Christiane Kaess: Beste Laune bei den Anlegern an der Wall Street in den letzten Tagen. Dort hat der US-Leitindex Dow Jones Industrial erstmals die Marke von 20.000 Punkten geknackt. Triebfeder war die Hoffnung auf eine noch stärkere Bewegung der US-amerikanischen Wirtschaft nach den wirtschaftspolitischen Ankündigungen von Donald Trump. Ansonsten hat der neue US-Präsident in seiner ersten Woche im Amt auch viele vor den Kopf gestoßen.
Donald Trump empfängt mit der britischen Premierministerin Teresa May heute das erste ausländische und europäische Regierungsoberhaupt. Beide Länder verbindet eine besondere Beziehung. In den Bereichen Wirtschaft, Verteidigung und Geheimdienste arbeiten sie sehr eng zusammen. Jetzt allerdings wird der Besuch von Trumps jüngsten Äußerungen überschattet, in denen er den Einsatz von Folter als Verhörmethode für Terroristen propagiert. Nicht nur da steht Teresa May für eine ganz andere Linie; bei vielen anderen Themen wie zum Beispiel beim Klimaschutz gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Kurz vor der Sendung habe ich mit Clemens Fuest gesprochen. Er ist Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob das Interesse für ein gemeinsames Handelsabkommen von britischer und US-Seite so groß ist, dass man sich schon bald darauf einigen wird.
Clemens Fuest: Ich könnte mir gut vorstellen, dass die beiden sich einigen. Trump will dieses Abkommen und Theresa May hat natürlich auch ein großes Interesse daran. Sie will ja Großbritannien zu einer globalen Wirtschaft machen, noch mehr als bisher, und da käme ihr das Abkommen mit den USA natürlich gelegen, weil das Land sich ja von der EU löst.
Kaess: Was werden da die Kernpunkte sein?
Fuest: Die Kernpunkte sind der Handel in Finanzdienstleistungen, aber auch im gesamten Bereich der Industrie. Es geht darum, noch vorhandene Zölle, vor allem aber nichttarifäre Handelshemmnisse, unterschiedliche Regulierungen zu beseitigen, damit der Handel zwischen den beiden Ländern leichter wird.
"Die Briten sind schon mehr unter Druck"
Kaess: Kann man sagen, wer von den beiden da der stärkere Partner ist?
Fuest: Die USA sind natürlich viel größer und Großbritannien ist ein bisschen in der Defensive, weil ja die Handelskosten zu Europa steigen werden. Insofern ist Großbritannien da schon der Juniorpartner. Aber offenbar hat Trump durchaus ein Interesse, mit den Briten doch einen starken Partner in Europa zu behalten.
Kaess: Aber Trump hätte auch mehr in der Hand, um die Konditionen zu bestimmen?
Fuest: Ja, davon kann man ausgehen. Die Briten sind schon mehr unter Druck. Das ist sicherlich richtig.
Kaess: Trump gilt ja als Brexit-Befürworter. Ist er vielleicht auch deshalb bereit, mehr Zugeständnisse zu machen in so einem Abkommen? Ist das von US-Seite, von Trumps Seite aus auch ein politisches Abkommen?
Fuest: Davon muss man ausgehen. Er hat in der Tat sich für Brexit ausgesprochen und er will jetzt offenbar ganz gerne dazu beitragen, dass dieser Brexit auch ein Erfolg wird. Das ist sicher richtig.
Kaess: Und kann das passieren? Kann so ein bilaterales Abkommen die negativen Effekte von Brexit und gleichzeitig vom Protektionismus in den USA kompensieren?
Fuest: Ja, das hilft schon. Allerdings können die USA die EU nicht ersetzen. Länder treiben Handel vor allem mit anderen Ländern, die in ihrer Nähe liegen, und Europa liegt nun mal näher an Großbritannien als die USA. Ein bisschen kann das Abkommen kompensieren, aber den europäischen Handel ausgleichen, das wäre zu viel verlangt. Das klappt nicht.
