Manfred Kloiber: Warum steht denn die Frage, wem die Daten gehören, jetzt so prominent im Raum, Peter Welchering?
Peter Welchering: Das hat vermutlich mit den ganzen Wirtschaft-4.0-Konzepten zu tun. Daten werden da als Rohstoff gesehen. Meine Gesundheitsdaten sind für Versicherungen wichtig. Die wollen damit ihre Risikoprognose verbessern. Fahrdaten aus den Autos sind für die Hersteller wichtig, aber auch zur Vermeidung von Staus, also für die Verkehrsregelung, genauso für die Werkstatt, die daraus Wartungsbedarf errechnen kann. Big-Data-Analysen erlauben Supermärkten, viele Megatonnen an Frischfleisch und Gemüse einzusparen, weil sie verbrauchergerecht disponieren können und so nichts mehr auf dem Müll landet. Also Daten sind das, was Kohle und Stahl für die industrielle Revolution im vorvergangenen Jahrhundert waren. Mit Daten lässt sich viel Geld verdienen. Und deshalb hat ja etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel gewarnt, wenn wir zu viel Datenschutz treiben, wenn Datenschutzrecht nur den Datenschutz des Einzelnen im Auge hat, dann drohe Deutschland der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Axel Voss, EP-Abgeordneter der CDU, hat deshalb Abstriche bei der Privatsphäre und eine weitreichende Lockerung des Datenschutzes gefordert. Dem widersprechen natürlich Datenschützer wie etwa Thilo Weichert, früherer Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein. Und dieser politische Streit um den Datenschutz hat letztlich zu der Frage geführt: Wem gehören die Daten eigentlich, die da massenhaft in der Industrie 4.0 anfallen? Die Antwort darauf ist noch unbefriedigender: Wir wissen das nicht so genau, wem die Daten eigentlich gehören. Rechtlich ist da noch vieles ungeregelt. Und in dieser Situation hat jetzt der Chef der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit, Rolf Schwartmann, vorgeschlagen, doch ein eigenen Datenverwertungsrecht zu entwickeln. Klingt kompliziert, ist aber gar nicht so schwierig und vor allen Dingen enorm wichtig, weil nur so die Digitalisierung der Gesellschaft gelingen kann, weil nur so Industrie 4.0 überhaupt funktionieren kann.
Kloiber: Dieses neue Eigentumsrecht würde dann so eine Art Lizenzmodell für Daten vorsehen. Das bisherige Datenschutzrecht sieht hier vor, dass der Einzelne in die Verarbeitung seiner Daten einwilligen muss. Reicht das nicht aus?
Welchering: Die Experten sehen hier zwei Probleme. Zum einen gilt die Einwilligungspflicht bei personenbezogenen Daten. Daten, die also anfallen, wenn ich Auto fahre, sind zum Teil keine personenbezogenen Daten. Die Belastung der Achse, der Reifendruck, der aktuelle Sprit-Verbrauch. Und obschon sie nicht personenbezogen sind, sind sie sensibel, unter Umständen. Dann etwa, wenn der Hersteller die Kosten für eine Reparatur trotz Garantie nicht übernehmen will, weil er sagt: Dein Auto war überladen, deshalb ist die Garantie ausgeschlossen. In der Industrie 4.0 haben wir es fast nie mit personenbezogenen Daten zu tun. Und hier könnte ein Lizenzmodell dafür sorgen, dass diejenigen, die Daten erzeugen, sehr individuelle Verwertungsrechte einräumen können. Beispielsweise räume ich meiner Kfz-Werkstatt nur für Diagnosezwecke Verwertungsrechte an den Fahrzeugdaten ein, untersage aber die Weiterleitung an den Hersteller. So etwas wäre mit einem Lizenzmodell machbar.
Kloiber: Wie weitgehend soll denn das Urheberrecht auf solch ein Datenverwertungsrecht übertragen werden?
Welchering: Eigentlich soll das Urheberrecht hier nur Pate stehen. So ein Datenverwertungsrecht muss neu ausformuliert werden. Da kann da Urheberrecht nicht einfach übernommen werden. Das ist ganz klar. Ganz wesentlich ist ein Gedanke, der vom Urheberrecht übernommen werden soll: Dass mir meine Daten wirklich gehören, dass sie mein Eigentum sind. Und bisher ist diese Eigentumsfrage bei den Daten nicht so richtig geklärt.
Kloiber: Kann man Daten und damit Verwertungsrechte denn immer ganz präzise einzelnen Eigentümern zuordnen?
Welchering: Mitunter gehören Daten tatsächlich mehreren Eigentümern. Und dann müssen Eigentumsanteile festgelegt werden. Das muss solch ein Datenverwertungsrecht auch lösen. Diskutiert wird in dem Zusammenhang auch der Verkauf des Messengerdienstes WhatsApp an Facebook. Facebook hat für WhatsApp 19 Milliarden Dollar gezahlt. Zu der Zeit hat WhatsApp einen Jahresumsatz von 20 Millionen Dollar gehabt. Facebook hat im wesentlichen die Nutzerkonten von WhatsApp gekauft. Da könnte ein Datenverwertungsrecht regeln, dass die WhatsApp-Anwender bei solch einem Verkauf beteiligt werden müssen. Denn sie haben ja den Wert von WhatsApp mit ihren Profildaten mit geschaffen.
Kloiber: Dann würde aber durch solch ein Datenverwertungsrecht das Geschäftsmodell von Google, Facebook & Co. ganz wesentlich geändert werden.
Welchering: Mit einem europäischen Datenverwertungsrecht hätten wir die Chance dazu. Google, Facebook & Co müssten ihren Anwendern Eigentumsrechte einräumen. Das könnte mit solch einem Datenverwertungsrecht geregelt werden. Monopole, wie sie im Augenblick Google bei den Suchmaschinen hat, könnten durch ein Datenverwertungsrecht nicht mehr so leicht aufgebaut werden. Und deshalb ist auch ganz klar, dass der Anstoß, der da jetzt von der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit ausgeht, von den großen Internetkonzernen argwöhnisch beobachtet wird. Da wird es in den nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheit Widerstand von Google & Co gegen solch ein Datenverwertungsrecht geben. Denn mit solch einem Rechtsinstrument würden Google und andere tatsächlich ein Stück weit entmachtet. Denn meine Daten, mit denen etwa Google seine Geschäftsmacht ausstattet, müssten dann Google von mir erworben werden. Das wird noch spannende Diskussionen geben.