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Pro Geisteswissenschaften

Brauchen wir eigentlich noch die Geisteswissenshaften? Na klar, mehr als je zuvor! Heißt es – ausgerechnet – aus den Mündern von Vertretern der Wirtschaft. Sie haben im vergangenen Jahr die Initiative "Pro Geisteswissenschaften" gegründet. Mit der wollen sie sowohl den Forscher-Nachwuchs als auch herausragende Wissenschaftler fördern und die Geisteswissenschaften mehr ins Licht der Öffentlichkeit rücken.

Von Esther Körfgen | 01.06.2006
    Die Eröffnung dazu macht derzeit in Berlin eine Konferenz, auf der sich renommierte Geisteswissenschaftler fragen, welchen Platz in der Gesellschaft sie heute haben.

    Wo stehen wir eigentlich? Nicht weniger als das wollen die Geisteswissenschaftler herausfinden. Etwa, ob die Wirtschaft sie wirklich so sehr begehrt, wie sie als Konferenz-Veranstalterin tut. Was der Unternehmer Alfred Oetker auf die Frage sagte, dürfte den Wissenschaftlern wie Öl runtergehen. Zumindest der erste Teil.

    "Wenn es um die Geisteswissenschaften geht, das heißt, eine Gesellschaft zusammen zu halten. Auch aus Werten heraus. Ja! Ich glaube dass man die eigenen Werte definieren muss/ und dass da die Geisteswissenschaften eine ungleich große Rolle haben, die ein bisschen verloren gegangen ist in den letzten 20 Jahren."

    Die Geisteswissenschaften haben sich in ihr elitäres Schneckenhaus zurück gezogen. Diese Meinung vertreten viele auf der Konferenz. Martin Roth etwa, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

    "Das Thema Geisteswissenschaften heißt einfach auch sich zu Wort melden. Sich gesellschaftlich zu Wort melden. Und es passiert so viel da draußen, nicht zuletzt in so ner Stadt wie Berlin./ Es meldet sich keiner von uns zu Wort. Keiner hat den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen. / Weil wir nicht aus diesem eigenen Saft rauskommen."

    Und das hat noch eine weitere Folge: es gibt keine objektiven, von außerhalb kommenden Mess-Größen für die Wissenschaftler. Die Berliner Philosophie-Professorin Sybille Krämer findet das fatal. Zukünftige Absolventen könnten weitaus besser über ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt Bescheid wissen, wenn ihre Leistung genauso beurteilt würde wie an allen anderen Unis auch. Sprich: wenn überall fachliche Standards eingerichtet würden.

    "Eine der wichtigsten Entwicklungen fast der letzten Jahrzehnte war die Entwicklung der Kulturwissenschaften als eine Leitdisziplin in den Geisteswissenschaften. Andererseits konnten wir aber beobachten dass die Kulturwissenschaften ein Konglomerat verschiedenster Methodologien waren, die im Grunde genommen ihre Studenten als universelle Dilettanten hinterlassen haben."

    Dieser Tunnelblick sei es außerdem, der etwa die Einführung von Englisch als Wissenschaftssprache verhindere – und damit den Prozess der Internationalisierung hemme, so regt sich Sybille Krämer auf. Allerdings: dieser Trend sei doch so stark, irgendwann würden sich auch die deutschen Geisteswissenschaften öffnen, glaubt sie. Und dann wären auch die Grenzen zu den Naturwissenschaften nicht mehr so stark wie heute.

    "Ich bin der Überzeugung, dass die Geisteswissenschaften nicht nur Deutungs- und Interpretationswissenschaften sind, sondern sie haben auch mit Realien zu tun. Und eben nicht nur Bücher und Texte, sondern mit Bildern, mit den Techniken, also dem Inbegriff all dessen, worin sich Kultur zeigt."

    Zumindest außerhalb der Uni wird Wissen ohnehin immer weniger in Buchform konsumiert, das sagt Ulrich Raulff. Als Direktor des Schiller-Nationalmuseums in Marbach registriert er, dass Wissen an sich zwar sehr hoch im Kurs steht, dass aber zugleich der Anspruch an die Präsentationsform des Wissens enorm gewachsen ist.

    " Schaun Sie sich den Erfolg der Quiz-Sendungen an. Überall geht es um Wissen, und zwar enzyklopädisches Wissen. Und der Erfolg auch der ganzen kulturhistorischen Ausstellungen. Das Gold der Inkas, die Perser, die Skyten. Kreta. / Alles was in der Hinsicht auf den Markt kommt, kriegt Blockbuster - Qualität."

    Ob das allerdings die Art von Wissen ist, die einem Menschen wirklich nützt – das stellen die Geisteswissenschaftler in Frage. Was sie meinen zu bieten, ist vielleicht weniger der unterhaltsame Zugang zu Wissen, als vielmehr eine Basis für einen Beruf. Damit das aber so bleibe, müsse sich noch vieles verändern. Zum Beispiel ihre Anerkennung in der Gesellschaft, an der vor allem sie selbst aktiv mitwirken müssten.