Gefährlich leben Journalisten außerdem in Ländern, in denen "Konflikte niedriger Intensität" schwelen. Milizen und Kartelle ließen sich nicht auf die Menschenrechtscharta der UNO verpflichten, betonte Rediske. Neben Mexiko, Kolumbien und Honduras nannte Rediske auch Russland als ein Land, in dem die unabhängige Berichterstattung schwierig ist. Mit mehr als 20 umgebrachten Journalisten seit 1999 sei die Zahl zwar nicht "wahnsinnig hoch", doch gerade in den Provinzen müssen Journalisten täglich gegen ein Klima der Bedrohung ankämpfen.
Einen absoluten Schutz für Journalisten gebe es nicht, betonte Rediske. Entsandte Reporter würden in der Zwischenzeit sehr viel besser geschult und ausgerüstet als früher. Der Bericht zeige, dass es aber gerade die Einheimischen seien, die besonders gefährdet seien. "80 Prozent der getöteten Journalisten sind einheimische Journalisten".
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Was interessiert Sie? Was sind die wichtigsten, interessantesten Themen und wie können wir die am spannendsten umsetzen? Das sind Fragen, und Antworten auf diese Fragen zu finden, das ist in aller Regel hier in unserer Redaktion das Hauptproblem, das, was uns am meisten beschäftigt. Und wenn wir das vergleichen mit der Situation und den Bedingungen, unter denen Kollegen zum Beispiel in Krisenländern arbeiten, dann sehen wir, das ist ein Privileg. Denn journalistische Arbeit, die kann lebensgefährlich sein. Wie können Journalisten, unter welchen Bedingungen können Journalisten arbeiten? Das beobachtet die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Heute stellt sie ihren Jahresbericht vor und darüber sprechen will ich in den nächsten Minuten mit dem Vorstandssprecher, mit Michael Rediske. Guten Morgen!
Michael Rediske: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: 2014 ist und war ein krisenreiches Jahr. Was heißt das für die Arbeit von Journalisten?
Rediske: Nun, immer da, wo wir eine Häufung von Bürgerkriegen haben, wie derzeit im arabischen Raum rüber bis Syrien und dem Irak, haben wir auch eine Häufung und eine Zunahme der Zahl getöteter Journalisten. Das kann dann wieder abflauen, dann kommt der nächste Bürgerkrieg. Aber wie gesagt: Im Moment gibt es da tatsächlich eine Kumulation. Dazu kommt ein langfristiger Trend: Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben wir ja tatsächlich diese zunehmende Zahl von Konflikten niedriger Intensität, wie sie heißen, bei denen nicht mehr wie früher zwei Großmächte ihre Schützlinge oder Vasallen unter Kontrolle haben, sondern das sind jetzt meistens nichtstaatliche Akteure wie Milizen, oder in Lateinamerika sind es aus Drogengeldern finanzierte bewaffnete Gruppen, die die Regeln des Kampfes bestimmen, und die lassen sich heute von keiner UNO, von keiner internationalen Gemeinschaft oder Großmacht auf die Menschenrechtskarte verpflichten und die erkennen schon lange nicht mehr an, dass Journalisten unabhängige Beobachter sind und eigentlich als Zivilpersonen zu schützen sind.
"Journalisten in Geiselhaft"
Schulz: Das, verstehe ich Sie richtig, ist Ihre größte Sorge, dass 2014 wieder mehr Journalisten gestorben sind im Einsatz? Wie sind die Zahlen?
Rediske: Wir haben zusätzlich den Trend - das ist aber wirklich sehr neu -, dass sehr viele Journalisten auch entführt werden. Aber das folgt der gleichen Entwicklung, die ich eben beschrieben habe. Gerade diese Gruppen wie der IS in Syrien und Irak, die nehmen auch Journalisten in Geiselhaft, und entweder sie lassen sie irgendwann frei, gegen Geld oder gegen politische Zugeständnisse in manchen Ländern, oder sie werden getötet. Wir haben ja jetzt sogar die Veröffentlichung von Enthauptungen gesehen, darunter waren auch Journalisten.
Schulz: Und da geht es in erster Linie gar nicht unbedingt darum, Berichterstattung zu unterdrücken, sondern es geht darum, sozusagen Vertreter der westlichen Welt in die Hände zu bekommen?
