang mit seinem Wissenschaftlernachwuchs schon ziemlich einmalig. Denn in kaum einem anderen Land mute man den Doktoranden und Post-Docs so viel Unsicherheit zu wie bei uns.
"Wenn man sich das amerikanische System anguckt (...) – hier haben wir eine Aufstiegsoption, das sogenannte Tenure Track-Verfahren, wo man vom Assistant Professor, mit der Promotion natürlich als Voraussetzung, zum Associate Professor/Professorin aufsteigen kann, immer mit einer Evaluationsphase, mit einem Review, wo dann die wissenschaftlichen Leistungen abgeprüft werden. Publikationen, Forschungsprojekte, Drittmitteleinwerbung spielen eine wichtige Rolle. Und das führt dann bis zur höchsten Position, der vollen Professur, also 'full professor' heißt das da."
Für Gewerkschaftsvertreter Andreas Keller ist dabei die Wertschätzung entscheidend, die den Nachwuchskräften entgegen gebracht wird. Dieser akademische Mittelbau, wie er genannt wird, werde in Deutschland bisher sträflich vernachlässigt, sagt Keller.
"In anderen Ländern ist es völlig selbstverständlich, dass es zwischen dem Nachwuchs und der Professur auch noch eine Personalkategorie gibt, die auf Dauer beschäftigt ist, aber nicht gleich zur Spitzengruppe der Spitzenwissenschaftler gehört. Das gibt es in Deutschland fast nicht, und da brauchen wir diese Perspektive, Wissenschaft als Beruf zu betreiben, für qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler."
Und es gibt noch eine weitere deutsche Besonderheit, sagt Karin Zimmermann. 2006 riefen Bund und Länder mit milliardenschwerer Förderung den Exzellenz-Wettbewerb der Universitäten ins Leben. Seitdem seien Unis und Fachhochschulen fast ausschließlich auf exzellente Forschung fixiert, beklagt die Hochschulforscherin. Die akademische Lehre, die Seminare und Vorlesungen für Studenten dagegen gelten als zweitrangig, karriereschädlich, lästig. Deshalb wird diese Aufgabe auch so gerne an die Doktoranden delegiert. Karin Zimmermann:
"Es zählt die Forschungsleistung und das andere ist Lehrbelastung. Alleine im Wortgebrauch ist diese Wertigkeit schon drin und die Begriffe, die verwendet werden, geben uns schon Auskunft darüber, wie es mit der Kultur aussieht. Das sind Fragen – die Kultur und die Geschichte – die (...) glaub ich sehr, sehr wichtig wären, wenn man im System was ändern will."
Das System ändern – das würden Gewerkschafter, aber auch Doktorandenvertreter liebend gerne. Ihnen ist zum Beispiel das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ein Dorn im Auge. Es war eigentlich zum Nutzen der Nachwuchswissenschaftler gedacht, denn es soll die wiederholt befristete Einstellung verhindern. Forscher dürfen demnach nur noch maximal zwölf Jahre mit Zeitverträgen an den Unis bleiben – sechs Jahre bis zur Promotion und danach noch einmal sechs Jahre. Universitäten und Fachhochschulen sollten so ermuntert werden, mehr unbefristete Jobs zu schaffen. Doch stattdessen, sagt Andreas Keller, sei die Situation noch schlimmer geworden – denn wer jetzt nach zwölf Jahren keine unbefristete Stelle hat, der muss die Hochschule für immer verlassen.
"Wenn wir auch mit Betroffenen diskutieren, merkt man häufig, dass es einen ganz großen Druck gibt, weil die jungen Leute verinnerlicht haben, alles oder nichts. Also, sie werden irgendwann mal Professor mit sehr hohen Leistungsanforderungen nach vielen Jahren oder sie fliegen aus dem System heraus und das würde den Druck herausnehmen, wenn die Leute wissen, es gibt auch den Beruf Wissenschaft als ganz normalen Beruf, ohne dass man gleich Übermenschliches leisten muss und zwanzig Jahre buckeln muss."
Im politischen Bereich hatten die Aktivisten mit ihren Protesten schon Erfolg. Ende Juni verabschiedete der Bundestag eine Resolution mit dem dringenden Appell an die Bundesländer, die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler zu verbessern. In dem Beschluss wird gefordert, dass ...
