Privatinsolvenz
Schuldenfrei nach drei Jahren

Wenn überschuldete Menschen nach einem Neuanfang suchen, dann ist die sogenannte Privatinsolvenz eine Möglichkeit. Doch dieser Weg zur Schuldenfreiheit wird kaum genutzt. Wie er genau aussieht und warum ihn so wenige gehen - ein Überblick.

    Ein besorgt dreinblickender Mann vor seinen Rechnungen.
    Männer sind häufiger von Überschuldung betroffen als Frauen. Doch kein Grund zu verzweifeln. Es gibt einen gesetzlich geregelten Weg aus der Schuldenspirale: die Privatinsolvenz. (picture alliance / Westend61 / Veam)
    Nur etwa ein Prozent der überschuldeten Menschen in Deutschland geht den Weg in die Privatinsolvenz, an dessen Ende die Schuldenfreiheit steht – und das obwohl dieses Instrument der Schuldenbereinigung immer wieder zugunsten der Schuldner reformiert worden ist. Zuletzt wurde die Dauer des Verfahrens von sechs Jahren auf drei verkürzt. Alle Fakten im Überblick.

    Inhaltsverzeichnis

    Was ist eine Privatinsolvenz?

    Wenn einem die Schulden über den Kopf wachsen und man seine Rechnungen, Kredite und Raten nicht mehr bezahlen kann, gilt man als zahlungsunfähig. Dann kann man, sofern man keine selbständige Tätigkeit ausübt, eine Privatinsolvenz anmelden (auch Verbraucherinsolvenzverfahren genannt).
    Dabei handelt es sich um eine gerichtliche Schuldenregulierung, an deren Ende – das heißt nach drei Jahren, nach der sogenannten Wohlverhaltensphase – die Restschuldbefreiung steht. Betroffene sind dann schuldenfrei und bekommen eine zweite Chance. 

    Wer ist dazu berechtigt?

    Dazu berechtigt sind unter anderen Arbeitnehmer, Rentner, ehemalige Selbständige, die weniger als 20 Gläubiger und keine Verbindlichkeiten aus Beschäftigungsverhältnissen mit Arbeitnehmern haben, aber auch Bürgergeld- und Arbeitslosengeld-Empfänger. Ein Einkommen ist also keine Voraussetzung für eine Privatinsolvenz. Bei der Eröffnung des Verfahrens müssen Betroffene ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
    Für Selbständige gibt es das sogenannte Regelinsolvenzverfahren, das ebenfalls nach drei Jahren mit einer Restschuldbefreiung endet.

    Seit wann gibt es die Möglichkeit der Privatinsolvenz?

    Seit 1999 können sich zahlungsunfähige Menschen nach Durchlaufen eines solchen geregelten Insolvenzverfahrens von all ihren Schulden befreien. Vorher war ein solcher Neuanfang nicht möglich. Anfangs dauerte die Wohlverhaltensphase sogar sechs Jahre, seit Oktober 2020 sind es drei Jahre. 

    Warum gibt es die Möglichkeit der Privatinsolvenz?

    „Der Gedanke war, dass wir durch die modernen Konsumentenkredite eine riesige Blase an Menschen hatten, die ihre Schulden einfach nicht mehr zurückzahlen konnten. Insofern war es weniger ein Akt der Gnade, sondern: Es war eine gesellschaftliche Notwendigkeit, zu versuchen, diese Leute, die aus dem System rausgefallen waren, wieder einzubeziehen.“
    Das sagt Hugo Grote, Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Koblenz. Als der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags 1993 über das neue Verfahren beriet, war Grote als Sachverständiger dabei.
    Die Zahl überschuldeter Privatpersonen in Deutschland ist zum vierten Mal in Folge zurückgegangen und sinkt 2022 auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004.

    Wie viele Menschen gelten als überschuldet und welche Gründe gibt es dafür?

    Fast sechs Millionen Deutsche waren im vergangenen Jahr überschuldet. Das geht aus dem sogenannten Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor. Das sind fünf Prozent weniger als im Vorjahr. Allerdings rechnet Creditreform angesichts der aktuellen Belastungen durch hohe Energie- und Lebensmittelpreise mit einer Trendwende und steigenden Zahlungsausfällen.
    Als überschuldet gilt, wer auf längere Zeit nicht mehr in der Lage ist, seine Zahlungsverpflichtungen zu bedienen. Arbeitslosigkeit ist mit knapp 20 Prozent der häufigste Grund für Überschuldung. Das zeigt der aktuelle Überschuldungsreport des gemeinnützigen Instituts für Finanzdienstleistungen iff.
    Als weitere Gründe folgen Krankheit, das eigene Konsumverhalten sowie Einkommensarmut. Und an fünfter Stelle steht Trennung oder Scheidung als Schuldenursache. Männer sind insgesamt häufiger von Überschuldung betroffen als Frauen, Menschen mit einem niedrigen Schulabschluss eher als mit einem hohen.
    Durchschnittlich saßen überschuldete Menschen laut Statistischem Bundesamt 2022 auf einem Schuldenberg von knapp 31.000 Euro. Jeder zehnte Betroffene ist laut iff pandemiebedingt ein gescheiterter Selbständiger.

    Wie viele Menschen nehmen Privatinsolvenzen in Anspruch?

