Christian Schütte: Spätabtreibungen, wir haben vorhin darüber berichtet. Zwei Gesetzentwürfe stehen heute den Bundestagsabgeordneten zur Abstimmung, beide Entwürfe aus der SPD. Der eine besagt, im Wesentlichen soll alles so bleiben wie es ist. Der andere Entwurf sieht vor, dass zwischen der medizinischen Indikation und dem Vollzug einer Spätabtreibung drei Tage liegen sollen. Darüber spreche ich mit Gisela Notz, Vorsitzende des Bundesvorstands von "Pro Familia". Guten Morgen, Frau Notz.
Gisela Notz: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Drei Tage, in denen die Betroffenen Zeit haben sollen, eine Entscheidung zu treffen, ob sie ein schwerbehindertes Kind austragen wollen oder es abtreiben lassen. Dieser SPD-Vorschlag, drei Tage Bedenkzeit, findet auch in der Union Zuspruch. Wie beurteilen Sie das bei "Pro Familia"?
Notz: Es geht ja nicht nur um Spätabtreibungen bei einem Befund, wo eine Behinderung festgestellt wird, sondern es geht um eine medizinische Indikation nach der 12. Woche oder auch früher. Das muss nicht eine Behinderung sein. Aber die Tatsache, dass eine starre dreitägige Wartezeit gesetzlich verordnet werden soll, wenn die Frau nicht in akuter Lebensgefahr schwebt, die wirkt sich auf jeden Fall auf den Gesundheitszustand der Schwangeren, kann sich ungünstig auswirken. Das sagen auch die Frauenärztinnen, und "Pro Familia" wendet sich gegen eine solche Bedenkzeit, weil sie eine pauschale staatliche Regelung für eine ärztliche Entscheidung ist. Wann der Eingriff erfolgt, orientiert sich am jeweiligen Einzelfall – das ist ganz wichtig – und diese Entscheidung muss durch Ärztinnen in Absprache mit ihren Patientinnen getroffen werden.
Schütte: Frau Notz, mehr Bedenkzeit hilft nicht immer, eine Entscheidung zu treffen, aber sind die Entscheidungen, die man nach drei Tagen und nicht sofort trifft, nicht wohl überlegter als die, die man eben gleich mehr oder weniger aus dem Bauch heraus sofort trifft?
Notz: Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht und aus dem Bauch heraus. Ich sagte ja, dass es eben eine Entscheidung zwischen den Ärztinnen und den Patientinnen am jeweiligen Einzelfall orientiert sein muss und dass eine gesetzliche Regelung da überhaupt nicht hilft. Sie führt zu starren Regelungen und kann sich – das sagen auch Frauenärztinnen – ungünstig auf den Gesundheitszustand auswirken, weil es auch Situationen gibt, wo das eben nicht möglich ist.
Schütte: Inwiefern wirken sich drei Tage Bedenkzeit ungünstig aus, Frau Notz?
Notz: Wenn die Frau in akuter Lebensgefahr ist, dann soll sie ja auch die Indikation vorher schon bekommen können. Es gibt aber auch Fälle, wo es eben nötig ist, das früher zu machen, oder wo vielleicht auch länger gewartet werden kann. Das muss flexibel sein und kann nicht gesetzlich verordnet werden.
Schütte: Die Debatte in der Politik ist schon länger im Gange. Die stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Andrea Nahles, hat in einem Zeitungsinterview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gewarnt, bei der ganzen Debatte gehe es um behindertes und nichtbehindertes Leben, um Beratung in einer schweren Konfliktlage, nicht aber um das Selbstbestimmungsrecht der Frau. – Aus Ihrer Sicht, wie ideologisch aufgeladen ist diese Debatte?
Notz: Die Diskussion wird ideologisch geführt. Das erschwert natürlich eine sachliche Diskussion, das ist klar. Es ist eine emotionale Frage auch. Wir sind auch der Meinung, dass Frauen qualifizierte Beratung fragen, wenn sie nachfragen. Sie brauchen auch die Information, wo sie die bekommen, und sie brauchen auch unter Umständen psychosoziale Beratung und die muss qualifiziert sein und die Beraterinnen müssen ständig weitergebildet werden. Dafür steht "Pro Familia" und darüber sind sich auch alle Fachverbände und das Fachpersonal einig.
Schütte: Frau Notz, blicken wir in die Beratungspraxis. Wie helfen Sie den betroffenen Schwangeren, eine Entscheidung zu finden?
