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Pro-Erdogan-Demonstration
"Wir müssen das ein Stück weit in unserer Demokratie ertragen"

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz hat sich gegen ein mögliches Verbot der Pro-Erdogan-Demonstration ausgesprochen. Solche Kundgebungen müssten in Demokratien ertragen und ermöglicht werden, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie sehe zudem nicht, dass die öffentliche Sicherheit durch die Proteste massiv bedroht sei.

Ekin Deligöz im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Ekin Deligöz (Grüne) spricht am 26.11.2015 im Bundestag in Berlin während der Beratungen zum Haushaltsplan Arbeit und Soziales.
    Die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz von den Grünen (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Deligöz rief alle Demonstranten zu friedlichen Protesten auf. "Gewalt ist keine Meinung". Sie kritisierte zudem, diese Form der "türkisch-nationalen Identitätsausstellung" drohten die Errungenschaften der Integrationspolitik weit zurückzuwerfen.
    Die Grünen-Politikerin erklärte weiter, sie sehe die Gülen-Bewegung in Deutschland skeptisch. Diese fördere Strukturen, die Abschottung förderten und Integration behinderten. Die türkische Regierung wirft der Gülen-Bewegung vor, für den Putschversuch verantwortlich zu sein.

    Das Interview in voller Länge:
    O-Töne: Wir zeigen, dass wir hinter unserem Land stehen. So was wie Putschversuch, Erdogan wurde demokratisch gewählt. Mit absoluter Mehrheit, in keinem anderen europäischen Land würde das geduldet werden. Wir sind für die Demokratie, egal ob manche Leute diverse Leute mögen oder nicht mögen, das ist nicht der Weg dazu!
    Sarah Zerback: Für Erdogan auf die Straße gehen, für den Kurs des türkischen Präsidenten, der mit harter Hand gegen all jene vorgeht, die er hinter dem versuchten Staatsstreich vermutet. Seit der Nacht des 15. Juli demonstrieren seine Anhänger immer wieder lautstark, vor allem in der Türkei, in Ankara, in Istanbul, aber auch in Deutschland. Am kommenden Sonntag werden wieder tausende Anhänger, aber auch Gegner in Köln erwartet. Während die Polizei diskutiert, wie sie für Sicherheit garantieren kann, diskutiert die Politik darüber, wie weit der Einfluss Erdogans nach Deutschland reichen darf.
    Am Sonntag treffen in Köln rund 30.000 Befürworter Erdogans auf, viele Tausend Gegendemonstranten. Während NRWs Ministerpräsidentin Hannelore Kraft unter anderem zur Besonnenheit mahnt, bereitet sich die Polizei in Köln auf einen Großeinsatz vor.
    Beitrag von Christin Heuer Vor der Pro-Erdogan-Demo am Sonntag in Köln
    Und mitgehört hat Ekin Deligöz, sie sitzt für die Grünen im Bundestag und ist eine elf türkischstämmigen Abgeordneten in Berlin, die nach der Armenien-Resolution unter anderem massiv beleidigt, beschimpft und auch bedroht wurden. Guten Tag, Frau Deligöz!
    Ekin Deligöz: Hallo, guten Tag!
    Zerback: Jetzt werden ja am Sonntag bis zu 30.000 Erdogan-Anhänger in Köln erwartet, das sind die aktuellen Zahlen, das sind sogar mehr, als zuvor erwartet wurde. Und das, obwohl der türkische Präsident in der Türkei quasi gerade die Demokratie abschafft. Wie erklären Sie sich denn diese massive Unterstützung auch hier bei uns in Deutschland?
    Deligöz: Frau Zerback, da kommen viele Sachen zusammen. Das eine ist, dass viele Türken hier in Deutschland sich primär über die sogenannte Poolpresse, also die Regierungspresse informieren, seien es die türkischen Zeitungen, die hier erscheinen, oder die Fernsehsender. Das Zweite ist, die Ablehnung und die negativen und die Frustrationserfahrungen, die auch insbesondere junge Menschen in Deutschland machen, die summieren sich hier und die verleihen sich selbst einen Ausdruck. Hinzu kommt ein sehr geschöntes Bild der Türkei – fern von der Heimat lässt sich alles viel lockerer ertragen – und die Suche nach so einer Art Identität. Manchmal ist sie national, manchmal ist sie religiös, auf jeden Fall hat diese Identität etwas Abgeschlossenes. Und wenn das alles zusammenkommt, kommt es zu einer explosiven Mischung. Und dazu kommt noch eine Einheitspolitik aus der Türkei, wo diese Menschen geradezu aufgefordert und eingeheizt werden, auf die Straße zu gehen. Und die Konsequenzen dieser Spaltung, die es in der Türkei gibt, die erleben wir im Moment auch in Deutschland.
