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Presse in der Coronakrise
Lokalzeitung statt Amazon

In der Coronakrise boomt der Onlinehandel. Davon wollen auch lokale Einzelhändler zu profitieren, die wochenlang schließen mussten - in Ostwestfalen kooperieren sie dafür jetzt mit einem Zeitungsverlag.

Von Michael Borgers |
Im Paketzentrum Rostock in Groß Schwaß (Mecklenburg-Vorpommern) steht am 18.12.2013 ein LKW voller Pakete zur Entladung bereit. In diesen Tagen ist Akkordarbeit angesagt: 12.000 Pakete, das doppelte der sonst üblichen Menge, werden in Groß Schwaß täglich umgeschlagen. Foto: Bernd Wüstneck/ZB
In der Coronakrise steigen Verlage auch ins Paketgeschäft ein (dpa)
"Ja, vielen Dank, wir fühlen uns immer gut aufgehoben bei Euch."
Es ist Einiges los im Schuhhaus Niemann. Eigentlich alles so wie immer, sagt Philipp Niemann, der den Familienbetrieb in fünfter Generation leitet. Wären da nicht die Masken, die alle tragen, und wären da nicht die vergangenen Wochen.
"Wir haben 140-jähriges Jubiläum in diesem Jahr – und zwei Weltkriege, ein großes Feuer in den 60er-Jahren, Hochwasser 2010 – und hatten nie so lange geschlossen, wie jetzt durch behördliche Anordnung."
"Schneller als die Paketdienstleister"
Gut fünf Wochen waren es am Ende – eine Katastrophe für ein Geschäft, das bislang auf den Verkauf vor Ort und nicht im Netz gesetzt hat. Also habe man auch begonnen, Schuhe per Telefon oder Videochat zu verkaufen – und dann von Fahrern des lokalen Zeitungsverlags ausliefern zu lassen, erklärt Niemann.
"Das heißt, wir haben das morgens gepackt und dann wurde das am selben Tag noch zugestellt. Das war regelmäßig schneller, als das die überregionalen Paketdienstleister momentan, auch aufgrund der Coronakrise, leisten konnten."
Auf das Schuhhaus gleich zu Beginn der Ladenschließungen zugekommen war J.C.C. Bruns, der Verlag des Mindener Tageblatts – ebenfalls ein Traditionsunternehmen. Eines, das bekannt ist dafür, dem kriselnden Zeitungsgeschäft mit immer neuen Geschäftsideen zu begegnen.
Mehr als 300 Händler auf lokaler Verkaufsplattform
Eine Art Amazon für den lokalen Handel aufzubauen, daran habe man schon länger gearbeitet, sagt Geschäftsführer Carsten Lohmann. Die Krise habe es letztlich nur beschleunigt, das Modell auch tatsächlich anzubieten.
"Ja, Corona hat dafür gesorgt, dass wir alle Bestandteile, die wir eh schon im Verlag und im Verlagsumfeld hatten, zusammengeführt haben."
Mehr als 300 Händlerinnen und Händler würden bereits bei der neuen lokalen Verkaufsplattform seines Hauses mitmachen. Eine Zusammenarbeit, von der beide Seiten auch auf lange Sicht profitieren, wie Lohmann erwartet.
"Digitales Extrageschäft sichern"
"Weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir den lokalen Einzelhandel davon überzeugen können , dass er sowohl natürlich selber Kontakt zu seinen Kunden halten kann und auch die Kunden im Laden begrüßen soll und will und darf, und dass er sich aber über uns vielleicht ein kleines digitales Extrageschäft sichern kann."
Zeitungsverlage kennen das Wort Krise nicht erst seit Corona. Und so betont Christian Eggert vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger BDZV: Auch andere Verlage würden längst an oder mit ähnlichen Geschäftsmodellen arbeiten.
"Landauf, landab, alle machen‘s ein bisschen unterschiedlich. Aber es wird von vielen Verlagen Angeboten. Jetzt in der Coronakrise hat es sich besonders bewährt, weil jetzt die Verlage ihre regionale Stärke ausspielen konnten."
Verlage könnten Stärke ihrer Logistik ausbauen
Unter Corona werde das nun erstmalig auch sichtbar. Und was läuft dabei gut und was nicht? Als Verband fördere man schon seit Jahren den Austausch über die gemachten Erfahrungen. Denn, so Eggert, man sei überzeugt, dass alle Verlage davon profitieren, wenn sie die Stärken ihrer Logistik ausbauen.
Auf einem Verkaufsstand liegen etliche verschiedene Tageszeitungen in der Auslage.
Zeitungen in der Coronakrise - Hoffen auf Digitalabos
Mehr zu tun und viel Zuspruch, aber weniger Erlöse in der Krise: Die Corona-Pandemie setzt Zeitungsverlagen in besonderer Weise zu. Ein möglicher Ausweg könnte im digitalen Geschäft liegen, darauf deuten erste Zahlen hin.
"Weil kein Verlag kann darauf verzichten, eigene Zusteller zu haben, eine eigene Logistik zu haben, weil niemand sonst stellt unsere Abonnements morgens zu."
Viele neue Kunden für digitale Angebote
Zumindest noch ist das so, Stichwort Digitalisierung. Denn Expertinnen und auch viele Zeitungsmacher selbst gehen davon aus, dass die Tage der gedruckten Zeitung gezählt sind, dass die Zukunft der Lokalpresse im Internet liegt. Und auch hier hat die Coronakrise ihre Spuren hinterlassen.
"Noch nie haben Verlage in so kurzer Zeit so viele neue Kunden für ihre digitalen Angebote gefunden wie in den letzten sechs Wochen", zieht Christian Eggert vom BDZV eine Bilanz. "Und wir haben erfreut festgestellt, dass ein großer Teil, der Kunden, die wir in den letzten sechs Wochen gewonnen haben, bis jetzt noch dabeigeblieben sind, also nicht gekündigt haben."
Entwicklung steht am Anfang
Ein positiver Trend, den auch Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts bei seiner Zeitung beobachtet: "Wir haben uns jetzt viele neue digitale Kunden erobert, die schauen jetzt stärker in unsere digitalen Produkte rein in der Krise, als dass sie das vorher getan haben."
Doch am Beispiel der ostwestfälischen Lokalzeitung zeigt sich auch, wie sehr diese Entwicklung noch am Anfang steht: Die Zahl der Digital-Abonnenten beim Mindener Tageblatt hat sich zwar verfünffacht – aber nur von rund 250 vor der Coronakrise auf gut 1000 mehr heute, eine vergleichsweise kleine Zahl gegenüber den fast 28.000 Print-Abonnenten der Zeitung.
Dennoch blickt Benjamin Piel optimistisch in die Zukunft. Nun gehe es darum, die neuen digitalen Kunden dauerhaft zu binden. "Wir arbeiten daran, themenzentrierter zu arbeiten und den Leuten mehr Inhalte zu bieten, die sie in ihrem normalen Leben gut begleiten, auch über die Krise hinaus."
Leserinnen und Leser binden
Und er hoffe, so Piel, dass die Leserinnen und Leser dieses Angebot dann gerne nutzen – und der Zeitung erhalten bleiben.
Eine Frau im Grünen liest Zeitung
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