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Pressefreiheit in Deutschland

Die Pressefreiheit gerät zunehmend unter den Druck der Staatsgewalt. Aber: In der Frage, was zu ihrer Verteidigung unternommen werden sollte, sind sich die Medienvertreter uneinig. Soll der Informantenschutz durch Gesetzesänderungen wieder unbedingten Vorrang erhalten sollte gegenüber staatlichen Ermittlungsbemühungen?

Von Andreas Burman |
    "Auf meiner Mailbox fand ich um acht Uhr zwölf zunächst nur irgendwelche Wortfetzen vor. Eine Minute später ein zweiter Anruf. Der ging auch auf die Mailbox. Da stellt sich ein Beamter namentlich vor. Sagt, er sei vom Landeskriminalamt Brandenburg, stünde in meinem Garten zusammen mit Kollegen des BKA und des LKA mit einem Staatsanwalt, und man habe einen Hausdurchsuchungsbeschluss vorliegen und wolle jetzt mein Haus durchsuchen. Ich möge freundlicherweise zurückrufen."
    Bruno Schirra, Journalist des politischen Monatsmagazins "Cicero", erhielt den Anruf am 12. September in Tel Aviv, während einer Sicherheits-Konferenz. Unter dem Vorwurf der Beihilfe zum Geheimnisverrat gingen die Ermittler in seiner Berliner Wohnung wenig später an ihre Arbeit. Selbst in zwei Computern seiner Frau hätten sie – rechtswidrig - nach belastendem Material gesucht, sagt Schirra. Nach acht Stunden zogen sie wieder ab. Mit 15 Umzugskartons, darin 80 Aktenordner, Tonbänder, Kassetten und Videobänder.

    Auch die Redaktion des "Cicero" in Potsdam wurde durchsucht. Drei Stunden lang filzten Landeskriminalbeamte Computer und Unterlagen. Dann gingen sie – mit einer kompletten Kopie der Festplatte des Cicero-Redakteurs, der regelmäßigen Kontakt zu Bruno Schirra hält. "Achselzuckend", so die "Cicero"-Redakteure, nahmen beide Staatsanwälte in Kauf, dass sich auf der Kopie der gesamte E-Mail-Verkehr, unveröffentlichte Manuskripte und Planungsunterlagen der Redaktion befanden.
    Was aber war der genaue Grund der Durchsuchungs-Aktionen? Journalist Schirra hatte ein halbes Jahr zuvor im "Cicero" einen brisanten Artikel über den Topterroristen Abu Musab al-Sarkawi veröffentlicht. Ausführlich und detailliert zitierte er aus dem geheimen Auswertungsbericht des Bundeskriminalamtes. Darin ging es um das Netzwerk des untergetauchten Islamisten. Der Bericht sprach vor allem von Verbindungen al Sarkawis zum Iran und davon, dass al Sarkawi einen gewaltigen Chemieanschlag plane und die Mittel dazu habe. Das BKA zeigte Schirra und das Magazin an, weil beide einem unbekannten BKA-Mitarbeiter ermöglicht hätten, geheime Informationen zu veröffentlichen.
    Dem Juristen Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserates, ist eine solche Vorgehensweise nicht unbekannt. Sie sei ein zunehmend angewandtes Behörden-Mittel, um an Plauderer in den eigenen Reihen heranzukommen, kritisiert er:

    "Die Kolleginnen und Kollegen werden verdächtigt, bei der Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen geholfen zu haben. Damit machen sie sich unter Umständen selbst strafbar, und dann ermöglicht das Strafprozessrecht den Staatsanwaltschaften den unmittelbaren Durchgriff gegen die Journalisten. Das ist aus unserer Sicht allerdings ein klarer Umgehungs-Tatbestand. Damit hebelt man im Prinzip die bestehenden Zeugnisverweigerungsrechte aus und strapaziert die Pressefreiheit in ungebührender Form."
    Das so genannte Zeugnisverweigerungsrecht, festgehalten im Pressekodex des Deutschen Presserates, garantiert, dass die Redaktionen ihre Quellen geheim halten dürfen. Damit ist es zugleich eines der umkämpften Presserechte. Denn der Staat will dieses für den investigativen Journalismus zentrale Recht nur mit Einschränkungen akzeptieren. Er will das vor allem dann nicht, wenn es ihm um die Aufklärung von Straftaten geht. Daraus entsteht automatisch eine Interessen-Kollision. Die sei aber typisch für einen demokratischen Staat, sagt Siegfried Weischenberg, Vorsitzender des Hamburger Instituts für Journalistik und Kommunikations-Wissenschaft:

