"Seit 200 Jahren hat kein muslimisches Land jemals ein westliches Land angegriffen. 62 Mal jedoch hat der Westen in dieser Zeit Krieg gegen den Mittleren Osten geführt. Seit 15 Jahren führt er nun in der muslimischen Welt seine Anti-Terror-Kriege. Doch anstatt weniger hundert internationaler Terroristen, wie vor den Attacken vom 11. September 2001, haben wir jetzt weltweit über 100.000."
Christian Giese spielt Jürgen Todenhöfer. Er trägt eine runde Brille und zieht eine Jacke an, die der ähnelt, die Todenhöfer bei seiner Reise in den Islamischen Staat trug. Auch Argumentationen des ehemaligen CDU-Politikers macht er sich zu eigen. Todenhöfer hat die Kriege der Amerikaner im Nahen Osten oft kritisiert und den Islam als Bruderreligion bezeichnet. Als er ein Buch über seine Reise durch den IS veröffentlichte, wurde ihm vorgeworfen, er mache sich zum propagandistischen Erfüllungsgehilfen der Islamisten. Der Regisseur Yüksel Yolcu sieht das anders:
"Was mich persönlich so sehr an dem Buch interessiert hat, war die Frage, warum Jugendliche sich radikalisieren lassen. Wie entsteht es, dass Jugendliche aus unserer Mitte, aus unserer Gesellschaft und man kann ja nicht behaupten, dass es uns schlecht geht oder dass wir Krieg haben oder extreme Armut, dass Jugendliche hier ihren Lebensweg nicht finden und infolgedessen dann in den Dschihad ziehen."
Yüksel Yolcu hat ein Stück mit zwei parallel laufenden Handlungssträngen geschrieben. Der eine zeigt Jürgen Todenhöfer bei seiner Reise in den IS, der andere einen Imam, der in Deutschland als Gefängnisseelsorger arbeitet. Als dieser vom versuchten Selbstmordattentat des jungen Konvertiten Fabian erfährt, wird er nachdenklich: "Ich dachte immer, dass ich abschätzen kann, welche Gefangenen ich noch "erreiche" und für welche es schon "zu spät" ist. Ich habe immer daran geglaubt, dass ich Fabian noch davon abhalten kann."
Warum wird ein junger Mann zum Dschihadisten?
Der Imam forscht nach, was den jungen Mann zum Dschihadisten gemacht hat. Er begegnet überforderten Lehrern, verständnislosen Eltern und Fabians Freundin, die sein Kind abgetrieben hat. Klischee, Klischee. Doch eines wird klar: Der junge Mann hatte einen starken Gerechtigkeitssinn. Bei seiner Recherche für das Stück hat Yüksel Yolcu mit einem Gefängnisimam gesprochen:
"Die wichtigste Erkenntnis war, dass die Leute, die letztlich in den Dschihad ziehen, das sind viele muslimische junge Leute, die hier in Deutschland diskriminiert wurden. Die empfanden, dass Muslime in der ganzen Welt benachteiligt werden, angegriffen werden, insbesondere von westlichen Mächten. Sie waren wirklich der Meinung, dass sie gegen das Unrecht kämpfen müssen."
Diese jungen Menschen sind für Hassprediger eine leichte Beute. Drei solche Prediger lässt Yüksel Yolcu in seinem Stück auftreten:
"Wie könnt ihr hier im Warmen sitzen, wenn in Syrien und im Irak unsere Brüder und Schwestern abgeschlachtet werden? Was sagt euer Gewissen dazu? Habt ihr ein Gewissen? Wie könnt ihr dann schlafen, atmen, essen, wenn ihr wisst, dass Kinder, schwangere Frauen und alte Männer von Ungläubigen Tag für Tag erniedrigt, gefoltert und ermordet werden?"
Positives Ende des Stücks wirkt aufgesetzt
Über die Gräueltaten des Islamischen Staats sagen die Hassprediger natürlich nichts. Deshalb wird auch Jürgen Todenhöfers Reise gezeigt. Man sieht gefesselte Gefangene und einen Richter, der stolz von Handamputationen und Steinigungen berichtet. Zurück in Deutschland schreibt Jürgen Todenhöfer dem Kalifen des IS einen Brief, in dem er für Barmherzigkeit plädiert. Und auch der tote Fabian meldet sich zu Wort:
"Was ist das? Ein gelungenes Leben? Ich weiß nicht. Aber ich weiß jetzt, dass man nicht blind sein darf. Man muss mutig sein, selber über seinen Lebensweg zu entscheiden. Das darf man nicht anderen überlassen."
Die Einsicht kommt für einen Islamisten, der sich einen Sprengstoffgürtel umgeschnallt hat, um andere Menschen mit in den Tod zu reißen, etwas überraschend. Doch positive Botschaften sind ein Markenzeichen des Grips-Theaters. Die Kinder- und Jugendbühne ist für ihre Mutmachstücke bekannt. Da muss sogar der Geschichte eines Selbstmordattentäters ein positives Fazit abgerungen werden, auch wenn es für erwachsene Zuschauer etwas gewollt wirkt. Die Inszenierung wird für Menschen ab 15 angeboten, und die waren zur Premiere auch zahlreich erschienen.
"Das war sehr beeindruckend, wie sie das gegeben haben. Die Schauspieler waren einfach wunderbar und haben es sehr gut gemacht."
"Weil es aufgezeigt hat, wie die Verführung der Islamisten funktioniert und trotzdem klargemacht hatte, dass jeder die eigene Entscheidung haben kann."
"Und dass es einfach ein bisschen ausgeleuchtet wurde und nicht nur gesagt wurde, das ist kacke, das ist gut. Ich fand es sehr gut, gerade für Leute im jugendlichen Alter."
Am Ende der Premierenvorstellung gab es tosenden Applaus. Die Botschaft ist angekommen - nicht nur beim jungen Zielpublikum.