Dresden ist an diesem Adventsabend eine Stadt voller Widersprüche. Schon am späten Nachmittag wird die behagliche Musik am Weihnachtsmarkt am Goldenen Reiter von Hubschrauberdröhnen überschallt. Überall ist Polizei zu sehen. Wasserwerfer und Mannschaftswagen fahren durch die Stadt. Blaulicht reflektiert an den Hausfassaden und mischt sich mit der Weihnachtsbeleuchtung der Stände.
"Man versucht, es gekonnt zu ignorieren. Unbehaglich, ja, unbehaglich." Nicht hinschauen, mit dieser Herangehensweise versucht es dieser junge Dresdner. Seine Begleitung wirft ein, dass sie sich Sorgen um ihre Stadt macht. "Die Linken werden immer linker, die Rechten werden immer rechter. Es gibt nur pro und contra, es gibt keinen Mittelweg mehr. Es gibt keine Kompromissbereitschaft mehr, die Kompromissbereitschaft der Bevölkerung ist halt auf den Nullpunkt."
Weihnachtsstimmung will nicht so recht aufkommen. Das finden auch diese Touristen. "Sag ruhig die Wahrheit! – Natürlich kriegt man das mit. Die ganze Polizei, das wirkt schon sehr bedrohlich." – "Ja, von den Montagsdemos hat man ja gehört. Ja. Aber wir fliegen auch heute Abend wieder weg, bevor das hier losgeht." Noch einen Schluck Glühwein, Aufbruch nach Nordrhein-Westfalen.
Pfarrer Behr appelliert an das christliche Menschenbild
Einen deutlichen Kontrast zu den Demonstrationen der Vorwochen gab es auf dem Theaterplatz zu sehen, dem Platz vor der weltberühmten Semperoper, auf dem Pegida schon so oft demonstriert hat. Heute ist das Bündnis "Herz statt Hetze" dran. Sie sind für ein weltoffenes Dresden. Der Theaterplatz gehört nicht den Fremdenfeinden, das soll die Botschaft sein.
Musiker der Staatsoper erinnern mit der "Ode an die Freude" an europäische Werte. Kurz vor Weihnachten appelliert Pfarrer Christian Behr an das christliche Menschenbild: "Und diesem auf diesem Platz gelegten Samen der Ausgrenzung möchte ich entgegentreten." Denn jeder Mensch ist Gottes Geschöpf, so simpel ist es, sagt Pfarrer Behr.
Nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt, auf der anderen Elbseite haben sich mehrere Tausend Pegida-Anhänger versammelt. Viele der rund 8.000 Teilnehmer haben neben den Fahnenstangen auch ausgedruckte Liedtexte in den Händen. Pegida hat zum Weihnachtliedersingen eingeladen. Zwei Vorsängerinnen auf der Bühne stimmen zwischen den Reden immer wieder Lieder an. "Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See, weihnachtlich glänzet der Wald. Freue dich, das Christkind kommt bald." – "Wir müssen hier nicht jeden und schon gar nicht kulturfremde, verrohte Muslime willkommen heißen." Pegida-Rednerin Tatjana Festerling freut sich, dass viele Flüchtlinge Ostdeutschland von selbst wieder verlassen. "Die Quote individueller Abreisen wird auf bis zu 30 Prozent geschätzt. Sorgen wir im nächsten Jahr friedlich, freundlich, aber unmissverständlich dafür, dass diese Quote steigt."
Nach der Rede das nächste Weihnachtslied: "Nun soll es werden Friede auf Erden. Den Menschen allen ein Wohlgefallen, Ehre sei Gott." Mit dem gleichen Engagement, mit denen viele hier 'Abschieben, Abschieben' gerufen haben, stimmen sie jetzt in die Weihnachtslieder mit ein. Vielen scheint das kein Widerspruch zu sein.
Ein Gespür für religiöses Empfinden fehlt völlig
Als fast schon alle Pegida-Demonstranten abgezogen sind, hat sich eine Gruppe von Gegnern auf einer Hauptverkehrskreuzung versammelt. Während die Einsatzkräfte sie wieder auf den Fußweg eskortiert, beobachtet Polizeipfarrer Christian Mendt das Geschehen. Etwas verloren steht er mitten in diesem Niemandsland zwischen Demonstranten und Polizei. Nicht nur an diesem Abend versucht er zu vermitteln. "Es gibt eine gewisse Stagnation, dass die verschiedenen Fronten nicht mehr miteinander reden, sondern nur noch anschreien."
Trotz allem plädiert er für den Dialog, egal wie schwierig der sein mag. Während hinter ihm der Autoverkehr wieder zu fließen beginnt, versucht er sich an einem Erklärungsversuch über die aggressiven Reden und die Weihnachtslieder bei Pegida. Polizeipfarrer Mendt glaubt, dass vielen das ganz grundsätzliche Gespür für religiöses Empfinden völlig fehlt: "Hier ist das völlig abstrus. Ich kann nicht verstehen, wie man Weihnachtslieder singen kann und sich zwischendrin völlig kontraproduktiv zu den Weihnachtsliedern verhält und das noch nicht mal als Widerspruch empfinden kann. Da ist was kaputt gegangen, da fehlt was. Diesen kulturellen Mangel halte ich für wesentlich gefährlicher und wesentlich größer als den Unterschied zwischen Deutschen und Syrern oder Deutschen und Muslimen."
Blaulicht und Kerzenschein, Weihnachtslieder, Appelle zur Weltoffenheit, aggressive Parolen, Martinshörner. Pegida demonstriert schon seit über einem Jahr, genauso lange gibt es den Protest dagegen. Dresden geht schon zum zweiten Mal widersprüchlich und zerrissen in ein neues Jahr. Nur dieses Mal noch etwas erschöpfter und ratloser. Ein Befreiungsschlag ist noch nicht in Sicht.