    "Das muss eine Demokratie aushalten. Hier gibt es einen Interessenkonflikt und den finde ich auch richtig, und da bin ich auch keineswegs der Meinung, dass die Medien alles dürfen. Die Medien müssen sich selbstverständlich an die Gesetze halten. Sie dürfen keine Straftaten begehen. Aber das muss im Einzelfall dann ganz genau geklärt werden. Es kann aber nicht so sein, dass bei so einer Interessenkollision immer die Position des Staates von vornherein den Vorrang hat."
    Gerade diese Ansicht vertritt aber offensichtlich Bundesinnenminister Otto Schily. So verteidigt er im Fall "Cicero" ohne Wenn und Aber das harsche Vorgehen des Staates. Selbst Kritiker aus der eigenen Partei bezeichnet er als - so wörtlich – "ein paar Hanseln", denen es an elementaren Rechts-Kenntnissen mangele. Auf der Jahrestagung der Zeitungsverleger am 26. September in Berlin sprach er von "Gesetzesbruch", von Journalisten als Gehilfen von "Kriminellen". Schließlich könnten Journalisten nicht außerhalb der Gesetze stehen und sie hätten auch kein Recht auf Beihilfe zum Geheimnisverrat, sagte Schily vor rund 500 Verlegern und Journalisten:

    "Was Sie offenbar für sich reklamieren als Presse, ist, dass Sie mitwirken an der Durchbrechung eines Verbotes, Dienstgeheimnisse an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Und wenn Sie das durchhalten wollen, dann wollen Sie für sich einen Freiraum beanspruchen, bei dem die Strafgesetze teilweise nicht gelten. Und dann frage ich Sie: Wo, wo wollen Sie da aufhalten? Dann können Sie genauso gut sagen: Wenn eine Unterlage gestohlen wird aus dem Bundeskriminalamt, dann dürfen Sie sie entgegennehmen. Wenn das, das Ihr Begriff von Pressefreiheit ist, dann bin ich da strikt dagegen. Das ist nicht mein Begriff von Pressefreiheit."
    Wer sich geheime Papiere wie eine Trophäe anstecke und damit die Arbeit des Staates behindere, der, so unterstrich der Innenminister, müsse strafrechtlich verfolgt werden. Siegfried Weischenberg kann Schilys Haltung gerade da überhaupt nicht verstehen:

    " Dieser Vorwurf "Beihilfe zum Geheimnisverrat" oder "Geheimnisverrat", das ist ein typischer Vorwurf von Diktaturen. Überall da in der Welt, wo Journalisten verfolgt werden, da wird immer genau mit diesem Begriff gearbeitet. Also, so kann’s wirklich nicht sein. Wenn Schily Probleme hat mit seinen Behörden, dann muss er die dort lösen, aber dann kann er nicht sozusagen die Journalisten in Geiselhaft nehmen."

    Im Fall "Cicero" stellen sich - was das Verhalten der Staatsbehörden angeht - einige Fragen. So sagt der Rechercheur Schirra, das geheime Material sei ihm zum Teil derart brisant erschienen, dass er Bedenken hatte, es komplett zu verwenden. Vor der Veröffentlichung seines Artikels habe er deshalb das BKA um ein Gespräch gebeten. Der kontaktierte Beamte zeigte auch Interesse, erinnert sich Schirra, aber:

    " Es geschah dann drei Wochen lang gar nichts. Ich bekam keine Nachricht, musste dann für mehrere Wochen nach Südamerika verreisen und kam zu der Conclusio: Nun gut, offenbar sieht das BKA im Moment keinen Sinn, mit mir ein Hintergrund-Gespräch über dieses Papier zu führen. Und kam dann auch zur Einschätzung, dass dann die Brisanz wohl nicht so hoch sein kann."

