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Premiere in den Sophiensaelen
Schluss mit der Selbstoptimierung

Sechs Schauspielerinnen setzen sich mit den Herausforderungen ihres Berufs auseinander. Sie sind für die jungen Frauenrollen zu alt, aber noch zu jung, um als ältere Damen zu gelten. Die Lösung könnte eine Umschulungsmaßnahme sein – zu sehen in einer "Komödie der unbegabten Kinder".

Von Johanna Tirnthal |
    Szenenfoto aus "Die Umschülerinnen": Die Schauspielerinnen stehen mit den Tiergebissen auf der Bühne und lachen sich schlapp
    Lachen heißt immer auch "Zähne zeigen" (Sophiensaele / Dorothea Tuch)
    Sechs Schauspielerinnen kriechen unter einem wehenden Vorhang hindurch, der ein verschneites Bergpanorama zeigt. Sie sind dick angezogen, und wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass sie alle Tiergebisse tragen: Eine Katze ist dabei, eine Hündin, eine Häsin - die hoppelt auch - ein Esel und ein Schwein. Vanessa Stern stolziert als Hahn im Anorak hinterher.
    Zwischen Schönheit und Begabung
    Die sechs sind eine erweiterte Version der Bremer Stadtmusikanten - die sind ja bekanntlich gealterte Nutztiere und versuchen, dem Schlachthof zu entkommen, indem sie auf Musiker umschulen. Bei den sechs Schauspielerinnen ist das ähnlich. Sie sind für die jungen Frauenrollen zu alt und für die wirklich alten zu jung. Bei steigenden Mieten in Berlin und dem Jobcenter im Nacken bleibt da nur die Umschulung. Da kann man sich schon mal Vorwürfe machen - natürlich nicht ohne die grotesken Tierzähne.
    "Weißt du, Vanessa, dass ich so gut aussehe, habe ich noch nie in meinem Leben auch nur eine Sekunde benutzt. Das ist doch absurd und ich müsste das doch. Ich hätte das doch mal… Und ich kann's ja immer noch benutzen, aber ich hab's bis jetzt nie, also nie!" / "Ja, ich erinnere mich noch, in der Schauspielschule, da warst Du auch voll die Projektionsfläche, so Marilyn Monroe..." / "Ja, ja!" (Lacher)
    Valerie Oberhof und Vanessa Stern, die mit ihren riesigen hässlichen Gebissen so engagiert über Valeries Schönheit diskutieren, stehen am Anfang eines collagenhaften und absurd-komischen Theaterabends, der sich darum dreht, dass der Erfolg ausbleibt und man aber trotzdem seine Miete bezahlen und sich selber dabei auch noch eine schöne Geschichte über die eigene Begabung erzählen muss. Dazu die Regisseurin:
    "Also, gerade in diesem Künstlerbereich ist das natürlich hervorragend dafür geeignet. Da ist irgendwas, also bin ich auch begabt, also steht es mir auch zu. Das muss man sich ja auch erzählen, damit man nicht irgendwie sagt, das ist total ungerecht, das ist total ungerecht, dass ich hier die ganze Zeit die Rollen absahne und die anderen nicht, irgendwie. Oder nur weil ich so geil aussehe. Und man sagt einfach, okay, das ganze Talent ist eine gesellschaftliche Konstruktion und sobald man das realisiert hat, kann man Freiheit gewinnen."
    Die Freiheit des Scheiterns
    Dieses "Freiheit gewinnen" passiert auf der Bühne in einer Art Selbsthilfegruppen-Setting. In einem Halbkreis aus Stühlen sitzen die sechs, manchmal mit Tiergebissen, manchmal ohne, spielen dokumentarisch Coachinggespräche nach und erzählen zwischen allerlei Musik- und Slapstick-Einlagen Geschichten aus ihrem Leben.
    "Hattest du denn überhaupt schon mal ein Ziel?" / "So'n konkretes wie Volksbühne oder Thalia-Theater? Nee." / "Du hattest noch nie ein konkretes Ziel?" / "Nee, hatte ich noch nicht."
    Letztendlich geht es bei den Umschülerinnen darum, nicht nur die Maßnahmen des Jobcenters abzuweisen, sondern auch den eigenen Wunsch nach Selbstverwirklichung auszutreiben. Dafür nimmt die Selbsthilfegruppe sich in Anlehnung an die Anonymen Alkoholiker 12 Schritte vor.
    "Die 12 Schritte der unbegabten Umschülerinnen. Erster Schritt: Wir geben zu, dass wir dem Wettbewerb mit uns selbst hilflos ausgeliefert sind und unser Leben nicht mehr meistern können."
    Dieses "Leben nicht mehr Meistern" der Umschülerinnen heißt aber nicht, dass nicht herrlich albern gespielt und viel gelacht werden darf. Da ergeben sich schöne Momente, in denen die Schauspielerinnen zum Beispiel völlig unbegabt musizieren und einzelne Zuschauergruppen sich kaum noch einkriegen vor Lachen. Man merkt, dass da auch viel Identifikation stattfindet - bestimmt sind viele Kulturschaffende im Publikum, die froh sind, auch mal über das Scheitern - das eigene und das fremde - lachen zu können.
    "Das ist tatsächlich ein kleines Stück Freiheit, Sachen zu machen, wo man wirklich nur sagen kann, das ist aber schlechter Geschmack - und unbegabt. Das Tolle ist, ich kann auch die ganze Zeit total unbegabt inszenieren und man kann nur sagen: Das ist thematisch. Das ist Absicht",
    sagt die Regisseurin Vanessa Stern. Die absichtlich unbegabte und dadurch total entspannte Art der Umschülerinnen ist sehr erfrischend, denn es gelingt ihnen, das Gebiet der Selbstoptimierung, das sie kritisieren, mit viel Witz tatsächlich zu verlassen.
    "Die Umschülerinnen" sind in den Sophiensaelen Berlin noch vom 12. bis 14. April 2018 zu sehen.