"... eine übermäßige Befristungspraxis an den Hochschulen verhindert und durch die Länder die entsprechende Finanzierung bereitgestellt wird. Die Vertragsdauer für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist
in der Regel an die Laufzeit der Projekte zu koppeln, in denen die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte beschäftigt sind."
Doch der Weg zu anderen und besseren Perspektiven für den Nachwuchs führt nicht nur über die Politik und die Wissenschaftsministerien. Denn die haben in den vergangenen Jahren den Universitäten und Fachhochschulen weitreichende Autonomie zugestanden. Es sind also auch die Rektoren und Präsidenten, die darüber entscheiden können, wie lange der Arbeitsvertrag eines Nachwuchs-Forschers läuft und wie prekär sein Arbeitsverhältnis wirklich ist. Ingrid Lotz-Ahrens ist Prorektorin für Ressourcenplanung an der Universität Duisburg-Essen. Sie sitzt damit in einer Schlüsselposition, wenn es um die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen geht.
"Nicht alles, was befristet beschäftigt ist, (...) ist eine prekäre Beschäftigung, weil wir natürlich die allergrößte Zahl der Beschäftigungen im Mittelbau bei den Promotionsstellen haben. Da halte ich es persönlich und hier durchaus auch als gewerkschaftliche Position gerechtfertigt."
Ein Standpunkt, den auch GEW-Mann Andreas Keller teilt.
"Das akzeptiert auch die GEW, dass man in der Promotionsphase unter einem Zeitvertrag arbeiten kann, weil ja auch die Promotion für andere Berufsbereiche qualifiziert. Allerdings haben wir da das Problem, man kriegt Arbeitsverträge von sechs oder acht oder zehn Monaten angeboten, obwohl eine Doktorarbeit in drei, vier, fünf Jahren geschrieben wird. Man wird also nicht fertig oder hängt immer wieder in der Luft."
Und nicht nur das. Ingrid Lotz-Ahrens kennt noch extremere Fälle.
"Prekär würde es werden, wenn es Beschäftigungen sind, die teilweise ja sogar noch unter eine halbe Stelle gehen. Das haben wir bei uns nicht. Also, ich höre von Kollegen sehr viel auch von Viertel-Stellen, Achtel-Stellen – das ist natürlich so, dass man davon nicht leben kann."
Eine Achtel-Stelle mit einem monatlichen Gehalt von höchstens ein paar hundert Euro kaum vorstellbar, dass deutsche Universitäten ihren Nachwuchs so klein halten. Am liebsten, sagt Ingrid Lotz-Ahrens, würde sie als Prorektorin an der Uni Duisburg-Essen jedem Doktoranden einen Arbeitsvertrag anbieten, der drei oder vier Jahre lang Forschung in aller Ruhe ermöglicht.
"Aber dafür müssten auch die Länder mit ins Boot. Wir müssen die Mittel haben. Wir könnten von heute auf morgen - jetzt mal Gedankenmodell – sagen: Wir geben für alle Promotionen nur volle Stellen. Das würde bedeuten, unter der Annahme, wir hätten heute nur halbe Stellen, was aber nicht stimmt, wir haben nur die Hälfte der Promotionsmöglichkeiten. Das wäre auch für diejenigen, die jetzt an der Universität ihren Abschluss machen wieder eine totale Einschränkung ihrer Perspektiven."
Einzelne Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen hatten nach der Vorlage des "Bundesberichts wissenschaftlicher Nachwuchs" bereits vorsichtig angedeutet, dass sie sich einer möglichen Selbstverpflichtung für gute Personalpolitik anschließen könnten. Doch seit dem Sommer ist nicht mehr viel passiert – alle Akteure warten derzeit erst einmal ab, in welcher Konstellation sich die neue Bundesregierung bilden wird, wer das Wissenschaftsressort übernimmt und wie dann – Stichwort: Föderalismus-Reform – die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Hochschulpolitik neu geregelt wird.
Für Ingrid Lotz-Ahrens ist dabei allerdings klar: An mehr Geld für die Hochschulen führt kein Weg vorbei, wenn man – auch angesichts von zweieinhalb Millionen Studenten in Deutschland – weiterhin gute Lehre und gute Ausbildungsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs ermöglichen will. Zwar klopfen sich die Wissenschaftspolitiker in Bund und Ländern derzeit immer wieder gegenseitig auf die Schultern, weil sie ihre Etats trotz klammer öffentlicher Kassen zum Teil weiter erhöhen konnten. Doch das beruhigt die Prorektorin der Universität Duisburg-Essen überhaupt nicht.