    Die Durchsuchungen und Beschlagnahmen machten nach Auffassung Schirras und des Nachrichtenmagazins "Spiegel" von Anfang an keinen Sinn. Aus Gründen der Datenverarbeitung lasse sich nämlich die Spur zum Informanten in den Behörden-Reihen nicht mehr genau zurückverfolgen. Die im Fall "Cicero" zuständige Staatsanwaltschaft Potsdam hat bisher keinerlei Hinweise auf die Informations-Quelle, auf das Leck. Interessant ist auch, dass das bei Schirra beschlagnahmte Material überhaupt nichts mit dem beanstandeten Artikel über al Sarkawi zu tun hat. Die Ermittler sprechen von einem "Zufallsfund". Welchen Sinn der machen sollte, steht inzwischen fest:
    Die Staatsanwaltschaft Berlin hat nach Durchsicht der beschlagnahmten Schirra-Unterlagen Mitte Oktober ein zweites Ermittlungs-Verfahren wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat eingeleitet. Diesmal geht es um geheime Unterlagen des Untersuchungs-Ausschusses um die Privatisierung der ostdeutschen Mineralöl-Industrie, um die so genannte Leuna-Affäre. Der Bundesinnenminister steht auch zu diesem Verfahren aufgrund des Zufallsfundes. Hochrangige Ministeriale im eigenen Haus bezweifeln jedoch die Verhältnismäßigkeit.
    Der Journalist Schirra hält es, davon abgesehen, sogar für möglich, Opfer eines Lauschangriffs zu sein. Hieb- und stichfeste Beweise dafür kann er allerdings nicht vorlegen. Aber:

    " Mir haben, nachdem ich am 16. September aus Israel nach Deutschland zurückgekommen bin, auf etwas verschlungenen Wegen drei Quellen unabhängig voneinander mehrmals gesagt: "Sie werden abgehört. Ihre Mobiltelefone stehen unter Supervision. Es laufen TÜ-Maßnahmen, also Telefonüberwachungsmaßnahmen gegen Sie, obwohl es keinerlei richterliche Beschlüsse dafür gibt."

    Schirra unterstreicht, dass es sich um Quellen handelt, die ihm seit vielen Jahren als absolut zuverlässig erscheinen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Potsdam erklärt auf Anfrage, dass ihr keine laufende Überprüfung von Telefondaten bekannt sei. Ihre Behörde habe jedenfalls keinen Antrag gestellt, so die Auskunft. Wären Schirras Informationen verlässlich wie immer, so wäre das eindeutig verfassungswidrig, sagt Weischenberg, der Hamburger Journalistik-Experte:

    " Dann hätten wir im Grunde genommen in der Praxis das durchgesetzt, was vor einigen Jahren ja große öffentliche und professionelle Diskussionen ausgelöst hat, nämlich den Großen Lauschangriff. Also dass Journalisten abgehört werden und dass sie eben nicht Rechte haben, die wenigen anderen Berufsgruppen eingeräumt werden - aus guten Gründen. Dagegen ist gekämpft worden, es schien so zu sein, als wenn dieses Thema vom Tisch wäre. Aber wenn das stimmt, was da behauptet wird, wäre das natürlich äußerst problematisch. "
    Der so genannte "Große Lauschangriff" war im Januar 1998 per Grundgesetzänderung mit Zweidrittel-Mehrheit vom Bundestag beschlossen worden. Im März 2004 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Abhörregelungen in der Strafprozess-Ordnung fast komplett für verfassungswidrig und verlangte eine Neuregelung. Ein halbes Jahr später legte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Sache ad acta. Seither ist das Abhören von Berufsgeheimnisträgern nur bei Verdacht auf eine besonders schwere Straftat mit mindestens fünf Jahren Haft möglich.
    Manche Beobachter fühlen sich im Fall "Cicero" an die "Spiegel-Affäre" erinnert. Mit ihr begann am 26. Oktober 1962 die bis heute größte Auseinandersetzung zwischen Staat und Medien um die Pressefreiheit. Das Nachrichtenmagazin hatte unter dem Titel "Bedingt abwehrbereit" über militärische Schwächen der Bundeswehr berichtet. Quelle war ein streng geheimer Bericht, wonach bei einem Angriff des Warschauer Paktes Deutschland nur durch westliche Atomraketen zu verteidigen wäre.
    Die Redaktion erhielt eine Anzeige wegen Landesverrats. "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein und einige seiner Kollegen wurden verhaftet. Vier Wochen lang blieb das Hamburger Pressehaus von der Obrigkeit besetzt. Auf der Straße demonstrierten die Massen und riefen: "Spiegel tot, die Freiheit tot." 103 Tage später kamen die Journalisten wieder frei. Verteidigungsminister Franz Josef Strauss verlor sein Amt.
    Im Mai 1965 befand dann der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Vorwürfe des Landesverrats für haltlos und beendete die "Spiegel-Affäre". 1966 folgte das große "Spiegel-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts. Dazu Journalistik-Experte Weischenberg:

    " Da ist im Grunde genommen erstmals explizit beschrieben worden, was öffentliche Aufgabe der Medien eigentlich bedeutet. Also das war der große Einschnitt, deswegen halte ich diese Spiegel-Affäre im Grunde genommen für zentral nicht nur für die Theorie, sondern insbesondere auch für die Praxis der deutschen Pressefreiheit."
    Der Leitsatz im "Spiegel-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts lautete:

    "Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfenen Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich."
    In den Jahrzehnten nach der "Spiegel-Affäre" hat es nichts mehr Vergleichbares gegeben.
    Für erheblichen Wirbel sorgte 1993 die so genannte Rotlicht-Affäre um Oskar Lafontaine, damals Ministerpräsident des Saarlandes. Nach Recherchen des TV-Magazins "Panorama" sollte Lafontaine während seiner Amtszeit als Oberbürgermeister von Saarbrücken einen befreundeten Bordellbesitzer vor Razzien gewarnt und Steuervorteile gewährt haben. Die Ausstrahlung des Beitrags wurde gerichtlich unterbunden.

    Panorama-Moderation: " Guten Abend, meine Damen und Herren. Eigentlich wollten wir mit einem Beitrag über Oskar Lafontaine und Hinweise ans Rotlichtmilieu in Saarbrücken beginnen. Aber genau vor fünf Minuten hat uns eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg erreicht, die uns untersagt, diesen Beitrag zu senden."
    Lafontaine warf Panorama "Schweinejournalismus" vor. 1994 setzte er dann eine Änderung des saarländischen Presserechts durch. Sie verbot die redaktionelle Kommentierung von Gegendarstellungen. Das Verfassungsgericht kassierte jedoch diese Änderung später wieder.
    Es gab also immer wieder Versuche von staatlicher Seite, die Pressefreiheit auszuhöhlen, sie einzuschränken. Der Deutsche Journalisten-Verband hat allein für die Zeit von 1987 bis 2000 mehr als 150 Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Redaktionen registriert. Journalisten wurden in keinem der Fälle gerichtlich verurteilt. Dennoch erreichte die Staatsgewalt hin und wieder ihr Ziel: Sie erfuhr die Identität einiger Informanten. Kritischen Beobachtern fiel auf, dass die Amtsrichter ihre Durchsuchungs- und Beschlagnahme-Beschlüsse relativ rasch und ohne langes Abwägen zu Ungunsten der Pressefreiheit fassten. 1998 ermahnte das Bundesverfassungsgericht ermittelnde Staatsanwälte und Polizei. Sie sollten bei Anordnungen von Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Redaktionen die "Verhältnismäßigkeit" beachten.
    Die Terrorangriffe vom 11. September 2001 haben dann der Pressefreiheit noch mehr Beschränkungen auferlegt. Zwar sei schon vor dem 11.9. festzustellen gewesen, dass die Hemmschwelle staatlicher Ermittlungsbehörden gesunken sei, kritisiert der DJV. Jetzt aber erleichterten die so genannten Antiterror-Gesetze den Behörden die Zugriffsmöglichkeiten auf Redaktionen. Sie ermöglichten ihnen schon bei Verdacht tätig zu werden. Hendrick Zörner, Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes nennt ein Beispiel:

    " Ich erinnere beispielsweise an die Veränderung der Strafprozess-Ordnung im zurückliegenden Jahr. Darin ist der Informantenschutz, der ein wichtiges Gut der Pressefreiheit ist, für Journalisten eben nicht mehr ausführlich vorgesehen. Von möglichen Strafverfolgungen und Ermittlungen sind nur Ärzte und Priester als Berufsgruppen ausgenommen. Das sind einfach Verschlechterungen auf dem Gesetzeswege, unter denen Journalisten zunehmend zu leiden haben. "
    Die Folgen hat aktuell ein Journalist der "Dresdner Morgenpost" zu spüren bekommen. Ronny Klein hatte über eine Hausdurchsuchung bei dem früheren sächsischen Wirtschaftsminister Kajo Schommer berichtet. Pünktlich hatte er am Morgen des 24. Mai 2005 mit Beamten einer Antikorruptionseinheit an der Haustür des Politikers gestanden. Am nächsten Tag erschien sein Artikel, mit Fotos des überraschten Ex-Ministers im Schlafanzug. Irgendwer in der Behörde hatte dem Reporter offenbar einen Tipp gegeben. Daraufhin ließ die zuständige Staatsanwaltschaft sämtliche Telefongespräche überprüfen, sagt Klein:

