Doris Simon: Am Telefon ist jetzt Karl Kopp, der Europareferent von Pro Asyl. Guten Abend.
Karl Kopp: Guten Abend.
Simon: Herr Kopp, wir erreichen Sie in Athen. Dorthin sind Sie wegen der Flüchtlingskrise gereist. Was ist genau Ihr Ziel?
Kopp: Pro Asyl hat schon seit Jahren ein Projekt in Griechenland und in der Türkei. Wir haben zwölf, 13 Mitarbeiterinnen allein in Griechenland in der Ägäis und diese Menschen, unsere Kollegen, arbeiten unter schwierigsten Bedingungen und jetzt spitzt sich die Situation dramatisch zu.
Wir haben aktuell 12.000 gestrandete Schutzsuchende in Griechenland, weil die Balkan-Route dicht ist. Es gibt obdachlose Flüchtlinge hier in Athen. Es gab heute zwei Suizidversuche von afghanischen Flüchtlingen. Es ist sehr dramatisch und wir werden das natürlich jetzt begleiten und da auch versuchen zu intervenieren, und wir werden vor allem in der Ägäis den nahenden NATO-Einsatz, die Militarisierung der Abwehr der Seeroute, kontrollieren und im Zweifelsfalle auch gerichtlich gegen etwaige Zurückweisungen, Pushbacks - das ist ein Völkerrechtsbruch, den die NATO da begehen will -, gegen die Zurückweisung von Booten aus griechischen Territorialgewässern in die Türkei, all das werden wir jetzt begleiten und auch die nötigen Schritte einleiten.
"Ein Fahrplan zur humanitären Katastrophe"
Simon: Herr Kopp, schauen wir noch mal auf die Flüchtlinge an Land, die sich inzwischen stauen in Griechenland. Wie lang kann eigentlich Griechenland, wenn es das überhaupt tut, die Flüchtlinge, die da festsitzen, aus eigener Kraft versorgen?
Kopp: Das ist ein Fahrplan zur humanitären Katastrophe und die Katastrophe ist sehr schnell da. Die Leute übernachten im Freien, viele Kinder sind darunter und es kann alles Mögliche passieren die nächsten Tage. Wenn die Grenze nicht wieder aufgemacht wird und organisiert die Weiterleitung nach Zentraleuropa ermöglicht wird, dann kollabieren die Verhältnisse hier. Man muss auch sehen, dass es sehr viele Menschen betrifft. Leib und Leben ist in Gefahr.
Außerdem sind auch die griechischen Verhältnisse - das Land leidet unter der Wirtschaftskrise - sehr fragil. Von daher destabilisieren wir jetzt ein EU-Land und da schauen wir wirklich in einen Abgrund. Dass Nicht-EU-Staaten und EU-Staaten sich gegen ein Außenland verbünden, das gefährdet natürlich auch das Projekt Europa.
"Wir werden mehr Tote haben"
Simon: Herr Kopp, wir haben ja in Brüssel - Sie haben es vielleicht eben mithören können - heute erlebt beim europäischen Innenministertreffen noch einmal den Unwillen vieler Länder, Flüchtlinge aufzunehmen, auch keine gemeinsame Vorgehensweise.
So zynisch das jetzt auch klingen mag, aber ist so ein Signal, so eine Signalwirkung, die ja auch von diesen schrecklichen Zuständen in Griechenland ausgeht, nicht auch wichtig, um zu sagen, im Augenblick ist es gefährlich, noch nach Europa zu kommen?
Kopp: Ja, Abschreckung. Abschreckung, das ganze Paket, alle Pakete, die sogenannten Asylpakete, die Unfähigkeit, das Chaos in Brüssel, die Spaltung zwischen den europäischen Staaten, das ist erst mal ein Armutszeugnis.