Notz: Die Frau braucht Zuwendung und Unterstützung. Sie wird bei uns diese Beratung bekommen. Wenn es sich nun um ein behindertes Kind handelt oder vermutlich behindertes Kind – nicht alle Diagnosen sind ja auch wirklich treffend -, dann wird sie auch entsprechend beraten, was sie erwartet oder erwarten kann und wo sie gesellschaftliche Unterstützung findet. Da genau – das wird viel zu wenig diskutiert – ist noch ein Mangel, dass die staatliche und finanzielle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen noch zu wünschen übrig lässt.
Schütte: Wie groß erleben denn die Frauen, die sich bei Ihnen beraten lassen, einen Druck abzutreiben, wenn der Arzt sagt, ihr Kind wird möglicherweise eine schwere Behinderung haben?
Notz: Da gibt es natürlich Druck. Da gibt es Druck vom Partner mitunter, oder da gibt es Druck von der Nachbarin oder von der eigenen Mutter, die dann sagt, wie willst du denn das schaffen, was erwartet dich da, und es gibt Nachbarinnen, die die Frauen schief ansehen, weil sie das Kind ausgetragen haben, wo es doch heute andere Möglichkeiten gibt. Das dürfte nicht sein und diese Angst muss den Frauen auch genommen werden. Aber noch Mal: Dazu braucht es auch einen anderen Umgang mit Behinderung in unserer Gesellschaft, dass sie das wirklich eben auch annehmen kann, und sie muss natürlich auch psychisch und physisch dazu in der Lage sein und es ist auch oft eine ökonomische Frage.
Schütte: Wie kann sich denn eine Gesellschaft ändern, damit zweifelnde Eltern sich trauen, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden?
Notz: Das hatte ich ja schon gesagt. Die Gesellschaft muss eben Behinderte besser integrieren.
Schütte: Wie soll das konkret gehen? Haben Sie da eine Idee, wo man konkret einen Hebel ansetzen kann?
Notz: Ja. Ich nehme mal zum Beispiel Schweden, wo es viel offensichtlicher schon im Stadtbild ist, dass Menschen mit Behinderungen integriert sind, und sie müssen natürlich auch die gleichen Teilhaber an der Gesellschaft sein. Es wird ja auch viel über behindertengerechte Städte in der Zwischenzeit gesprochen und wir selbst haben auch Projekte, wo wir die Unterstützung von Behinderten vorantreiben. Würde von Menschen mit Behinderungen, das ist ganz wichtig, weil es sind eben Menschen wie andere auch, egal wie sie aussehen oder wie sie sich artikulieren können.
Schütte: Gisela Notz, Vorsitzende des Bundesvorstands von "Pro Familia". Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Gisela Notz: Guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Drei Tage, in denen die Betroffenen Zeit haben sollen, eine Entscheidung zu treffen, ob sie ein schwerbehindertes Kind austragen wollen oder es abtreiben lassen. Dieser SPD-Vorschlag, drei Tage Bedenkzeit, findet auch in der Union Zuspruch. Wie beurteilen Sie das bei "Pro Familia"?
Notz: Es geht ja nicht nur um Spätabtreibungen bei einem Befund, wo eine Behinderung festgestellt wird, sondern es geht um eine medizinische Indikation nach der 12. Woche oder auch früher. Das muss nicht eine Behinderung sein. Aber die Tatsache, dass eine starre dreitägige Wartezeit gesetzlich verordnet werden soll, wenn die Frau nicht in akuter Lebensgefahr schwebt, die wirkt sich auf jeden Fall auf den Gesundheitszustand der Schwangeren, kann sich ungünstig auswirken. Das sagen auch die Frauenärztinnen, und "Pro Familia" wendet sich gegen eine solche Bedenkzeit, weil sie eine pauschale staatliche Regelung für eine ärztliche Entscheidung ist. Wann der Eingriff erfolgt, orientiert sich am jeweiligen Einzelfall – das ist ganz wichtig – und diese Entscheidung muss durch Ärztinnen in Absprache mit ihren Patientinnen getroffen werden.
Schütte: Frau Notz, mehr Bedenkzeit hilft nicht immer, eine Entscheidung zu treffen, aber sind die Entscheidungen, die man nach drei Tagen und nicht sofort trifft, nicht wohl überlegter als die, die man eben gleich mehr oder weniger aus dem Bauch heraus sofort trifft?
Notz: Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht und aus dem Bauch heraus. Ich sagte ja, dass es eben eine Entscheidung zwischen den Ärztinnen und den Patientinnen am jeweiligen Einzelfall orientiert sein muss und dass eine gesetzliche Regelung da überhaupt nicht hilft. Sie führt zu starren Regelungen und kann sich – das sagen auch Frauenärztinnen – ungünstig auf den Gesundheitszustand auswirken, weil es auch Situationen gibt, wo das eben nicht möglich ist.