    "Man hat nachträglich über Telefongesellschaften die Verbindungsdaten vom Handy oder vom Privattelefon sich kommen lassen. Inklusive Geo-Koordinaten, die nachweisen können, wo ich wann gesprochen hab’, an welchem Ort. Inklusive Länge der Telefonate, Uhrzeit und natürlich mit Namen der Gesprächspartner."
    Die Daten-Sammlung lässt jedoch keine Rückschlüsse auf den Informanten zu. Das wäre allenfalls über die Gesprächsinhalte möglich, doch die sind freilich nicht erfasst. Und deshalb glaubt Klein, dass es primär darum geht, Journalisten und ihre Informanten einzuschüchtern.
    Im Fall der "Dresdner Morgenpost" mag es um Einschüchterung gehen, im Fall "Cicero" darum, Behörden-Lecks zu stopfen. Die Gesetzeslage dient nicht nur hier als Vehikel. Die Journalisten sehen sich von der Staatsgewalt zunehmend instrumentalisiert. Zu Recht, meint der renommierte Rechercheur Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung:

    " Es liegt ganz genau daran, glaub’ ich, dass es, von Otto Schily betrieben, so ’ne Gleichung gegeben hat: Die Journalisten sind nicht gleicher als gleich. Man kann sie mit anderen Berufsgruppen ja auf eine Ebene stellen. Otto Schily verliert manchmal als letzte Bastion vor dem Weltuntergang das Augenmaß. Und hier ist das Augenmaß verloren gegangen. Journalisten dürfen belauscht werden. Das kann nicht sein, dass die Staatsgewalt versucht, da an Informationen zu kommen, da zu erfahren, woher ein Journalist irgendwelche Erkenntnisse hat, weil das auch das Vertrauens-Verhältnis zwischen Informant und Presse nachhaltig stört. "
    Der seit Jahrzehnten erfahrene investigative Journalist, auch zweiter Vorsitzender von "Netzwerk Recherche", übt zugleich Kritik an den eigenen Reihen. Ein Fall "Cicero" wäre möglicherweise vermeidbar gewesen. Angesichts seines sensiblen Informations-Materials, hätte sich der Autor bewusster sein müssen, in einem Interessenkonflikt mit der Staatsmacht zu stehen, sagt Leyendecker.

    " In dem "Cicero"-Bericht wird nun mal ziemlich deutlich darauf hingewiesen, dass der Autor Dinge aus einer Handakte hat, aus einem vertraulichen Bericht. Dann tauchen da Telefonnummern auf. Also wenn Sie die Geschichte Sarkawi erzählen wollen, brauchen Sie das alles nicht. Da klingelt der Journalist und sagt, schaut mal, was ich auch Bedeutendes habe. Die Geschichte, und darauf kommt’s ja an: Ist Aufklärungs-Journalismus möglich? Ich behaupte: Ja! Und er ist möglich, ohne dass man ständig darauf hinweist, dass man geheime Papiere hat."
    Mögen die Probeme im Fall "Cicero" zum Teil auch hausgemacht sein, eines ist – aus kritischer Sicht von Beobachtern - nicht von der Hand zu weisen: Die Pressefreiheit gerät zunehmend unter den Druck der Staatsgewalt. Aber: In der Frage, was zu ihrer Verteidigung unternommen werden sollte, sind sich die Medien-Vertreter uneinig.
    Der Deutsche Journalisten-Verband fordert zum Beispiel, dass der Informantenschutz durch Gesetzesänderungen wieder unbedingten Vorrang erhalten sollte gegenüber staatlichen Ermittlungs-Bemühungen. Der Deutsche Presserat hingegen hält Nachbesserungen insgesamt für nicht nötig. Aber: die bestehenden Gesetze sollten korrekt ausgelegt und die Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
    In den USA saß kürzlich eine Journalistin der New York Times 85 Tage in Beugehaft, weil sie den Namen eines Informanten nicht preisgeben wollte. Nach Ansicht des Journalistik-Experten Weischenberg wäre in Deutschland ein ähnlicher Fall kaum denkbar. Aber er kritisiert, dass die Pressefreiheit allzu oft in den letzten Jahren für die Interessen des Staates beiseite geschoben wurde.
    "Die Pressefreiheit ist der zentrale Wert in einer Demokratie. Deswegen muss im Einzelfall immer sehr, sehr genau geprüft werden, ob dieses Grundrecht eingeschränkt werden kann. Also da muss wirklich etwas auf dem Spiel stehen. Und das ist bei allen Fällen, die ich in den letzten Jahren erlebt habe, nicht der Fall gewesen. Und es ist ja auch bezeichnend, dass aus all diesen Redaktionsdurchsuchungen überhaupt kein konkreter Tatvorwurf dann am Ende, geschweige denn ’ne Verurteilung herausgekommen ist. "