Archiv

Presseschau
"Ein Schuss zu viel"

Den mutmaßlichen Abschuss eines Passagierflugzeugs über der Ukraine bezeichnen einige Zeitungskommentatoren als Verbrechen - und zeigen mit dem Finger auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ein weiteres Themas unserer Presseschau ist die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen.

18.07.2014
    Von einem Wendepunkt in der Ukraine-Krise spricht LE FIGARO aus Paris:
    "Wenn es sich als wahr herausstellt, dass die im Osten der Ukraine abgestürzte malaysische Boeing 777 von einer Rakete abgeschossen wurde, wird es ein vor dem 17. Juli und ein nach dem 17. Juli geben. Eine solche Tat wäre ein unverzeihliches Verbrechen und ein kapitaler Fehler. Manchmal gibt es in Konflikten einen Schuss zu viel",
    erläutert der französische FIGARO.
    Der britische GUARDIAN schreibt:
    "Nach Angaben der Fluggesellschaft stammen die Toten aus den Niederlanden, Australien, Großbritannien, Deutschland, Malaysia und den Philippinen. Kriege sind schon aus weit geringerem Anlass ausgebrochen. Wie der australische Premierminister Tony Abbott zu der Nachricht sagte, dass 27 seiner Landsleute an Bord waren: 'Wenn dies ein Verbrechen ist und kein Unfall, nun, dann ist es ein unaussprechliches Verbrechen'",
    so der LONDONER GUARDIAN.
    HUANQUI SHIBAO aus Peking kommentiert:
    "Der Westen beschuldigt Moskau, Moskau bezichtigt Kiew, Kiew zeigt mit dem Finger auf die prorussischen Rebellen in der Ostukraine, und diese weisen jede Schuld von sich. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich um eine gezielte Tat handelt, möglicherweise sogar, um dem Gegner etwas in die Schuhe zu schieben. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre es eine moralische Bankrotterklärung und die Folgen einer Aufdeckung solch eines Komplotts wären verheerend. Deshalb arbeiten einige schon emsig an der These, es habe sich um ein Versehen gehandelt, in der Militärsprache 'friendly fire' genannt. Wer auch immer letztlich der Übeltäter sein mag, alle Beteiligten des Konflikts versuchen so viel Profit wie möglich aus dieser Tragödie zu ziehen. Den größten Schaden könnte am Ende Russland davontragen",
    mutmaßt die chinesische Zeitung HUANQUI SHIBAO.
    Die polnische GAZETA WYBORCZA hat den Schuldigen schon ausgemacht:
    "Die Tragödie geht wahrscheinlich darauf zurück, dass Russland die Kontrolle über die Situation in der Ostukraine verloren hat. Aus Prestigegründen kann Putin die Separatisten nicht fallen lassen, doch diese tun auf ihrem Territorium, was sie wollen. Falls sich die Hypothese bestätigen sollte, dass Separatisten die Boeing abgeschossen haben, wird Putin der Hauptschuldige sein. Nachdem in den 1980er-Jahren der libysche Diktator Muammar Gaddafi den Befehl gegeben hatte, eine Bombe in einer Boeing der Pan Am explodieren zu lassen, behandelte ihn die zivilisierte Welt wie einen Paria. Putin sollte das gleiche wiederfahren,
    fordert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
    Die schwedische Zeitung SYDSVENSKAN findet:
    "Wenn sich herausstellt, dass russische Separatisten hinter dem Crash der MH17 stecken, trägt Russland eine große Verantwortung. Die Waffen, die vermutlich verwendet wurden, waren teuer und anspruchsvoll. Der Konflikt hat nun Europa näher an die Krise gerückt, die seit fast vier Monaten die politische Agenda bestimmt. In den letzten Tagen gerieten die pro-russischen Rebellen zunehmend unter Druck, was Russland dazu bewegt hat, seine Truppenpräsenz an der russisch-ukrainischen Grenze zu erhöhen. Das Ergebnis davon ist wahrscheinlich der Absturz des Passagierflugzeugs",
    ist SYDSVENSKAN aus Malmö überzeugt.
    Die Amsterdamer Zeitung DE VOLKSKRANT notiert:
    "Sollte sich herausstellen, dass tatsächlich die Aufständischen für den Abschuss des Flugzeugs verantwortlich sind, wird ein Sturm der Entrüstung gegen Moskau ausbrechen. US-Senator John McCain forderte bereits, dass Moskau einen verdammt hohen Preis zahlen müsse, sollte sich zeigen, dass seine Handlanger die Katastrophe verursacht haben. Der Kreml steht vor einer schwierigen Entscheidung. Er kann die Rebellen fallen lassen, die Grenze dicht machen für Waffenlieferungen und freiwillige Kämpfer und dann zuschauen, wie die ukrainische Armee den Aufstand niederschlägt. Für Putin wäre das eine bittere Pille. Aber die Alternative ist auch unangenehm: die Rückkehr in die dunkle Zeit des Kalten Krieges",
    analysiert DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden.
    Die französische Zeitung LIBERATION schreibt:
    "Diese Tragödie sollte die internationale Gemeinschaft dazu bringen, eine dauerhafte Lösung für diesen Krieg im Herzen Europas zu finden. Schon vor dem Absturz des Flugzeuges der 'Malaysia Airlines' bereiteten Europa und die USA Sanktionen gegen Russland vor. Frankreich, das dabei ist, zwei Kriegsschiffe an die russische Marine zu liefern, wird erneut vorgeworfen werden, ein doppeltes Spiel zu spielen",
    erklärt LIBERATION aus Paris.
