Sebastian Wellendorf: Es gibt Grenzen in Deutschland, zum Glück. Juristische Grenzen nämlich. Einfach so ins Haus eines Anderen gehen oder fremdes Eigentum benutzen, ist nicht erlaubt, zumindest nicht ohne Einverständnis des Hauseigentümers. Für Journalisten bedeutet das: Über bestimmte Dinge ist es nicht so einfach, zu berichten. Aber wenn sie nicht drüber berichten, dann erfährt die Öffentlichkeit nicht, was sie aber vielleicht erfahren sollte. Ist also etwa der Tatbestand Hausfriedensbruch mit anderen Maßstäben zu bewerten, wenn Journalisten beteiligt sind? Zum Beispiel, wenn es um die Zustände in der Massentierhaltung geht oder, aktuelles Beispiel, wenn Journalisten im Hambacher Tagebau Aktivisten bei der Braunkohle-Baggerbesetzung begleiten und dies dokumentieren? Ich habe den renommierten Medienrechtler Johannes Eisenberg gefragt, ob sich Pressevertreter strafbar machen, wenn sie verbotenes Gelände betreten.
"Zu diesem Zweck darf der Journalist das Gelände betreten"
Johannes Eisenberg: Meine Antwort ist, dass Journalisten sich jedenfalls der Gefahr aussetzen, dass gegen Sie strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Ich hätte allerdings gegen diese Frage der Strafbarkeit einzuwenden, dass sie sich nicht strafbar machen, weil sie als Journalisten ein öffentliches Interesse, ein Wahrnehmungsinteresse an solchen demonstrativen Aktionen selbst dann auch zu befriedigen haben, wenn dabei Straftaten begangen werden. Wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob das hier seitens der Demonstranten überhaupt Straftaten sind. Da wird ja geltend gemacht, das sei ja möglicherweise ein Hausfriedensbruch oder es sei eine Nötigung oder ähnliches. Aber sie werden sich erinnern an die Diskussionen um die Frage, ob die Besetzung einer Straße, die zu einem Munitionsdepot führt, überhaupt eine Nötigung ist. Darüber haben die Juristen lange gestritten. Und so wird man auch hier sagen müssen, dass ja schon im Wortsinne ein Hausfrieden in einem solchen Tagebaukessel kaum herrschen kann. Und andererseits ja möglicherweise ein gesteigertes öffentliches Interesse daran besteht, demonstrativ auch gegen einen solchen vermeintlichen "Hausfrieden" vorzugehen. Und wenn das so ist, dann darf die Öffentlichkeit das auch wahrnehmen - wir leben ja in einer Demokratie, in der die Presse das Publikum über das, was stattfindet, unterrichten können muss. Und wenn sie dann selber mit Strafvorwürfen überzogen wird, wenn sie einfach nur dokumentiert, was andere machen, dann ist das eben nicht in Ordnung und mit unserer Verfassungsvorstellung von einer Informationsfreiheit des Publikums und der Pressefreiheit nicht in Einklang zu bringen.
Wellendorf: Also ich verstehe richtig: So ganz eindeutig ist die Rechtslage da nicht? Selbst wenn es Hausfriedensbruch gewesen wäre, hätte man den Journalisten nicht einfach den Zugang zu dem Gelände verbieten können?
Eisenberg: Überhaupt nicht! Also ich unterstelle Folgendes: Die Leute sind bereits auf dem Gelände oder sie dringen in das Gelände ein, um da zu demonstrieren oder irgendwas zu besetzen. Dann ist das ein die Öffentlichkeit interessierender Vorgang, und dann darf der Journalist das dokumentieren, und zu diesem Zwecke darf er es auch betreten.
"Nicht die Aufgabe der Polizei"
Wellendorf: Darf ich vielleicht noch ein Beispiel anbringen? Es gibt ja die Bilder aus den Tierställen, wo mit versteckter Kamera die Zustände in Legebatterien etc. dokumentiert werden. Da ist es offenbar so, dass die Aufnahmen selbst nicht legal sind, die herzustellen - aber die Relevanz ist so groß, dass die Sender da Material senden dürfen. Also da gibt es wohl auch eine unterschiedliche Wahrnehmung des Rechts und des öffentlichen Interesses an dieser Berichterstattung.
Eisenberg: Da geht's um die Frage einerseits: Darf man um solche Bilder herzustellen, in die Ställe eindringen? Und selbst wenn man das verneint, darf aber der Sender später die durch diesen Hausfriedensbruch entstandenen Bilder senden - solange der Sender nicht dazu angestiftet hat, diese Straftaten zu begehen. Was nicht erlaubt ist, ist, dass die Presse selber zum Beispiel Telefongespräche illegal aufzeichnet oder ähnliches - das darf sie natürlich nicht. Ich finde nur, dass ein Tagewerk-Kessel, so stelle ich mir das mal vor, das ist eine riesiges, baustellenähnliches Tagewerk, in das bereits Demonstranten eingedrungen sind. Das ist zu unterscheiden davon, ob jemand in ein Hotel eindringt, um irgendwelche Hygienemängel aufzuzeichnen. Das ist - finde ich - die Frage, ob nach der Begrifflichkeit des Strafgesetzbuchs überhaupt von einem schützenswerten Hausfrieden auszugehen ist, in einer Situation, in der die Demonstration stattfindet. Ich will aber nur sagen, dass hier in diesem Fall, deswegen komme ich nochmal auf die vorangegangenen, vergleichbaren Situationen zurück - da hat der vermeintliche Hausrechtsinhaber, nämlich die Firma RWE, durchaus differenziert zwischen einerseits den Aktivisten, den Demonstranten, den Besetzern, und andererseits den Journalisten. Und immer dann, wenn die Journalisten sich ausgewiesen haben, jedenfalls keine Strafverfolgungsbegehren an die gerichtet. Und was ich schon gar nicht nachvollziehen kann, ist, warum dem Journalisten die Fotos weggenommen wurden.
Wellendorf: Ja, es geht in dem Fall um den Journalisten von bento, dem offenbar die Kamera entwendet wurde.
Eisenberg: Ja, das habe ich hier gelesen, der sollte dann sogar seine Fotos löschen! Das ist nicht Aufgabe der Polizei, derartige Streitigkeiten - das ist ja eine zivilrechtliche Streitigkeit einerseits möglicherweise zwischen dem Hausrechtsinhaber und andererseits zwischen dem Journalisten - einfach zu entscheiden und zu sagen: Wir entscheiden jetzt, dass Du das löschen musst. Wenn RWE das gelöscht sehen will, dann müssen sie ihn eben verklagen. Und dann wird ein Zivilgericht darüber entscheiden, ob er das Recht hat, diese Bilder zu besitzen. Oder ob RWE das Recht hat, zu verlangen, dass diese Bilder zu löschen sind. Ich wüsste nicht, auf welcher Rechtsgrundlage RWE dieses Recht haben sollte.
Wellendorf: Journalisten müssen anders behandelt werden als Normalbürger, wenn sie wie in diesem Fall das Geländer von RWE betreten - sagt der Medienrechtler Johannes Eisenberg. Danke Herr Eisenberg für das Gespräch!
Eisenberg: Bitteschön!
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