Richard Kay sitzt in seinem kleinen Eckzimmer im Untergeschoss, in dem sich Bücher und Fossilien stapeln. Der Professor am Institut für Evolutionäre Anthropologie der Duke Universität in Durham wirkt zufrieden. Denn er hat vor Kurzem Antworten auf Fragen gefunden, nach denen er lange gesucht hat: Woher und wie kamen die ersten Primaten nach Südamerika?
"Man kann das Problem nicht lösen, indem man behauptet, dass die Primaten aus Nordamerika kamen, denn es gibt dort weder plausible potenzielle Vorfahren, zum anderen war das Meer dort praktisch nicht zu passieren. Alles deutet darauf hin, dass Nagetiere und Primaten vor rund 40 Millionen Jahren ohne Umweg über den Norden nach Südamerika gekommen sind. Ob das jetzt direkt durch eine Art Floßfahrt von Afrika aus geschah oder indirekt über eine Art Inselhopping, das wissen wir noch nicht."
Auf welche Art die ersten Primaten nach Südamerika gelangt seien, sei letztendlich egal, einzig das Ergebnis, dass sie angekommen sind, zählt, so der Geologe. Seit mehr als 30 Jahren hat er auf dem südamerikanischen Kontinent nach frühen Primatenfossilien gesucht und nur selten war ihm das Fundglück hold. Denn vor allem in der vermuteten Wiege der Neuweltaffen, dem Amazonasbecken, ist und war es stets warm und feucht. Dieses Klima recycelt biologisches Material wie Knochen binnen kurzer Zeit; versteinerte Knochen gibt es dort kaum. Hinzukommt, dass Primaten generell nicht in großer Zahl auftreten:
"Versuchen Sie sich also vorzustellen, wie eine solche Rekonstruktion aussieht: Sie gehen davon aus, dass diese ganze Entwicklung in den Tropen vonstattenging, aber alles was sie haben sind einige wenige elf bis 13 Millionen Jahre alte Fossilien aus Kolumbien und dann einige 16 bis 21 Millionen Jahre alte Versteinerungen aus Patagonien. Also, kurz gesagt, die Datenlage ist fürchterlich."
Evolutionäre Sackgassen
Da kaum direkte Beweise zur Verfügung standen, um Ursprung und Verbreitung der Neuweltaffen zu rekonstruieren, konzentrierte sich Richard Kay auf indirekte. Zunächst schaute sich der US-Forscher einen Primaten-Stammbaum an, den Molekulargenetiker erstellt hatten. Danach analysierte er fast 400 anatomische Merkmale von 16 heute lebenden und 20 ausgestorbenen Neuweltaffen. Aus diesen Daten erstellte er einen anatomischen Stammbaum und glich dessen Verzweigungen mit denen des genetischen Stammbaums ab. Seiner These zufolge ergeben sich dabei nur für diejenigen Fossilien Übereinstimmungen, die auch für die Entwicklung der Neuweltaffen relevant waren. Danach schaute er, welche geografischen, klimatischen und geologischen Faktoren in der Vergangenheit eine Rolle bei der Ausbreitung der Arten gespielt haben könnten. Zu seiner eigenen Überraschung erhielt er eine eindeutige Antwort.
"Schaut man sich die Fossilien aus Kolumbien an, alle zwölf Millionen Jahre alt, dann sieht man hier die Vorfahren heutiger Neuweltaffen. Dagegen zeigen die Tiere aus Patagonien keine Gemeinsamkeiten mit heutigen Primaten. Es sind zwar auch Neuweltaffen, die vermutlich vor 25 Millionen Jahren nach Patagonien kamen, aber wir haben hier eine Art Zeitkapsel, weil sie geografisch von den anderen isoliert waren. Sie haben zunächst eine große Vielfalt entwickelt, sind dann aber ausgestorben."
Demnach erwiesen sich Entwicklungslinien außerhalb des Amazonasbeckens, etwa im heutigen Argentinien, vor allem durch extreme klimatische Wechsel bedingt als evolutionäre Sackgassen. Die Rekonstruktion sei zwar bislang nur eine durch Indizien gestützte Hypothese, aber vielleicht, so Richard Kay, sei ihm das Glück ja doch noch irgendwann hold und er finde tatsächlich knapp 40 Millionen Jahre alte Fossilien aus der Frühzeit der Neuweltaffen, die belegen, wo und wie alles begann.