"Wir haben scheinbar im Moment durch die vielen Sondermittel, die in die Hochschulen strömen, eine befriedigende Finanzsituation. In Wirklichkeit stimmt das aber nicht. (…) Das ist ja nicht nur die Exzellenzinitiative, sondern auch Hochschulpakt zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrganges, die alle irgendwie befristet sind. Wo man den Spagat machen muss, aus befristeten Mitteln doch noch unbefristete Beschäftigungen oder unbefristete Perspektiven zu entwickeln und das gelingt natürlich nicht in jedem Fall."
Eine Bestandsaufnahme, die man auch so interpretieren kann, dass die Universitäten und Fachhochschulen ihre eigenen, durch Sonderprogramme zeitlich befristeten Mittel als ebenso befristete Perspektive an den eigenen Nachwuchs weitergeben. Was bei Doktoranden vielleicht noch durchgehen könne, sei aber nach der Promotion nicht mehr zumutbar, schimpft Gewerkschafter Andreas Keller.
"In der Postdoc-Phase, (...) da muss eine Universität eine klare Ansage machen, wenn sie Postdoc-Leute rekrutiert, dass die dann auch eine Perspektive bekommen, an dieser Uni bleiben zu können nach der Postdoc-Phase. Sie müssen dann nicht alle zwingend Professoren werden, die können aber auch andere Karriereoptionen angeboten bekommen, etwa eine entfristete Assistenzprofessur wie das gerade diskutiert wird. Aber es muss die Perspektive da sein und das haben wir (...) auch formuliert als Ziel: Tenure Track mit der Entfristungsoption dann, wenn die Postdocs die Ziele erreicht haben, die man mit ihnen vereinbart hat."
Wenn sie könnte, würde sie da sofort mitmachen, sagt Uni-Vertreterin Ingrid Lotz-Ahrens. Denn dass für den wissenschaftlichen Nachwuchs mehr getan werden müsse, das sei ihr und ihren Kollegen schon klar.
"Da muss die Forderung her, dass die Hochschulen vernünftig ausgestattet werden mit langfristig abgesicherter Finanzierung, damit man dann auch Strukturmaßnahmen ergreifen kann. Sonst bleibt alles Geholper und man versucht es natürlich, wenn die Probleme reflektiert werden in den Rektoraten und in den Dekanaten, aber man kommt auch dann nicht immer zu guten Ergebnissen, das muss man sagen. Das ist auch unbefriedigend, das muss man sagen. Das finde ich auch für alle diejenigen, die Planung machen, eine große Belastung, wenn man die Probleme sieht, aber nicht alle Instrumente hat, um sie zu lösen."
Immerhin: Es wird viel gesprochen über die Situation der Nachwuchsforscher – erst recht, wenn jetzt im Wintersemester durch die vielen Uni-Neulinge die Arbeitsbelastung für die Doktorandinnen und Doktoranden wieder zunimmt. Aber ob diese Debatten wirklich helfen? Regina Weber ist skeptisch.
"Die, die’s diskutieren – wenn es halt von den wissenschaftlichen Mitarbeitern oder den Doktoranden diskutiert wird – das sind natürlich nicht gerade diejenigen, die Entscheidungen treffen. Und ich glaub, es gibt einige Hochschulen, die langsam merken, dass der Nachwuchs lieber ins Ausland geht. Aber bis der Druck so hoch ist, dauert’s glaub ich noch ein bisschen. Also, im Moment sehe ich da noch nicht allzu viel Bewegung."
Sie jedenfalls, stimmt Psychologie-Doktorandin Wiebke Esdar zu, hätte gerne eine längerfristige Perspektive.
"Wenn ich die Promotion abgeschlossen habe, stellt sich erstmal die Frage: Bleibe ich im Wissenschaftssystem oder orientiere ich mich nach außen. Und für mich ist schon einer der Punkte, dass die Perspektive, ich muss jetzt noch mal sechs Jahre lang versuchen, mich weiterzuqualifizieren und kann dann eventuell hinten rüberfallen, etwas ist, was abschreckend ist und den Gedanken stärkt, ob ich nicht rausgehe aus dem System. Und wenn ich die Möglichkeit hätte, relativ zeitnah auf eine Stelle zu kommen, von der ich weiß, ich kann da bleiben und kann über so etwas wie Familiengründung nachdenken und mir sicher sein, dass es weitergeht, würde meine Entscheidung ganz stark dahin gehend beeinflussen, im System zu bleiben."