    Obwohl die Privatinsolvenz immer wieder zugunsten der Verbraucher reformiert wurde, wird dieses Instrument der Schuldenbereinigung immer noch selten genutzt. Nur etwa ein Prozent der insgesamt sechs Millionen überschuldeten Menschen in Deutschland meldet Privatinsolvenz an.
    Der bisherige Rekordwert wurde 2010 verzeichnet, dem Jahr nach der Finanzkrise. Damals eröffneten fast 110.000 Menschen ein Verbraucherinsolvenzverfahren. Danach gingen die Zahlen aber kontinuierlich zurück – bis auf knapp 41.000 im Jahr 2020.
    Die Statistik zeigt die Anzahl eröffneter Verbraucherinsolvenz-Verfahren in Deutschland in den Jahren von 1999 bis 2022. Im Jahr 2022 sind in Deutschland 65.487 Verbraucherinsolvenz-Verfahren eröffnet worden.
    Die Verkürzung auf drei Jahre hat allerdings nicht zu mehr Verbraucherinsolvenzverfahren geführt. 2021 ist die Anzahl der eröffneten Verfahren zwar kurzzeitig auf fast 80.000 gestiegen. Das lag allerdings an Nachholeffekten. Viele Schuldner hatten schlicht auf die Reform gewartet und ihre Insolvenz so lange aufgeschoben, bis die verkürzte Verfahrensdauer galt. Im vergangenen Jahr waren es dann wiederum nur noch rund 65.000. 

    Wie funktioniert die Privatinsolvenz genau?

    Als erstes wenden sich Betroffene an eine der rund 1.400 gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen oder an eine auf Insolvenzrecht spezialisierte Anwaltskanzlei oder an eine Verbraucherberatungsstelle. Dort wird geklärt, ob die Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens überhaupt sinnvoll ist. Dazu muss die Schuldensituation offengelegt werden. Dabei sind diese Stellen prinzipiell auf der Seite der Schuldner. Ihr Ziel ist es, diese aus der Schuldenspirale zu holen.

    Außergerichtlicher Einigungsversuch

    Danach werden alle Gläubiger ermittelt und angeschrieben. Es wird versucht, sich außergerichtlich mit ihnen zu einigen, was allerdings in den meisten Fällen scheitert, weil sogenannte Nullpläne angeboten werden, also nicht einmal ein niedriger Betrag. Erst danach können Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung förmlich am Insolvenzgericht beantragt werden – genauso wie die Stundung der durchschnittlich 2.500 Euro hohen Verfahrenskosten.

    Ein Treuhänder wird bestellt

    Mit Eröffnung des Verfahrens wird vom Gericht ein Insolvenzverwalter bestellt, der Kontrolle über das Konto des Schuldners hat und der ab dem Zeitpunkt die gesamte Korrespondenz mit den Gläubigern übernimmt. Diese dürfen den Schuldner nicht mehr kontaktieren, und auch alle von ihnen erwirkten Pfändungen werden gestoppt. Nun beginnt die dreijährige Wohlverhaltensphase.
    In dieser Zeit verbleibt dem Schuldner nur der pfändungsfreie Teil seines Einkommens. Das ist auch der Grund, warum der Arbeitgeber von der Insolvenz erfährt, weil der pfändbare Lohnanteil direkt an den Treuhänder geht, so wird der Insolvenzverwalter während der Wohlverhaltensphase genannt.
    Wie hoch der pfandfreie Teil ist, kann mit Hilfe eines Pfändungsrechners ermittelt werden. Der Mindestfreibetrag für Alleinerziehende liegt momentan bei rund 1410 Euro. Sollte das Nettoeinkommen diesen Betrag nicht übersteigen, darf der Schuldner alles behalten. Alles was darüber hinausgeht, wird gepfändet. Allerdings erhöht sich der Freibetrag mit der Höhe des Einkommens.

    Die Gläubiger gehen meistens leer aus

    Hauptaufgabe des Treuhänders ist, das schuldnerische Vermögen zu verwerten und prozentual an die Gläubiger auszuzahlen. Dazu bündelt er das gepfändete Einkommen und alle weiteren Gelder auf einem Sonderkonto.
    Allerdings kommt es nur in rund zwölf Prozent aller Verbraucherinsolvenzverfahren tatsächlich zu einer Ausschüttung an die Gläubiger. Das hat Hugo Grote im vergangenen Jahr bei einer Untersuchung von knapp 8.000 zufällig ausgewählten Verfahren einer Kanzlei herausgefunden. Das heißt: In 88 Prozent der Fälle haben die Schuldner gerade mal so viel, dass sie maximal die Kosten des Verfahrens decken können. 

    Eintragung in amtliches Register

    Sobald ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet oder beendet ist, wird dies für sechs Monate in einem amtlichen Verzeichnis veröffentlicht. Die Wirtschaftsauskunftei Schufa hatte diese Informationen bisher drei Jahre lang gespeichert – was einen wirtschaftlichen Neustart für die Verbraucher erheblich erschwerte. 

    Was muss der Schuldner tun?

    Im Falle einer Arbeitslosigkeit muss er sich um eine Anstellung bemühen. Sollte er etwas erben oder geschenkt bekommen, muss er die Hälfte davon abgeben. Wohnsitz- und Arbeitgeberwechsel müssen angezeigt werden und er sollte keine neuen Verbindlichkeiten während der Wohlverhaltensphase eingehen.

    Was hindert Menschen daran, Privatinsolvenz anzumelden?

    Schulden sind ein schambesetztes Thema. Niemand redet gerne darüber. Sich das persönliche Scheitern einzugestehen und den Überblick über die Schulden zu behalten, ist nicht ganz einfach.
    Zudem fehlt es den meisten an Wissen. Das Verfahren ist kompliziert, und es gibt nicht genug Personal bei den gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen. Dort kommt es zu langen Wartezeiten.
    Wenn man sich für eine Privatinsolvenz entscheidet, erfahren außerdem andere davon. Zudem wirkt es auf viele abschreckend, die Kontrolle über das eigene Konto aufgeben zu müssen.

    ckr, Mathias von Lieben