Rediske: Es ist beides. Der IS verpflichtet ja - das haben wir aus Berichten gehört - auch Journalisten darauf, tatsächlich sich ihren Regeln zu unterwerfen, ihren ethischen Regeln, und dazu gehört natürlich auch, dass über den IS nicht kritisch berichtet wird.
Schulz: Schon aus dem, was Sie sagen, folgt: Irak und Syrien sind sehr gefährlich. Welche Länder sind noch gefährlich?
Rediske: Gefährlich sind, was die Tötung von Journalisten angeht, vor allen Dingen fast alle Länder im arabischen Raum, dort wo der Arabische Frühling stattgefunden hat und heute nicht mehr virulent ist. Dann sind es die Länder, wo Drogenbosse das Sagen haben, wie Mexiko, Honduras, der lange Bürgerkrieg in Kolumbien. Dann haben wir aber natürlich Länder, wo auch längerfristig immer wieder einzelne Journalisten umgebracht werden und dadurch ein Klima der Angst erzeugt wird. Dazu gehört übrigens auch Russland, wo die Zahl nicht so wahnsinnig hoch ist wie hier in den Bürgerkriegen, wo aber dort gerade in den Provinzen auch Schrecken verbreitet wird seit Putins Amtsantritt. Zum ersten Mal 1999 sind da auch Mitte 20 Journalisten umgebracht worden.
"In Krisenländern, Bürgerkriegsländern gibt es keinen absoluten Schutz"
Schulz: Sie fordern ja auch einen besseren Schutz für Medienschaffende. Bei so unterschiedlichen Ausgangslagen, wie wäre das möglich?
Rediske: Nun, wir müssen klar sagen, in solchen Krisenländern, Bürgerkriegsländern gibt es keinen absoluten Schutz. Wer da hingeht und berichtet, der weiß, welcher Gefahr er sich aussetzt. Die Rundfunkanstalten und die Verlage sind inzwischen schon dazu übergegangen, sehr genau zu überlegen, wen sie aus unseren Ländern dort hinschicken, wie die Leute ausgebildet werden, was sie für Schutzwesten bekommen. Das vermindert das Risiko, schließt es aber nicht aus, wie wir immer wieder an den entsprechenden Fällen auch sehen. Nur noch gefährdeter sind - das sehen wir immer - die Journalisten, die ja gar nicht mit einem Visum und dem nächsten Flugzeug, wenn es gefährlich wird, weggehen können: die einheimischen Journalisten, die mutigen Journalisten, die vor Ort sich bemühen, Korruption aufzudecken, Misswirtschaft aufzudecken, und die natürlich immer im Visier sei es einer Staatssicherheit, oder sei es dieser gewalttätigen Gruppen stehen. 80 Prozent der getöteten Journalisten in etwa weltweit in den letzten Jahrzehnten sind einheimische Journalisten und kommen gar nicht aus unseren Ländern.
Schulz: Gibt es da besonders bedrückende Einzelfälle, die Ihnen in Ihrem Bericht aufgefallen sind?
Rediske: Ja. Mir fällt gerade ein: Vor wenigen Wochen ist eine mexikanische, die war sogar gar nicht professionelle Journalistin, die war Ärztin, aber so eine Art Bürgerjournalistin, die gebloggt hat über die Drogenmafia in Mexiko, und irgendjemand hat sie dann doch mit ihrem Pseudonym verraten, eine Mutter von mehreren Kindern, die ist dann im Straßenverkehr umgebracht worden, und dann hat man deutlich gemacht, wir haben dich herausgefunden.
Schulz: Haben Sie heute auch gute Nachrichten für den Journalismus, für Journalisten?
Rediske: Oh, das ist immer ein bisschen schwerer zu sagen. Das sind meistens Einzelfälle, wenn wieder Menschen frei gekommen sind. Wir freuen uns, wenn irgendeine unserer Petitionen von Reporter ohne Grenzen und anderen Menschenrechtsorganisationen dazu geführt hat, dass Menschen frei kommen. Wir freuen uns auch, wenn wir Journalisten Asyl geben können, ins Exil begleiten können. Wir haben das getan jetzt letzthin gerade mit einer Reihe von syrischen Journalisten. Dort fliehen ja massenhaft, zu Tausenden die Menschen und einige schaffen es auch nach Deutschland, und wir versuchen, ihnen hier Aufenthalt zu geben und sie zu betreuen.
Schulz: Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen. Heute erscheint der Jahresbericht der Organisation. Vielen Dank für diese Einschätzungen.
Rediske: Gern!
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