Doch solche Veränderungen brauchen Zeit – schließlich geht es um nicht weniger als den kompletten Umbau des Stellen- und Besoldungssystems an den Unis und Fachhochschulen. Für Wiebke Esdar ist die unsichere Beschäftigungslage deshalb fast rund um die Uhr ein Thema. Und da, sagt die 28-Jährige, hilft oft nur noch eins: verdrängen.
"Ich bin eingestiegen in ein Forschungsprojekt, dass dann noch ungefähr ein Jahr gelaufen ist, danach bin ich auf ein Stipendium gewechselt und habe neben dem Stipendium eine Viertelstelle mit doppeltem Lehrdeputat, das heißt: zwei Semesterwochenstunden Lehre neben dem Stipendium. Ich hab den Glücksfall, dass ich diese Viertel-Stelle noch habe, sodass die Krankenversicherung den Arbeitgeberteil absichert und ich mich nicht komplett krankenversichern muss."
Denn nur wer einen Arbeitsvertrag hat – und ist er noch so klein – wird auch über den Arbeitgeber krankenversichert. Alle anderen Doktoranden müssen das auf eigene Kosten tun – und das sind nicht wenige, weiß Wiebke Esdar. Als Sprecherin der Doktoranden an der Bielefelder Universität hört sie viele Klagen über Arbeitsverträge mit Mini-Laufzeiten. Wenig Gehalt, kurze Vertragsdauer – Experten bezeichnen das als prekäre, also höchst unsichere Arbeitsverhältnisse, mit deren Einkommen man kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Umso mehr weiß Wiebke Esdar die Möglichkeiten zu schätzen, die sie selber hatte und hat.
"Ich bin angefangen, und es war klar, dass das Forschungsprojekt noch ein Jahr läuft. Und die Zeit hab ich genutzt, um ein Exposé zu schreiben, um dann die Möglichkeit zu haben, zwei bis drei Jahre auf einem Stipendium zu promovieren und eine Perspektive zu haben, die halt zwei bis drei Jahre lang ist und damit schon relativ lang ist. Das ist die Luxus-Situation."
Wenn eine Job-Perspektive für drei Jahre schon eine Luxus-Situation ist – dann lässt sich ein unbefristeter Arbeitsvertrag für Nachwuchsforscher nur als Sechser im Lotto bezeichnen. Tatsächlich hangeln sich die allermeisten Doktoranden und Post-Docs von einem Kurzzeit-Projekt zum nächsten, halten mal hier eine Vorlesung und arbeiten dort in einem Forschungsprojekt mit, immer auf der Suche nach der nächsten Option, die sich auftut. Fast wie Eichhörnchen sammeln sie überall Qualifikationshäppchen und Lehrerfahrungen, um dann irgendwann – so die Hoffnung – doch einmal dauerhaft im Wissenschaftsbetrieb unterzukommen. Dabei sind es häufig die Doktorandinnen und Doktoranden, die an den überfüllten Universitäten einen Großteil der Arbeit machen, wenn morgen wieder das Wintersemester beginnt. Ohne sie gäbe es riesige Lücken im Lehrangebot und bei der Betreuung von Hausarbeiten, bei Tutorien und in der täglichen Arbeit der Forschungsinstitute. Wie viele Doktoranden es an deutschen Hochschulen insgesamt gibt, weiß niemand – nur, dass jedes Jahr etwa 25.000 Nachwuchsforscher ihre Promotion abschließen.
Auch Regina Weber ist Doktorandin. Die Politikwissenschaftlerin hat in Aachen und in Duisburg, in Prag und in Potsdam studiert und schreibt jetzt an der Universität Duisburg-Essen ihre Forschungsarbeit über junge Parteimitglieder.
"Die Arbeitsbedingungen sind bei uns schon ein Thema. Also grad bei den Promovierenden, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern ist natürlich das Thema Befristung ein Riesending (...) weil viele befristet sind, für maximal ein Semester befristet sind und da ist die Planungssicherheit für längere Zeit einfach nicht gegeben."
Und dann sind da natürlich noch die Erwartungen des Professors, bei dem man vielleicht einen Vertrag bekommen hat.
"Das ist natürlich auch immer schwierig, weil für viele Promovierende der Doktorvater gleichzeitig – oder die Doktormutter – gleichzeitig auch Chef oder Chefin ist, und da steht man natürlich in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen. Und ich weiß, dass es zumindest bei uns am Lehrstuhl da ganz gute Rahmenbedingungen gibt, aber es sind natürlich auch viele andere Kolleginnen betroffen, bei denen es ganz anders aussieht."