Kaess: Trotzdem stellt sich natürlich jetzt die Frage, ob bilaterale Abkommen mit kurzen Kündigungsfristen - so ist es ja auch vorgesehen - das ökonomische Modell der Zukunft sind.
Fuest: Ja aus meiner Sicht mit Sicherheit nicht. Sie haben es angesprochen: Es soll da sehr kurze Kündigungsfristen geben und es ist außerdem so, wenn nur zwei Länder beteiligt sind, dass dann andere Länder ja ausgeschlossen sind. Was wir eigentlich brauchen sind gemeinsame Regeln für viele Länder, damit ein fairer und unverzerrter Wettbewerb entsteht zwischen den Unternehmen aus all diesen Ländern. So ist es bislang gedacht mit der Welthandelsorganisation, so ist es auch gedacht in der Europäischen Union, und wenn das jetzt durch länderweise Abkommen ersetzt wird, die noch dazu sehr unsicher sind - wenn es mal Ärger gibt, kann ein Land sehr schnell das Abkommen kündigen -, das wäre ein eindeutiger Rückschritt.
"Anders als Trump ist May kein Protektionist"
Kaess: Inwieweit kann sich Großbritannien da auf Donald Trump als Partner verlassen?
Fuest: Man kann sich da mit Sicherheit nicht verlassen. Aber ein Handelsabkommen mit kurzer Kündigungsfrist ist natürlich besser als überhaupt kein Abkommen.
Kaess: Was wären denn Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, wenn dieses Abkommen zustande kommt?
Fuest: Na ja. Das Ganze wäre in den Auswirkungen jetzt für andere Länder wahrscheinlich begrenzt. Aber es wäre immerhin ein Signal, dass Trump nicht nur in Richtung Protektionismus marschiert. Es wäre wohl auch ein Signal an die Europäer, doch zu versuchen, mit Großbritannien zusammenzuarbeiten, denn über Theresa May oder über wer immer die britische Regierung stellt, haben die Europäer derzeit offenbar jemanden, mit dem Trump redet und der Trump auch beeinflussen kann, hoffentlich in die richtige Richtung. Dieser politische Effekt ist wahrscheinlich wichtiger als der wirtschaftliche.
Kaess: Jetzt habe ich noch nicht ganz verstanden, inwiefern der Rest von Europa davon profitieren sollte.
Fuest: Ja. Theresa May wird Trump sagen, dass weder die USA, noch die Briten ein Interesse daran haben können, die EU zu destabilisieren. Man kann hoffen, dass Trump etwas gemäßigter vielleicht wird, wenn er mit Theresa May in Kontakt ist. Sie wird ihm jedenfalls diese Botschaft überbringen. Anders als Trump ist May ja auch kein Protektionist. Sie möchte ein globales Großbritannien. Sie hat sich immer wieder für Freihandel ausgesprochen. Und das liegt ja auch im Interesse der Europäer. Wenn sie Trump etwas umstimmen kann, wird das auch den Europäern nützen.
Kaess: Dann schauen wir mal auf den Wirtschaftskurs, der sich jetzt in den USA und in Großbritannien abzeichnet. Trump hat gesprochen von der Stunde der Gerechtigkeit für den amerikanischen Arbeiter. Welche positiven Effekte wird denn diese Zielgruppe eventuell demnächst zu spüren bekommen?
