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Pressefreiheit in Bulgarien
Wenn Recherchen mit Drohungen und Verhaftung enden

Dass die bulgarische Journalistin Viktoria Marinova ermordet wurde, hatte nach aktuellem Ermittlungsstand nichts mit ihrer Arbeit zu tun. Trotzdem können Journalisten in Bulgarien längst nicht mehr frei arbeiten. Staatliche Institutionen bieten keinen Schutz - im Gegenteil.

Von Rebecca Nordin Mencke |
    Nach dem Mord an der Journalistin Marinowa legen Trauernde Blumen an dem Ort nieder, wo sie gefunden wurde.
    Nach dem Mord an der Journalistin Viktoria Marinowa haben Trauernde Blumen an dem Fundort der Leiche niedergelegt. (DIMITAR DILKOFF / AFP)
    Sich nicht einschüchtern lassen: Das ist das erklärte Selbstverständnis der Journalisten von "Bivol", einer unabhängigen bulgarischen Nachrichten-Website. Sie recherchieren zu Themen, die anderen Journalisten des Landes oft zu heikel sind.
    Auch Dimitar Stoyanov veröffentlicht dort seit Jahren Berichte über Korruption und organisierte Kriminalität. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass in Bulgarien viele dem Druck auf kritischen Journalismus nicht standhalten: "Ich hatte noch für ein kleines Fernsehunternehmen, Agro TV, gearbeitet, aber der Eigentümer wurde nach einer Recherche von mir massiv bedroht. Er hat meinen Vertrag schließlich gekündigt, weil er zu große Angst hatte."
    "Hör auf, über Korruption zu berichten"
    Auch Stoyanov selbst wurde mehrfach zur Zielscheibe von Drohungen und physischen Angriffen, hat er Anfang des Jahres bei einem Besuch in Leipzig berichtet. Ein Journalistenschutzprogramm verschaffte ihm hier eine mehrmonatige Atempause. In Bulgarien hatten ihn nach einer Recherche Unbekannte verfolgt, brachen in seine Wohnung ein. Monatelang hielt sich Stoyanov daraufhin versteckt.
    Bei staatlichen Institutionen fand er keine Unterstützung gegen die Einschüchterungen, beklagt er: "Ein Richter sagte mir: 'Hör auf, über Korruption zu berichten, denn das ist sehr schwierig, diese Leute sind sehr stark.' Ein Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma sagte: 'Hör auf mit deinen Recherchen zu Peevski.'"
    Trotz Drohungen recherchiert Stoyanov weiter
    Der Oligarch Delian Peevski gilt als Schlüsselfigur eines korrupten Netzwerks von Unternehmern und Politikern in Bulgarien. Seine Verbindungen sollen bis zum Ministerpräsidenten Boiko Borrisow reichen, wie Stoyanov in seinen Recherchen darlegt, die er trotz der Drohungen nicht eingestellt hat.
    Aber auch rund 80 Prozent der bulgarischen Medien stehen unter Peevskis Einfluss, erklärt Nora Wehofsits vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig, bei dem der bulgarische Journalist untergekommen war. Im Juni reiste Wehofsits mit Kollegen nach Bulgarien, sprach mit Journalisten, Medienrechtsexperten und Politikern.
    Oligarchen besitzen den Großteil der Medien
    Ein zentrales Problem in dem osteuropäischen Land ist laut Wehofsits, dass ein Großteil der Medien in den Händen weniger Oligarchen ist. "Aber es geht noch weit über diese Medienbesitzer hinaus. Es geht vor allem auch um ihre Verbindungen in zum Beispiel die Regierung, zu den wichtigsten Werbeverteilern, also zum Beispiel das Glücksspielunternehmen."
    Rundfunk und Zeitungen sind laut Wehofsits im Wesentlichen von Werbeeinnahmen und staatlichen Finanzen abhängig. Auf diesem Weg spiele die Regierung Geld insbesondere loyalen, unkritischen Medien zu - darunter auch EU-Mittel.
    Neben dem finanziellen Druck auf Journalisten und Medienmacher sieht Wehofsits aber noch ein weiteres Problem: "Wenn man zum Beispiel Korruption aufdeckt, gibt es danach nicht den politischen Willen, dem nachzugehen, das in irgendeiner Weise strafzuverfolgen. Im Gegenteil, der Journalist oder der Verleger, der darüber berichtet hat, wird verfolgt."
    Journalisten werden kaum geschützt
    So verbrachten Dimitar Stoyanov und sein rumänischer Kollege Attila Biro erst kürzlich eine Nacht in Polizeigewahrsam. Sie hatten über Betrug mit EU-Geldern in der Baubranche recherchiert und erfahren, dass wichtige Dokumente in dem Fall vernichtet wurden. Die Journalisten informierten die Anti-Mafia-Polizei und fuhren an die betroffene Stelle - dort wurden sie allerdings selbst von der Polizei festgenommen.
    Ob kritischer Journalismus gezielt sabotiert wurde oder die Polizisten vor Ort überfordert waren - für Nora Wehofsits vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit steht fest, dass die politisch Verantwortlichen zu wenig tun, um Journalisten zu schützen: "Man muss davon ausgehen, dass viele Themen gar nicht erst recherchiert werden."
    "Wir brauchen einen enormen Wandel"
    Mit den Enthüllungen wuchs der Druck auf den Bivol-Reporter Stoyanov wieder. Über ihre Recherchen berichteten er und sein Kollege im September auch im Sender TVN, in der neuen Sendung von Viktoria Marinova, die wenig später ermordet wurde. Die Tat geschah in einer ohnehin angespannten Situation. Deswegen lag die Vermutung nahe, dass ihr Tod mit ihrer Arbeit als Journalistin zu tun hatte.
    Nach jetzigem Stand deutet allerdings vieles auf einen Fall von Gewalt gegen Frauen hin. Dennoch: Die Bedrohung für kritische Journalisten ist real, betont Stoyanov. Aufgeben will er aber nicht. Seine Arbeit scheint für ihn wie eine Mission gegen die Missstände in seiner Heimat. "Korruption ist überall in Bulgarien, in Krankenhäusern, Schulen, bei der Polizei, Staatsanwälten und Richtern. Wir brauchen einen enormen Wandel."