Ganz anders, das heißt zum Beispiel: Für die halbtags bezahlte Stelle arbeitet ein Doktorand ganztags. Eigentlich soll der 50-Prozent-Job die finanzielle Absicherung dafür sein, in der anderen Hälfte der Zeit für die Promotion zu forschen. Wenn nun aber, wie viele Doktoranden berichten, diese andere Tageshälfte ebenfalls mit Arbeit für den Lehrstuhl verplant ist – wann bleibt dann noch Zeit für die Forschung? Regina Weber:
"Na ja, die meisten machen die Forschung tatsächlich in ihrer Freizeit, weil das natürlich häufig – man macht ja Forschung, weil man’s gerne macht. Weil die Arbeitsbedingungen so gut sind, macht man’s nicht. Und dann macht man’s halt, weil man wirklich an dem Thema hängt. Aber wenn ich mir überlege, dass ich teilweise über ein Jahr brauche, bis mein Paper angenommen ist bei einem Journal, wenn ich’s einreiche und meine eigene Befristung noch nicht mal solange geht, dann sind das Rahmenbedingungen, die natürlich auf Dauer auch auf die Qualität der Forschung schlagen müssen."
Zugespitzt könnte man auch formulieren: Deutsche Unis setzen ihre Doktoranden flächendeckend ein, um die Belastung im Hochschulalltag aufzufangen – auf Kosten der Forschungsarbeiten, mit denen sich die Nachwuchswissenschaftler eigentlich beschäftigen sollten. Und das alles mit Verträgen, die keinerlei verbindliche Perspektive ermöglichen. Dass dies keine Einzelfälle sind, zeigt der aktuelle "Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs", der kürzlich vorgestellt wurde. Die darin aufgeführten bundesweiten Zahlen sind erschreckend: 87 Prozent und damit acht von neun Nachwuchsforschern haben nur einen zeitlich befristeten Vertrag. Ein Ergebnis, das Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nicht überrascht. Er ist im GEW-Vorstand für den wissenschaftlichen Nachwuchs zuständig.
"Die Karrierewege sind unsicher, weil Zeitvertrag auf Zeitvertrag folgt, mit immer kürzeren Laufzeiten. Es gibt ja Daten, die zeigen, dass mittlerweile über die Hälfte der Verträge eine Laufzeit von nicht mal einem Jahr hat. (...) Außerdem ist das große Problem, dass auch die Kontinuität von Forschung und Lehre leidet, wenn man nach dem Hire-und-Fire-Prinzip dann immer die Leute auswechselt – schon nach wenigen Monaten womöglich."
Wenn ein Nachwuchsforscher weitermachen will, muss er spätestens ein halbes Jahr vor Vertragsende die Anträge auf neue Fördermittel vorbereiten. Mit anderen Worten: Wer nur Jahresverträge hat, kann sich höchstens ein halbes Jahr lang auf sein Projekt konzentrieren, dann muss er sich wieder um eine neue Finanzierung kümmern – eine absurde Situation. Gewerkschafter Andreas Keller hat deshalb die schlechten Arbeitsbedingungen der Nachwuchsforscher zu einem Schwerpunkt seiner Aktivitäten gemacht. Und er bekommt Unterstützung von Hochschulforschern.
"Für die Forschung, da braucht man auch mal ein paar Jahre – wir haben ja immer kürzere Projekte, und man kommt ja gar nicht mehr zum Nachdenken, sozusagen."
Karin Zimmermann arbeitet am Institut für Hochschulforschung in Lutherstadt-Wittenberg. Sie ist also eine Wissenschaftlerin, die das Hochschulsystem untersucht – eine Forscherin in eigener Sache, gewissermaßen. Deutschland, sagt Karin Zimmermann, sei beim Umgang mit seinem Wissenschaftlernachwuchs schon ziemlich einmalig. Denn in kaum einem anderen Land mute man den Doktoranden und Post-Docs so viel Unsicherheit zu wie bei uns.