"In einigen Jahren wird klar, dass das Ganze eine Illusion war"
Fuest: Na ja. Das Abkommen mit Großbritannien wird da wenig bringen. Aber er hat natürlich die Vorstellung, dass er die amerikanischen Industriearbeiter jetzt durch Zölle schützt, damit Jobs zum Beispiel aus Mexiko wieder in die USA verlagert werden. Das ist vermutlich eine Illusion. Diese Zölle, die Mexiko treffen, werden dazu führen, dass Produkte in den USA teurer werden. Das benachteiligt ja auch die amerikanischen Arbeiter und alle amerikanischen Konsumenten. Außerdem wird es so sein, dass die dann vielleicht nach China oder in andere Länder verlagert werden. Aber diese Arbeitsplätze, bei denen es ja teilweise sehr, sehr niedrige Löhne gibt, die werden nicht in die USA zurückkehren. Es ist auch so, dass viele Jobs in den USA davon abhängig sind, dass billige Vorprodukte aus Mexiko geliefert werden. Auch deshalb wird diese Rückkehr der Industriearbeitsplätze, die es früher mal gab, in die USA wohl illusorisch bleiben - nicht zuletzt übrigens auch deshalb, weil die trumpsche Politik, wenn er jetzt mehr Schulden macht und die Wirtschaft ankurbelt, den Dollar eher in die Höhe treiben wird, und auch das macht die amerikanische Industrie weniger wettbewerbsfähig.
Kaess: Er hat ja genau davon gesprochen. Er hat gesagt, er will die Kohleminen-Arbeiter wieder in die Gruben schicken. Ist das realistisch, Industriezweige wiederzubeleben, die für viele schon der Vergangenheit angehören?
Fuest: Ja, das ist sicherlich unrealistisch und wird nicht funktionieren. Aber das ist seine Strategie, dass er sich in der Öffentlichkeit als Vertreter der Interessen derjenigen darstellt, die ihre Arbeitsplätze verloren haben. Ich denke, in einigen Jahren wird klar, dass das Ganze eine Illusion war, und dann wird die Enttäuschung groß sein.
Kaess: Herr Fuest, jetzt haben aber viele Ökonomen vorhergesagt, der Brexit und der protektionistische Kurs von Donald Trump, das wird wirtschaftlich für Großbritannien und für die USA ein Desaster. Die neuesten Wirtschaftsdaten, die sprechen aber überhaupt nicht in diese Richtung.
Fuest: Ja, in Großbritannien ist das Wachstum nicht eingebrochen. Das liegt einmal daran, …
Fuest: Es wächst sogar ziemlich stark.
Fuest: Genau. Die britische Wirtschaft wächst ziemlich stark. Das liegt zum einen an der Abwertung des Pfund. Man kann leichter exportieren aus Großbritannien. Das hatten die Ökonomen vorausgesehen. Was die Prognosen nicht vorausgesehen haben ist, dass der Konsum sehr stark zugenommen hat. Die privaten Haushalte haben offenbar keine Angst vor der Zukunft, bis jetzt jedenfalls noch nicht, konsumieren mehr. Es könnte allerdings auch sein, dass die für die Zukunft Preissteigerungen erwarten und jetzt noch schnell Autos kaufen oder sonstige Dinge. Man muss natürlich auch sehen, dass die Wirkungen des Brexit ja noch gar nicht eingetreten sind. Großbritannien ist ja noch in der EU. Und wenn wirklich die Handelshemmnisse kommen, dann ist schon anzunehmen, dass die Auswirkungen negativ sind. Aber diese Erwartungseffekte, die viele vorhergesagt haben, weniger konsumieren, vielleicht auch ein Einbruch der Investitionen in Großbritannien, das hat sich nicht eingestellt.
Kaess: Und der Dow Jones an der Wall Street ist auf ein historisches Hoch geklettert, über 20.000 Punkte. Ist das ein Trump-Effekt?
Fuest: Ja, das ist wohl ein Trump-Effekt. Da setzt man darauf, dass Trump die Steuern senkt und mehr Geld für Infrastruktur ausgibt, dass er außerdem den Energieunternehmen in den USA hilft, wieder mehr auf fossile Energien setzt. Deshalb sind die Energieaktien gestiegen. Ich vermute, dass dieser Anstieg der Börsen bald vorbei sein wird, wenn nämlich deutlich wird, dass Trump vielleicht gar nicht so viel Geld für Infrastruktur bekommt vom Kongress, wie er sich vorstellt. Ich denke, das ist eine Blase, die nicht von Dauer sein wird.
Kaess: … sagt Clemens Fuest. Er ist Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
Fuest: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.