    Zerback: Sie sprechen jetzt von einer explosiven Mischung, von einer Spaltung. Für wie groß halten Sie denn persönlich das Risiko, dass es da am Sonntag wirklich knallen könnte, dass es dort zu Gewalt kommen könnte?
    Deligöz: Wichtig ist, dass wir vonseiten der Politik, vonseiten der Polizei und auch des Rechtsstaats zwei Sachen klarmachen: Erstens, der Rechtsstaat lässt sich in Deutschland nicht in irgendeiner Form aussetzen, sondern es wird Konsequenzen haben, wenn es tatsächlich zu Folgen kommt, im Ausländerrecht sind diese Konsequenzen auch sehr brutal. Das Zweite ist: Gewalt ist keine Meinung. Natürlich haben wir in Deutschland das Recht zu Demonstrationen, dieses Land muss auch Demonstrationen von Rechten und anderen Organisationen ertragen, die es uns nicht leicht machen, also müssen wir jetzt auch das ein Stück weit in unserer Demokratie ertragen und auch ermöglichen, das sind die Freiheitsrechte, die wir garantieren. Freiheit heißt aber natürlich auch Sicherheit und dafür ist unser Rechtsstaat verantwortlich. Und die sagt ganz klar: Gewalt ist keine Meinung, die wir dulden, weder auf unseren Straßen, noch verbal, noch in irgendeiner anderen Form.
    Zerback: Und trotzdem ist jetzt eine Debatte darüber entbrannt, ob man vorab diese Demonstration verbieten sollte. Wir haben es gerade auch im Beitrag gehört, also nicht nur Wolfgang Bosbach von der CDU hat das ins Spiel gebracht, auch der Kölner Polizeipräsident schließt das nicht aus. Was ist da Ihre Ansicht?
    Deligöz: Wie es zu jeder solcher Veranstaltungen auch gibt, gibt es dort eine Lageeinschätzung. Und wenn diese Lageeinschätzung es hergibt, dass die öffentliche Sicherheit massiv bedroht ist, dann gibt es auch ein Recht darauf, Freiheitsrechte einzuschränken. Im Moment sehe ich sie nicht, zunächst einmal muss dieses Land, auch wenn es uns an der einen Stelle gefällt und an der anderen Stelle nicht gefällt, Freiheitsrechte garantieren, und es ist aber auch erlaubt, eine Gegendemonstration abzuhalten, auch das gehört zu den Meinungsfreiheitsrechten in diesem Land.
    "Freiheit auch eben die Freiheit der Andersdenkenden"
    Zerback: Jetzt hat sich die Kurdische Gemeinde Deutschland ja schon vorab geäußert und gesagt, sie verzichtet auf eine Gegendemonstration, freiwillig also, und zwar unter anderem mit dem Argument, weil das der Integration schaden würde. Verstehen Sie diese Reaktion?
    Deligöz: Ich finde, das ist eine sehr abgeklärte und nüchterne Analyse, die die kurdische Gemeinde dort liefert, und dass sie auch Gewalt und Auseinandersetzung nicht forcieren will, dass ist zunächst einmal eine gute Entscheidung. Gleichwohl heißt natürlich Freiheit auch eben die Freiheit der Andersdenkenden, von daher wäre es rechtsstaatlich durchaus möglich, dass sie eine Gegendemonstration anmelden. Worin sie aber wirklich recht haben, ist, dass natürlich diese Form einer starken türkisch-nationalen Identitätsausstellung, die manchmal mit Parolen einhergeht, die mich selber entsetzen, dass die die Errungenschaften der Integrationspolitik in unserem Land, nämlich hier in Deutschland, weit zurückwerfen. Das ist auch meine Befürchtung, da sind wir alle mit in der Verantwortung. Gegenseitige Akzeptanz und Toleranz heißt auch, sich in diesem Land mit den Werten dieser Gesellschaft zu identifizieren und sich dazu zu bekennen und sich auch dafür stark zu machen.
    Zerback: Gleichzeitig haben wir erfahren, dass offenbar auch die Veranstalter planen, Vertreter der türkischen Regierung als Redner einzufliegen, also nach Köln. Ihrer Einschätzung nach, wie weit reicht denn der Einfluss Erdogans nach Deutschland?