"Wenn man sich das amerikanische System anguckt (...) – hier haben wir eine Aufstiegsoption, das sogenannte Tenure Track-Verfahren, wo man vom Assistant Professor, mit der Promotion natürlich als Voraussetzung, zum Associate Professor/Professorin aufsteigen kann, immer mit einer Evaluationsphase, mit einem Review, wo dann die wissenschaftlichen Leistungen abgeprüft werden. Publikationen, Forschungsprojekte, Drittmitteleinwerbung spielen eine wichtige Rolle. Und das führt dann bis zur höchsten Position, der vollen Professur, also 'full professor' heißt das da."
Für Gewerkschaftsvertreter Andreas Keller ist dabei die Wertschätzung entscheidend, die den Nachwuchskräften entgegen gebracht wird. Dieser akademische Mittelbau, wie er genannt wird, werde in Deutschland bisher sträflich vernachlässigt, sagt Keller.
"In anderen Ländern ist es völlig selbstverständlich, dass es zwischen dem Nachwuchs und der Professur auch noch eine Personalkategorie gibt, die auf Dauer beschäftigt ist, aber nicht gleich zur Spitzengruppe der Spitzenwissenschaftler gehört. Das gibt es in Deutschland fast nicht, und da brauchen wir diese Perspektive, Wissenschaft als Beruf zu betreiben, für qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler."
Und es gibt noch eine weitere deutsche Besonderheit, sagt Karin Zimmermann. 2006 riefen Bund und Länder mit milliardenschwerer Förderung den Exzellenz-Wettbewerb der Universitäten ins Leben. Seitdem seien Unis und Fachhochschulen fast ausschließlich auf exzellente Forschung fixiert, beklagt die Hochschulforscherin. Die akademische Lehre, die Seminare und Vorlesungen für Studenten dagegen gelten als zweitrangig, karriereschädlich, lästig. Deshalb wird diese Aufgabe auch so gerne an die Doktoranden delegiert. Karin Zimmermann:
"Es zählt die Forschungsleistung und das andere ist Lehrbelastung. Alleine im Wortgebrauch ist diese Wertigkeit schon drin und die Begriffe, die verwendet werden, geben uns schon Auskunft darüber, wie es mit der Kultur aussieht. Das sind Fragen – die Kultur und die Geschichte – die (...) glaub ich sehr, sehr wichtig wären, wenn man im System was ändern will."
Das System ändern – das würden Gewerkschafter, aber auch Doktorandenvertreter liebend gerne. Ihnen ist zum Beispiel das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ein Dorn im Auge. Es war eigentlich zum Nutzen der Nachwuchswissenschaftler gedacht, denn es soll die wiederholt befristete Einstellung verhindern. Forscher dürfen demnach nur noch maximal zwölf Jahre mit Zeitverträgen an den Unis bleiben – sechs Jahre bis zur Promotion und danach noch einmal sechs Jahre. Universitäten und Fachhochschulen sollten so ermuntert werden, mehr unbefristete Jobs zu schaffen. Doch stattdessen, sagt Andreas Keller, sei die Situation noch schlimmer geworden – denn wer jetzt nach zwölf Jahren keine unbefristete Stelle hat, der muss die Hochschule für immer verlassen.
"Wenn wir auch mit Betroffenen diskutieren, merkt man häufig, dass es einen ganz großen Druck gibt, weil die jungen Leute verinnerlicht haben, alles oder nichts. Also, sie werden irgendwann mal Professor mit sehr hohen Leistungsanforderungen nach vielen Jahren oder sie fliegen aus dem System heraus und das würde den Druck herausnehmen, wenn die Leute wissen, es gibt auch den Beruf Wissenschaft als ganz normalen Beruf, ohne dass man gleich Übermenschliches leisten muss und zwanzig Jahre buckeln muss."
Im politischen Bereich hatten die Aktivisten mit ihren Protesten schon Erfolg. Ende Juni verabschiedete der Bundestag eine Resolution mit dem dringenden Appell an die Bundesländer, die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler zu verbessern. In dem Beschluss wird gefordert, dass ...
"... eine übermäßige Befristungspraxis an den Hochschulen verhindert und durch die Länder die entsprechende Finanzierung bereitgestellt wird. Die Vertragsdauer für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ist
in der Regel an die Laufzeit der Projekte zu koppeln, in denen die wissenschaftlichen Nachwuchskräfte beschäftigt sind."