    Putin müsse den Aufstand im Osten der Ukraine beenden, fordert die britische TIMES.
    "Als Zerstörer und Rebell ist Putin in den vergangenen zehn Jahren auf dem internationalen Parkett zu einer Berühmtheit geworden. In den kommenden Tagen wird sich zeigen, welchen Platz Putin im Buch der Geschichte bekommen wird. Putin muss sich mit sofortiger Wirkung kategorisch von der Volksrepublik Donezk lossagen. Er muss sämtliche schwere Waffen Russlands nahe der ukrainischen Grenze zurückziehen",
    verlangt die Londoner TIMES.
    Eine entschiedene Reaktion der internationalen Gemeinschaft fordert die ukrainische Zeitung DEN:
    "Die 500 Millionen Europäer müssen endlich verstehen, dass der Absturz der Maschine sie alle betrifft. Sie alle sind Geiseln einer Bande Wahnsinniger geworden, die im Kreml beheimatet ist. Der Westen muss nun entsprechend handeln. Der Tod der 298 Insassen kann niemanden kalt lassen. Man kann bei einem Krieg nicht außen vor bleiben. Das ist nicht nur eine Tragöde für die Niederlanden und Malaysia, sondern auch für die USA, Europa und die ganze Welt",
    betont DEN aus Kiew.
    Die WASHINGTON POST spricht sich für eine umfassende Untersuchung des Absturzes aus:
    "Sollten sich die Berichte bewahrheiten, dass die Separatisten im Osten der Ukraine und ihre Unterstützer in Moskau dieses abscheuliche Verbrechen begangen haben, dann müssen die USA und ihre Verbündeten die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Sie dürfen Russland nicht erlauben, ein Verbrechen zu verschleiern. Die internationale Gemeinschaft muss darauf bestehen, dass es im Auftrag des UNO-Sicherheitsrates eine Untersuchung gibt. Es muss festgestellt werden, wie und mit welchen Waffen das Flugzeug abgeschossen wurde",
    verlangt die WASHINGTON POST.
    Dieser Ansicht ist auch die russische Zeitung NOWAJA GAZETA:
    "Die Separatisten wollen - so wie es der Kreml verlangt -, die Black Box der abgestürzten Maschine den russischen Behörden übergeben. Das widerspricht allen Regeln des internationalen Luftverkehrs. Die ukrainischen Behörden sollten unter Beteiligung ausländischer Experten die Black Box untersuchen. Es wäre für alle Seiten vorteilhaft, wenn die Separatisten und die russische Regierung mit den Lügen aufhörten. Sie sollten möglichst schnell ihre Schuld eingestehen und zugeben, dass der Abschuss der Maschine ein Fehler war",
    meint NOWAJA GASETA aus Moskau.
    Im TAGES-ANZEIGER aus Zürich heißt es:
    "Die Abschussszenarien führen dramatisch vor Augen, wie weit der Wahnsinn in der Ostukraine inzwischen gediehen ist. Moskau heizt die Spannungen verantwortungslos an, nur um den Nachbarn erpressbar zu halten. Kiew stellt Millionen seiner Landsleute faktisch unter Terrorverdacht und will den Ostenohne Rücksicht auf Verluste unter Kontrolle bringen. Reiche und mächtige Ostukrainer tun das ihre dazu, den Konflikt am Schwelen zu halten, um ihre Pfründen zu retten. Sollte das Flugzeug wirklich abgeschossen worden sein, müssen harsche internationale Reaktionen allen Parteien endgültig klar machen, dass es keinen anderen Weg gibt als sofortige, bedingungslose Gespräche",
    unterstreicht der Schweizer TAGES-ANZEIGER.
    Für die tschechische Zeitung HOSPODARSKE NOVINY stellt sich die Frage, wer den Krieg in der Ukraine beenden kann:
    "Die Nato kann nicht direkt in der Ukraine eingreifen. Doch so wie Putin die ukrainischen Separatisten und den ganzen dortigen Konflikt militärisch, logistisch und propagandistisch unterstützt, so einfach und unmittelbar kann er die Aufständischen zu einer Waffenruhe und Friedensverhandlungen bewegen. Wenn der Westen nicht das Gesicht verlieren will, muss er Putin dazu zwingen",
    hebt HOSPODARSKE NOVINY aus Prag hervor.
    Nun zur Bodenoffensive Israels im Gazastreifen
    Kritisch äußert sich die in Tel Aviv herausgegebene Zeitung HAARETZ.
    "Es ist falsch, dass Israel aus Frustration über das Scheitern der Waffenruhe mit der Hamas zahlreiche Zivilisten tötet. Nur zur Erinnerung: Seit Beginn der israelischen Offensive sind 234 Palästinenser getötet worden, darunter Frauen und Kinder. Allein gestern Abend sind bei Luftangriffen in Khan Yunis drei Mitglieder einer Familie getötet worden. Mit der Bombardierung von zivilen Zielen verletzt Israel internationale Regeln. Die israelische Regierung und das Militär tragen die Verantwortung dafür und müssen die Angriffe stoppen",
    mahnt die israelische Zeitung HAARETZ.
    Abschließend ein Blick in EL PAIS aus Madrid:
    "Israel und die Hamas müssen unbedingt eine Waffenruhe aushandeln, die nicht nur ein Intermezzo bis zur nächsten kriegerischen Eskalation ist, sondern ein erster Schritt zur Überwindung eines Konflikts ist, in dem es nur Verlierer gibt. Hamas hat keinen Grund zu triumphieren, denn die Palästinenser im Westjordanland folgten dem Aufruf der Islamisten zu einer neuen Intifada nicht. Israel kann es sich unter keinen Umständen leisten, dass Tag für Tag palästinensische Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet werden."