    Deligöz: Wissen Sie, der Einfluss von Erdogan oder von der türkischen Regierung, dafür braucht es in Deutschland nicht erst die Rednerinnen und Redner, die eingeflogen werden, sondern das erledigt schon die regierungsnahe Presse. Tagtäglich sehen wir über viele türkische Kanäle, über die türkischen Zeitungen, die hier zu erhalten sind als Sprachrohr der türkischen Regierung, wo immer wieder eingeheizt, aufgefordert wird, dass die Leute auf die Straße gehen, das passiert mit oder ohne Redner, aber das findet hier in Deutschland schon statt. Wichtig ist, dass man entsprechend dagegenhält und sagt: In diesem Land gibt es einen Rechtsstaat und der lässt sich nicht aussetzen und wir dulden keine Gewalt als Meinung.
    "Es gibt in Deutschland keine staatliche Willkür"
    Zerback: Und ein zweites Beispiel dafür, wie weit Erdogan versucht, auch in Deutschland eben seinen Einfluss geltend zu machen, den erleben wir auch: Er vermutet hinter dem Putschversuch ja die Anhänger der Gülen-Bewegung und geht da in der Türkei sehr hart gegen sie vor. Jetzt hat der türkische Außenminister gefordert, auch die in Deutschland lebenden Anhänger auszuweisen. Wie sollte denn die Bundesregierung darauf reagieren?
    Deligöz: Nun ja, was ich sehr skeptisch auch an der Gülen-Bewegung in Deutschland sehe, ist, dass sie Strukturen befürworten und aufbauen, die Abschottung befördern und nicht gerade integrationsdienlich sind. Gleichzeitig ist es aber so, auch da heißt es: Es gibt in Deutschland keine staatliche Willkür. Wenn es tatsächlich Bedenken gibt, die rechtsstaatlicher Natur sind, dann ist es ein Auftrag, dem nachzugehen und entsprechend dann zu handeln. Ansonsten haben wir Gewaltenteilung zwischen Politik, also zwischen Legislative und Exekutive und Judikative, und das müssen wir natürlich einhalten. In diesem Sinne muss auch die Politik handeln, zu sagen: Zu Demokratie gehört eben nicht nur eine Mehrheitsmeinung, sondern auch die Gewaltenteilung und auch die Freiheiten, und sie alle zusammen sind ein hohes Gut, was wir auch verteidigen, auch in schwierigen Situationen.
    "Am Ende muss das Ziel sein, dass das Land sich wieder stabilisiert"
    Zerback: Ja. Gleichzeitig geht die Debatte ja über juristische Fragen hinaus, es geht auch um die Stimmung, um das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. Das ist ja schon seit Monaten mindestens angespannt, nicht zuletzt natürlich wegen der Armenien-Resolution. Hält denn das deutsch-türkische Verhältnis eine weitere Spannung aus, und auch der Flüchtlingsdeal, steht der da auf der Kippe?
    Deligöz: Nun ja, die Türkei und Deutschland verbindet vieles. Es sind nicht nur die vielen Gastarbeiter, die einst in Deutschland mit beigetragen haben, dass es Deutschland heute so gut geht, es sind auch die wirtschaftlichen Beziehungen, für die Türkei ist Deutschland wirtschaftlicher Partner Nummer eins, für Deutschland ist die Türkei Partner Nummer 17, wir haben nicht nur die vielen Touristen, sondern wir haben auch Austausch der Schüler, der Studenten, der Wissenschaftler, der Unternehmen. Und wichtig ist auch, dass wir die Türkei an sich in einer geostrategischen Aufstellung als ein stabiles Land in dieser Region auch brauchen. Und das, wenn man langfristig denkt, muss das am Ende das Ziel sein, dass das Land sich wieder stabilisiert. Deshalb ist es wichtig, dass die Kontakte nicht abgebrochen werden und die Feindschaft auch nicht dazu führt. Gleichwohl ist es aber vonnöten, dass wir in Europa eine Wertegemeinschaft sind. Und diese Werte muss man verteidigen. Dazu gehören Menschenrechte, die sind für uns unteilbar und Grundbedingung von allem, zivilisatorische Errungenschaften wie zum Beispiel die Abschaffung der Todesstrafe.
    Das darf nicht nur einer Mehrheitsmeinung überlassen sein, sondern das ist ein Teil des Rechtsstaats, was zur Demokratie gehört. Und auch partnerschaftliches Miteinander auf Augenhöhe, dort, wo es um Partnerschaft geht, zum Beispiel im NATO-Bündnis. Das sind alles Bedingungen. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir unsere Bedingungen klar formulieren und auch benennen und entlang dieser dann auch unsere zukünftigen Gespräche mit der Türkei führen. Zeit für Kompromisse ist im Moment nicht, aber Zeit für klare Worte.
    Zerback: Klare Worte waren das von Ekin Deligöz, grüne Bundestagsabgeordnete. Vielen Dank für das Gespräch!
    Deligöz: Ich bedanke mich bei Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.