Doch der Weg zu anderen und besseren Perspektiven für den Nachwuchs führt nicht nur über die Politik und die Wissenschaftsministerien. Denn die haben in den vergangenen Jahren den Universitäten und Fachhochschulen weitreichende Autonomie zugestanden. Es sind also auch die Rektoren und Präsidenten, die darüber entscheiden können, wie lange der Arbeitsvertrag eines Nachwuchs-Forschers läuft und wie prekär sein Arbeitsverhältnis wirklich ist. Ingrid Lotz-Ahrens ist Prorektorin für Ressourcenplanung an der Universität Duisburg-Essen. Sie sitzt damit in einer Schlüsselposition, wenn es um die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen geht.
"Nicht alles, was befristet beschäftigt ist, (...) ist eine prekäre Beschäftigung, weil wir natürlich die allergrößte Zahl der Beschäftigungen im Mittelbau bei den Promotionsstellen haben. Da halte ich es persönlich und hier durchaus auch als gewerkschaftliche Position gerechtfertigt."
Ein Standpunkt, den auch GEW-Mann Andreas Keller teilt.
"Das akzeptiert auch die GEW, dass man in der Promotionsphase unter einem Zeitvertrag arbeiten kann, weil ja auch die Promotion für andere Berufsbereiche qualifiziert. Allerdings haben wir da das Problem, man kriegt Arbeitsverträge von sechs oder acht oder zehn Monaten angeboten, obwohl eine Doktorarbeit in drei, vier, fünf Jahren geschrieben wird. Man wird also nicht fertig oder hängt immer wieder in der Luft."
Und nicht nur das. Ingrid Lotz-Ahrens kennt noch extremere Fälle.
"Prekär würde es werden, wenn es Beschäftigungen sind, die teilweise ja sogar noch unter eine halbe Stelle gehen. Das haben wir bei uns nicht. Also, ich höre von Kollegen sehr viel auch von Viertel-Stellen, Achtel-Stellen – das ist natürlich so, dass man davon nicht leben kann."
Eine Achtel-Stelle mit einem monatlichen Gehalt von höchstens ein paar hundert Euro kaum vorstellbar, dass deutsche Universitäten ihren Nachwuchs so klein halten. Am liebsten, sagt Ingrid Lotz-Ahrens, würde sie als Prorektorin an der Uni Duisburg-Essen jedem Doktoranden einen Arbeitsvertrag anbieten, der drei oder vier Jahre lang Forschung in aller Ruhe ermöglicht.
"Aber dafür müssten auch die Länder mit ins Boot. Wir müssen die Mittel haben. Wir könnten von heute auf morgen - jetzt mal Gedankenmodell – sagen: Wir geben für alle Promotionen nur volle Stellen. Das würde bedeuten, unter der Annahme, wir hätten heute nur halbe Stellen, was aber nicht stimmt, wir haben nur die Hälfte der Promotionsmöglichkeiten. Das wäre auch für diejenigen, die jetzt an der Universität ihren Abschluss machen wieder eine totale Einschränkung ihrer Perspektiven."
Einzelne Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen hatten nach der Vorlage des "Bundesberichts wissenschaftlicher Nachwuchs" bereits vorsichtig angedeutet, dass sie sich einer möglichen Selbstverpflichtung für gute Personalpolitik anschließen könnten. Doch seit dem Sommer ist nicht mehr viel passiert – alle Akteure warten derzeit erst einmal ab, in welcher Konstellation sich die neue Bundesregierung bilden wird, wer das Wissenschaftsressort übernimmt und wie dann – Stichwort: Föderalismus-Reform – die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Hochschulpolitik neu geregelt wird.
Für Ingrid Lotz-Ahrens ist dabei allerdings klar: An mehr Geld für die Hochschulen führt kein Weg vorbei, wenn man – auch angesichts von zweieinhalb Millionen Studenten in Deutschland – weiterhin gute Lehre und gute Ausbildungsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs ermöglichen will. Zwar klopfen sich die Wissenschaftspolitiker in Bund und Ländern derzeit immer wieder gegenseitig auf die Schultern, weil sie ihre Etats trotz klammer öffentlicher Kassen zum Teil weiter erhöhen konnten. Doch das beruhigt die Prorektorin der Universität Duisburg-Essen überhaupt nicht.
"Wir haben scheinbar im Moment durch die vielen Sondermittel, die in die Hochschulen strömen, eine befriedigende Finanzsituation. In Wirklichkeit stimmt das aber nicht. (…) Das ist ja nicht nur die Exzellenzinitiative, sondern auch Hochschulpakt zur Bewältigung des doppelten Abiturjahrganges, die alle irgendwie befristet sind. Wo man den Spagat machen muss, aus befristeten Mitteln doch noch unbefristete Beschäftigungen oder unbefristete Perspektiven zu entwickeln und das gelingt natürlich nicht in jedem Fall."
