Der äthiopische Journalist Befeqadu Hailu sitzt in einem kleinen Gemeinschaftsbüro im ersten Stock eines Einkaufszentrums in Addis Abbeba. Er beschreibt, wie er 2014 aufgrund seiner Arbeit für das Blogger-Kollektiv "Zone 9" inhaftiert wurde.
"Am Tag, als ich verhaftet wurde, sind sie direkt zu mir nach Hause, um meine Notizen mitzunehmen. Sie haben mich in eine Zelle gebracht. Dort wurde ich verhört und gefoltert. 48 Tage lang. Sie wollten, dass ich mich selbst der Kriminalität bezichtige. Sie schlugen, traten, erniedrigten mich. Das waren die härtesten Tage meines Lebens."
Insgesamt wird er in den letzten sechs Jahren vier Mal verhaftet und eingesperrt. Einmal für anderthalb Jahre. Der Vorwurf: Terrorismus und Aufruf zur Gewalt durch sein Schreiben. Dabei machten die Aktivisten auf Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit politischen Gegnern und Zensur durch die Regierung aufmerksam.
Journalisten im Gefängnis gefoltert oder erschossen
Die Gefängniszelle muss Befeqadu Hailu sich mit 120 anderen teilen. Es gibt für sie nicht genug Toiletten, Duschen und Betten, so dass sie auch auf dem Boden schlafen müssen. Im April vergangenen Jahres wird er zusammen mit 10.000 anderen politischen Gefangenen freigelassen - kurz bevor der neue Premierminister Abiy Ahmed sein Amt antritt: "Die meisten von uns waren Journalisten. Abiy Ahmed rief am Montag im Gefängnis an. Am Donnerstag wurden wir entlassen."
In Äthiopien laufen Journalisten schon seit Jahrzehnten Gefahr inhaftiert, im Gefängnis gefoltert oder erschossen zu werden. Bis 2018 lag das ostafrikanische Land in der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" noch hinter Russland. Seit der Massenbegnadigung durch Abiy Ahmed stieg es mit einem Mal um 40 Plätze auf und ist nun vergleichbar mit dem EU-Land Bulgarien.
Hoffnungen wurden oft enttäuscht
Der Radiojournalist Laeke Demessie bleibt trotzdem misstrauisch. Ein Regimewechsel bedeutete immer schon eine kurze Zeit der Freiheit, sagt er. In seinem Wohnzimmer erinnert er sich an die 70er Jahre, als Kaiser Haile Selassie im Zuge einer sozialistischen Revolution gestürzt wurde. Damals hat sich Laeke Demessie entschieden, in Äthiopien zu bleiben und Journalist zu werden.
"Am Anfang gab es Pressefreiheit. Du konntest schreiben, was du wolltest. Es gab eine Reihe unabhängiger Zeitschriften. Aber als das Militär stärker wurde, wurden sie diktatorisch und verbannten private Magazine. Es kam zur Zensur und als Journalist hattest du es alles andre als leicht."
Die kurze Zeit der Pressefreiheit unter dem Derg-Regime schlug um in den sogenannten Roten Terror mit einer halben Millionen Ermordungen Oppositioneller durch die kommunistische Regierung. Laeke Demessie arbeitete inzwischen als Nachrichten-Sprecher bei "Radio Ethiopia".
Unter Druck gesetzt
"Eines Tages war ich im Studio, als jemand die Tür aufriss, obwohl das rote Licht brannte. Er wollte mich einen sehr hingekritzelten Text vorlesen lassen, dessen Inhalt ich nicht kannte. Und ich habe gesagt: 'Nein, das lese ich nicht vor!'"
15 Tage später wird er von Sicherheitskräften abgeholt und in ein Gefängnis gesteckt. Nach einer Woche wird er aus der Zelle in ein Büro gebracht. Er kommt frei. Ohne Verfahren, ohne Prozess. Stattdessen wird ihm verboten, weiter als Journalist zu arbeiten, und er wird zwangsweise in einen anderen Teil des Landes versetzt.
Anfang der 90er Jahre wird das sozialistische Derg-Regime von einer Koalition verschiedener Befreiungsbewegungen abgesetzt, die bis heute regieren. Laeke Demessie erlebt eine zweite Welle der Pressefreiheit. Er arbeitet wieder als Journalist, gründet ein freies Magazin, gewinnt Preise. Doch auch diesmal lässt der Rückschlag nicht lange auf sich warten: Nach nur vier Jahren wird sein Magazin Mitte der 90er Jahre verboten. Aber mittlerweile sind internationale Medien auf ihn aufmerksam geworden. Und als Korrespondent für Voice of America, BBC und die Deutsche Welle hat er in Äthiopien nichts mehr zu befürchten.
"Die äthiopische Regierung möchte sich nicht mit den westlichen Ländern anlegen. Hinzu kommt: englischsprachige Journalisten erreichen kaum Äthiopier und haben so wenig Relevanz für die Meinungsmache im Land."
Weiterhin ist Misstrauen angebracht
Mittlerweile ist Laeke Demessie Rentner und verfolgt das Tagesgeschehen im Radio. Dass nun mit Premierminister Abiy Ahmed die Gefahren für Journalisten überwunden sind, bezweifelt er.
"Für eine politische Wende braucht es mehr als nur einen Mann. Ich traue der Freiheit nur, wenn es Wahlen gibt und eine andere Regierung an die Macht kommt."
Gründe für dieses Misstrauen gibt es einige. Auch nachdem Abiy Ahmed an die Regierung kam, wurden Journalisten verhaftet, einzig und allein, weil sie unbequeme Fragen stellten. Ein Beispiel: der Radio-Journalist Tamerat Abera berichtete am 24. Mai über das Vererben von Grundstücken in der Oromia-Region. Noch am selben Tag wird er verhaftet, weil die Regionalregierung in seinem Beitrag schlecht wegkam. Als ein Kollege über die Verhaftung recherchiert und Abera im Gefängnis besucht, wird dieser auch verhaftet.
"Selbstzensur hört auf"
In seinem Büro plant der Blogger und Journalist Befeqadu Hailu verschiedene Projekte über Meinungsfreiheit und Hate Speech im Netz. Er reagiert eher gelassen auf die letzten Verhaftungen von Journalisten, gemessen an der Situation vor Abiy Ahmed.
"Die Leute hören auf, sich selbst zu zensieren. Natürlich hat Abiy Ahmed nicht alle Antworten. Aber immerhin trauen sich mittlerweile die Journalisten wieder öffentlich zu sagen, dass es Repressionen gibt."