Nur ist es so, dass die Welt eben so ist, wie sie ist. Wir haben die größte humanitäre Flüchtlingskrise direkt vor der Haustür, und zwar seit dem Zweiten Weltkrieg, und Sie werden doch nicht glauben, dass all diese Herzlosigkeiten, aber auch die Militarisierung, dass man vielleicht auch gegen Flüchtlingsboote mit Militärverbänden indirekt vorgeht, dass das die Menschen abschreckt.
Wir werden mehr Tote haben, wir werden mehr Menschenrechtsverletzungen haben, möglicherweise kommen Leute anderweitig zu Tode, weil es keine Unterbringung gibt. Man schwächt ein EU-Land, man bringt es vielleicht zum Kippen. All das kann doch nicht im Namen Europas geschehen. Ich meine, wir haben eine rechtspopulistische Agenda. Wir brauchen die gar nicht mehr, die haben schon gewonnen, wenn man sich den heutigen Tag anguckt.
Das ist ein rabenschwarzer Tag für den Flüchtlingsschutz. Alles guckt auf den Showdown 7. März. Vorher sollen die NATO-Verbände überwachen und dann sollen Frontex und die Küstenwachen Boote zurückbringen in die Türkei.
Neue Asylpolitik ist ein "Ex-und-hop-Verfahren"
Simon: Herr Kopp, wir haben eben auch gehört in dem Bericht aus Berlin, im Asylpaket gibt es ja auch diesen einen Punkt, dass Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive schneller anerkannt werden sollen. Ein überfälliger Schritt?
Kopp: Wir wünschen uns, dass wir schnelle und effiziente Asylverfahren haben. Wir haben ja das glatte Gegenteil. Die meisten Schutzsuchenden, die praktisch einen Anspruch haben auf einen Flüchtlingsstatus, auf eine dauerhafte Bleibeperspektive, warten ewig lang.
Was jetzt gemacht wird sind diese neuen Schnellverfahren, Sonderverfahren in Lagern, wo die Antragstellerinnen und Antragsteller praktisch zum Objekt staatlichen Handelns werden.
Sie haben kaum eine Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Sie haben kaum eine Chance auf eine anwaltliche Vertretung oder eine Rechtsberatung. Das ist alles andere als eine Willkommenskultur. Das ist ein Ex-und-hopp-Verfahren und das ist natürlich sehr dramatisch.
"Das ist sozusagen auch ein Todesprogramm"
Simon: Und die Aussetzung des Familiennachzugs, auch ein Teil des Asylpakets II, da heißt es ja von Regierungsseite, das betreffe, da es nur um Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz gehe, nur sehr wenige. Sind das auch Ihre Erfahrungen bei Pro Asyl?
Kopp: Das wissen wir ja noch nicht. Wir wissen ja nicht, was noch passiert, ob wir beispielsweise Menschen aus Syrien, die jetzt noch überwiegend einen Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen, ob die nicht auch herabgestuft werden zum ergänzenden Schutz, was übrigens auch ein Schutzstatus ist. Das ist nicht einfach nur ein vorübergehender Status. Er ist schwächer ausgestaltet, aber auch diese Menschen sind schutzbedürftig, brauchen internationalen Schutz. Wie der eine Kollege aus dem Bundestag gesagt hat: Das ist ein Programm, dass noch mehr Frauen und Kinder in der Ägäis sterben werden.
Wir haben jetzt schon über 409 Tote in diesem Jahr. Man hat es erwähnt. Über 300 Kinder sind seit September, als der kleine Aylan tot gefunden wurde, wo ganz Europa Tränen vergossen hat, gleich Krokodilstränen, mittlerweile gestorben in der Ägäis, und das Sterben geht jede Nacht weiter. Diese Verhinderung des legalen Zugangs, das Recht auf Familie ist sozusagen auch ein Todesprogramm.
Simon: Karl Kopp war das von Pro Asyl. Herr Kopp, vielen Dank für das Gespräch. Wir haben ihn erreicht in Athen, wo die Lage für die Flüchtlinge dort immer dramatischer wird.
Kopp: Ich danke Ihnen. Alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.