Schütte: Inwiefern wirken sich drei Tage Bedenkzeit ungünstig aus, Frau Notz?
Notz: Wenn die Frau in akuter Lebensgefahr ist, dann soll sie ja auch die Indikation vorher schon bekommen können. Es gibt aber auch Fälle, wo es eben nötig ist, das früher zu machen, oder wo vielleicht auch länger gewartet werden kann. Das muss flexibel sein und kann nicht gesetzlich verordnet werden.
Schütte: Die Debatte in der Politik ist schon länger im Gange. Die stellvertretende Parteivorsitzende der SPD, Andrea Nahles, hat in einem Zeitungsinterview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gewarnt, bei der ganzen Debatte gehe es um behindertes und nichtbehindertes Leben, um Beratung in einer schweren Konfliktlage, nicht aber um das Selbstbestimmungsrecht der Frau. – Aus Ihrer Sicht, wie ideologisch aufgeladen ist diese Debatte?
Notz: Die Diskussion wird ideologisch geführt. Das erschwert natürlich eine sachliche Diskussion, das ist klar. Es ist eine emotionale Frage auch. Wir sind auch der Meinung, dass Frauen qualifizierte Beratung fragen, wenn sie nachfragen. Sie brauchen auch die Information, wo sie die bekommen, und sie brauchen auch unter Umständen psychosoziale Beratung und die muss qualifiziert sein und die Beraterinnen müssen ständig weitergebildet werden. Dafür steht "Pro Familia" und darüber sind sich auch alle Fachverbände und das Fachpersonal einig.
Schütte: Frau Notz, blicken wir in die Beratungspraxis. Wie helfen Sie den betroffenen Schwangeren, eine Entscheidung zu finden?
Notz: Die Frau braucht Zuwendung und Unterstützung. Sie wird bei uns diese Beratung bekommen. Wenn es sich nun um ein behindertes Kind handelt oder vermutlich behindertes Kind – nicht alle Diagnosen sind ja auch wirklich treffend -, dann wird sie auch entsprechend beraten, was sie erwartet oder erwarten kann und wo sie gesellschaftliche Unterstützung findet. Da genau – das wird viel zu wenig diskutiert – ist noch ein Mangel, dass die staatliche und finanzielle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen noch zu wünschen übrig lässt.
Schütte: Wie groß erleben denn die Frauen, die sich bei Ihnen beraten lassen, einen Druck abzutreiben, wenn der Arzt sagt, ihr Kind wird möglicherweise eine schwere Behinderung haben?
Notz: Da gibt es natürlich Druck. Da gibt es Druck vom Partner mitunter, oder da gibt es Druck von der Nachbarin oder von der eigenen Mutter, die dann sagt, wie willst du denn das schaffen, was erwartet dich da, und es gibt Nachbarinnen, die die Frauen schief ansehen, weil sie das Kind ausgetragen haben, wo es doch heute andere Möglichkeiten gibt. Das dürfte nicht sein und diese Angst muss den Frauen auch genommen werden. Aber noch Mal: Dazu braucht es auch einen anderen Umgang mit Behinderung in unserer Gesellschaft, dass sie das wirklich eben auch annehmen kann, und sie muss natürlich auch psychisch und physisch dazu in der Lage sein und es ist auch oft eine ökonomische Frage.
Schütte: Wie kann sich denn eine Gesellschaft ändern, damit zweifelnde Eltern sich trauen, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden?
Notz: Das hatte ich ja schon gesagt. Die Gesellschaft muss eben Behinderte besser integrieren.
Schütte: Wie soll das konkret gehen? Haben Sie da eine Idee, wo man konkret einen Hebel ansetzen kann?
Notz: Ja. Ich nehme mal zum Beispiel Schweden, wo es viel offensichtlicher schon im Stadtbild ist, dass Menschen mit Behinderungen integriert sind, und sie müssen natürlich auch die gleichen Teilhaber an der Gesellschaft sein. Es wird ja auch viel über behindertengerechte Städte in der Zwischenzeit gesprochen und wir selbst haben auch Projekte, wo wir die Unterstützung von Behinderten vorantreiben. Würde von Menschen mit Behinderungen, das ist ganz wichtig, weil es sind eben Menschen wie andere auch, egal wie sie aussehen oder wie sie sich artikulieren können.
Schütte: Gisela Notz, Vorsitzende des Bundesvorstands von "Pro Familia". Ich danke Ihnen für das Gespräch.