Eine Bestandsaufnahme, die man auch so interpretieren kann, dass die Universitäten und Fachhochschulen ihre eigenen, durch Sonderprogramme zeitlich befristeten Mittel als ebenso befristete Perspektive an den eigenen Nachwuchs weitergeben. Was bei Doktoranden vielleicht noch durchgehen könne, sei aber nach der Promotion nicht mehr zumutbar, schimpft Gewerkschafter Andreas Keller.
"In der Postdoc-Phase, (...) da muss eine Universität eine klare Ansage machen, wenn sie Postdoc-Leute rekrutiert, dass die dann auch eine Perspektive bekommen, an dieser Uni bleiben zu können nach der Postdoc-Phase. Sie müssen dann nicht alle zwingend Professoren werden, die können aber auch andere Karriereoptionen angeboten bekommen, etwa eine entfristete Assistenzprofessur wie das gerade diskutiert wird. Aber es muss die Perspektive da sein und das haben wir (...) auch formuliert als Ziel: Tenure Track mit der Entfristungsoption dann, wenn die Postdocs die Ziele erreicht haben, die man mit ihnen vereinbart hat."
Wenn sie könnte, würde sie da sofort mitmachen, sagt Uni-Vertreterin Ingrid Lotz-Ahrens. Denn dass für den wissenschaftlichen Nachwuchs mehr getan werden müsse, das sei ihr und ihren Kollegen schon klar.
"Da muss die Forderung her, dass die Hochschulen vernünftig ausgestattet werden mit langfristig abgesicherter Finanzierung, damit man dann auch Strukturmaßnahmen ergreifen kann. Sonst bleibt alles Geholper und man versucht es natürlich, wenn die Probleme reflektiert werden in den Rektoraten und in den Dekanaten, aber man kommt auch dann nicht immer zu guten Ergebnissen, das muss man sagen. Das ist auch unbefriedigend, das muss man sagen. Das finde ich auch für alle diejenigen, die Planung machen, eine große Belastung, wenn man die Probleme sieht, aber nicht alle Instrumente hat, um sie zu lösen."
Immerhin: Es wird viel gesprochen über die Situation der Nachwuchsforscher – erst recht, wenn jetzt im Wintersemester durch die vielen Uni-Neulinge die Arbeitsbelastung für die Doktorandinnen und Doktoranden wieder zunimmt. Aber ob diese Debatten wirklich helfen? Regina Weber ist skeptisch.
"Die, die’s diskutieren – wenn es halt von den wissenschaftlichen Mitarbeitern oder den Doktoranden diskutiert wird – das sind natürlich nicht gerade diejenigen, die Entscheidungen treffen. Und ich glaub, es gibt einige Hochschulen, die langsam merken, dass der Nachwuchs lieber ins Ausland geht. Aber bis der Druck so hoch ist, dauert’s glaub ich noch ein bisschen. Also, im Moment sehe ich da noch nicht allzu viel Bewegung."
Sie jedenfalls, stimmt Psychologie-Doktorandin Wiebke Esdar zu, hätte gerne eine längerfristige Perspektive.
"Wenn ich die Promotion abgeschlossen habe, stellt sich erstmal die Frage: Bleibe ich im Wissenschaftssystem oder orientiere ich mich nach außen. Und für mich ist schon einer der Punkte, dass die Perspektive, ich muss jetzt noch mal sechs Jahre lang versuchen, mich weiterzuqualifizieren und kann dann eventuell hinten rüberfallen, etwas ist, was abschreckend ist und den Gedanken stärkt, ob ich nicht rausgehe aus dem System. Und wenn ich die Möglichkeit hätte, relativ zeitnah auf eine Stelle zu kommen, von der ich weiß, ich kann da bleiben und kann über so etwas wie Familiengründung nachdenken und mir sicher sein, dass es weitergeht, würde meine Entscheidung ganz stark dahin gehend beeinflussen, im System zu bleiben."
Doch solche Veränderungen brauchen Zeit – schließlich geht es um nicht weniger als den kompletten Umbau des Stellen- und Besoldungssystems an den Unis und Fachhochschulen. Für Wiebke Esdar ist die unsichere Beschäftigungslage deshalb fast rund um die Uhr ein Thema. Und da, sagt die 28-Jährige, hilft oft nur noch eins: verdrängen.