"Es gibt jetzt die politische Voraussetzung für eine freie Presse. Davor hatten wir eine Regierung, die die Redefreiheit und die Presse unterdrückte. Aber jetzt haben wir zumindest eine Regierung, die sich nicht aktiv damit beschäftigt, die Redefreiheit zu unterdrücken."
Der 49-jährige Eskinder Nega ist Äthiopiens wohl bekanntester Journalist. Weil er wiederholt die Regierung kritisierte, wurde Eskinder insgesamt neunmal inhaftiert. Zuletzt verbrachte er fast sieben Jahre im Gefängnis. Der Vorwurf: Terrorismus. Er hätte sich bei "Ginbot 7" engagiert, einer Oppositionspartei, die bis Mitte des Jahres als Terrororganisation eingestuft wurde – und dessen politische Führung auf Einladung Abiys aus dem Exil nach Äthiopien zurückkehrte. Eskinders Frau und sein Kind, das in Äthiopien in Haft zur Welt kam, leben heute in den USA. Eskinder arbeitet seit seiner Entlassung sieben Tage die Woche. In einem kleinen fensterlosen Büro in Addis Abeba schreibt er mit zwei fixen Redakteuren eine neue 24-seitige Wochenzeitung.
"Wir sind die erste Publikation von ehemaligen Gefangenen, ehemaligen Journalisten. Von den Journalisten, die vor 2012 gearbeitet haben. Damals hat die Regierung fast alle unabhängigen Zeitungen geschlossen, mit wenigen Ausnahmen. Keine ist heute wieder in Druck. Wir sind also die ersten, und andere werden folgen."
"Bis jetzt hat sich nichts geändert"
In Sachen Pressefreiheit ist Äthiopien nach wie vor eines der restriktivsten Länder: Reporter ohne Grenzen listet Äthiopien an 150. Stelle, von 180. Das Internet und Soziale Netzwerke würden oft abgeschaltet. Physische und verbale Angriffe, willkürliche Gerichtsverfahren und Verurteilungen sollen die Medien zum Schweigen bringen. Die aktivsten Journalisten, sagt Eskinder Nega, würden im Exil leben und Webseiten oder Blogs betreiben. Er gibt zu bedenken:
"Bis jetzt hat sich nichts geändert. Alles ist in der Schwebe. Bisher gibt es nur Ankündigungen, dass Reformen kommen. Aber die institutionelle Kultur ist nach wie vor da, dieses Klima der Angst. Niemand ist bereit, Informationen herzugeben."
Dennoch: Hoffnungsvoll wie nie
Der 32-jährige Abel Wabella sieht das auch so. Als Mitglied von "Zone 9", einer Gruppe von kritischen Bloggern, war er ebenfalls inhaftiert, eineinhalb Jahre lang. Er wurde gefoltert, musste mit 140 Gefangenen in einer Zelle schlafen und durfte nur zweimal täglich für zehn Minuten auf die Toilette. 2015 kam er frei. Drei der neun "Zone 9"-Blogger leben heute im Ausland. Abel ist in Äthiopien geblieben. Er betreibt seit Kurzem das zweisprachige Internetportal "Addis Zeybe", das sich an die multiethnische Stadtbevölkerung Äthiopiens richtet. Er kritisiert, dass der neue Ministerpräsident Abiy Ahmed bisher kaum Pressekonferenzen gab.
"Der Stabschef des Ministerpräsidenten ist auf Twitter, er ist unsere einzige Quelle für Regierungsaktivitäten. Aber er verkündet nur die guten Nachrichten. Wenn etwas Schlechtes passiert, sagt er nichts."
Wie wird die neue Regierung auf Kritik reagieren?
Mittlerweile gibt es ein Pressesekretariat, geändert habe sich aber nichts. Abel Wabella sagt, die Stimmung in Äthiopien sei trotzdem noch nie so hoffnungsvoll gewesen. Medien würden anfangen, unterschiedliche Meinungen zu veröffentlichen. Und die Worte des Ministerpräsidenten zu Demokratisierung seien die richtigen, nun müssten Taten folgen.
"Wir haben noch nicht ausprobiert, wie die Verwaltung der Abiy-Regierung auf Medien reagiert, die Kritik veröffentlichen. Aber wir sind auf dem Weg, es herauszufinden."
Ähnlich sieht das Eskinder Nega: "Als die 'Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker' 1991 an die Macht kam, war sie auch gewillt, den öffentlichen Diskurs zuzulassen. Aber als die Regierung kritisierte wurde, hat sie hart durchgegriffen. Wenn wir mal den Status Quo hinterfragen, wenn wir die jetzigen politischen Entwicklungen kritisieren. Noch weiß man nicht, wie die jetzige Regierung handeln wird."
Ähnlich sieht das Eskinder Nega: "Als die 'Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker' 1991 an die Macht kam, war sie auch gewillt, den öffentlichen Diskurs zuzulassen. Aber als die Regierung kritisierte wurde, hat sie hart durchgegriffen. Wenn wir mal den Status Quo hinterfragen, wenn wir die jetzigen politischen Entwicklungen kritisieren. Noch weiß man nicht, wie die jetzige Regierung handeln wird."