Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist immer auch eine Momentaufnahme. Die Organisation berücksichtigt bei ihrer Einordnung stets aktuelle Entwicklungen. Und Deutschland – bei der Erstauflage des Rankings noch Siebter – stand auch schon einmal schlechter da als jetzt, und zwar 2006 als 23.
Damals war bekannt geworden, dass der BND über Jahre hinweg die Redaktion „Cicero“ illegal überwacht hatte. Der Vorwurf des Geheimnisverrats weckte böse Erinnerungen an die „Spiegel“-Affäre der 60er-Jahre. Doch nach 2006 ging es lange Zeit wieder bergauf für die Pressefreiheit in Deutschland.
Absturz auf Rang 21
Nun also Rang 21, wieder ein Absturz, hinter andere europäische Länder und die eigenen Ansprüche. Aber auch: vielleicht mehr Grund zur Sorge. Denn anders als damals gibt es nicht den einen großen Skandal. Hintergrund ist dieses Mal eine Vielzahl von körperlichen Angriffen. Gegen Journalistinnen und Journalisten, die einfach nur ihrer Arbeit nachgehen und berichten wollten. Wie konnte es soweit kommen?
Die Mehrheit der Attacken habe in „verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten“ stattgefunden, stellt Reporter ohne Grenzen fest. Auch nach Corona sei weiter demonstriert worden. Und zwei Drittel der Angriffe seien in Ostdeutschland passiert. Und an genau dieser Stelle kommen wir zur Mitverantwortung der Medien an dieser Entwicklung.
Die Rangliste der Pressefreiheit ist auch ein Demokratieindex. Und das Vertrauen in die Demokratie ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, wie Umfragen zeigen – vor allem in Teilen Ostdeutschlands. Wo die AfD genau das ausnutzt und damit bei kommenden Landtagswahlen stärkste Kraft werden könnte.
Die Medien dringen nicht mehr durch
Und die Medien? Dringen schon lange nicht mehr durch mit ihrer Arbeit. Verlieren den Kampf gegen sogenannte „alternative Medien“ und deren Desinformationsstrategien.
Eine Abwärtsspirale, die natürlich nicht alleine Ostdeutschland betrifft - die dort aber eben am sichtbarsten ist. Nach Jahrzehnten, in denen westdeutsche Verlage gespart haben und nun Zeitungswüsten drohen. Und wo öffentlich-rechtliche Medien zuletzt immer kritischer gesehen wurden, nicht erst seit der rbb-Affäre.
Um diesen Trend zu stoppen, braucht es eine Kraftanstrengung der gesamten Gesellschaft: Medien, die zeigen, dass sie ihren Job ernst nehmen und mit Kritik verantwortungsvoll umgehen. Und es braucht eine Politik, die diese Arbeit wertschätzt und die freie Presse nicht als Gegner begreift.
Slowakei und Litauen vor Deutschland
Dass das möglich ist, zeigen Länder wie die Slowakei oder Litauen, die in der Rangliste der Pressefreiheit oft weiter hinten lagen – und nun vor Deutschland liegen. Die Lehre ist: All jene Länder, die es ernst meinen mit der Demokratie, meinen es auch ernst mit Pressefreiheit.