Atomkraft in Deutschland
Eine Rückkehr scheint kaum denkbar

Die politische Diskussion über die Kernkraft nimmt an Fahrt auf. Sogenannte Small Modular Reactors (SMRs) werden als Gamechanger betrachtet. Doch wie solide sind die Argumente für die Rückkehr zur Kernkraft?

Ein idyllisches Frühlingsbild des AKW Isar 2.
Die letzten drei Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 wurden am 15. April 2023 abgeschaltet. (IMAGO / Martin Erdniss / IMAGO / MARTIN ERDNISS)
Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich in Deutschland die Diskussion über die Atomkraft geändert. Die CDU zeigt sich in ihrer „Heidelberger Erklärung“ vom Januar 2024 offen für neue Atomkraftwerke (AKWs).
Unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Partei nach der verheerenden Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima den definitiven Ausstieg aus der Kernenergie für 2022 beschlossen. Aufgrund der Energiekrise konnten die drei letzten AKWs – Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 – allerdings noch in einem befristeten Streckbetrieb bis Mitte April 2023 weiterlaufen.
Für die FDP ist der Atomausstieg ein strategischer Fehler. Mit ihrem Eintreten für eine Laufzeitverlängerung der letzten AKWs unterzog sie die Ampel-Koalition bereits kurz nach dem Regierungsantritt einem Stresstest. Grüne und SPD hingegen wollen weiter am Ausstieg festhalten und konnten sich bisher in der Regierung durchsetzen.

Übersicht

Was spricht für den Einsatz der Kernkraft?

Das Hauptargument für die Wiedereinführung der Kernkraft ist, dass diese Energieerzeugung klimaneutral ist und kein CO2 erzeugt.
Zudem wird von den Befürwortern der Kernenergie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ins Feld geführt. Deutschland war bis zum Ukrainekrieg extrem abhängig von russischen Gasimporten. Mit dem Ende der russischen Importe musste sich Deutschland um alternative Energie- und Importquellen kümmern.
Deswegen kommt es momentan zu einem Ausbau von Erneuerbarer Energie einerseits, aber auch zur weiteren klimaschädlichen Verstromung von Kohle und importiertem Gas andererseits. Der Einsatz von Kernenergie würde also das Klima schonen und zu mehr Unabhängigkeit von Importen führen, so das Argument.
Auch die kontinuierliche, wetterunabhängige Stromerzeugung ist ein wichtiges Argument. Anders als von Erneuerbaren erzeugter Strom unterliegt die Erzeugung von Atomstrom keinen Schwankungen. Auch ist keine neue Infrastruktur nötig. Außerdem bestehen bereits Atomkraftwerke, die man weiterführen könnte, so die Argumente der Befürworter.

Welche technischen Neuerungen ändern die Diskussion?

Die Atomindustrie setzt ihre Hoffnungen auf kleine modulare Kernreaktoren, sogenannte Small Modular Reactors (SMRs). Diese sind – wie der Name sagt – kleiner als herkömmliche Atomkraftwerke und sollen zukünftig zu etwa 80 Prozent bereits in einer Fabrik vorgefertigt werden, so dass man sie am Einsatzort nur noch zusammensetzen muss.
Ziel ist eine industrielle Fertigung von vielen kleinen Kraftwerken, die man schnell und kostengünstig errichten kann. So will man bei einer massenhaften Produktion Skaleneffekte erzielen und günstiger werden. 

Was spricht gegen den Einsatz der Kernkraft?

Das endgültige Aus für die Atomenergie kam nach der verheerenden Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima. Die Folgen eines solchen Super-GAUs sind so gravierend, dass Gegner der Kernkraft argumentieren, dass man dieses Risiko nicht eingehen kann. Die Beispiele Fukushima und Tschernobyl sprechen für sich.
Eine Haftpflichtversicherung für ein einzelnes AKW würde nach Modellberechnungen mehrere Milliarden Euro jährlich kosten. Letztlich trägt das Risiko der Staat. Die Kosten für die Reaktorkatastrophe in Fukushima werden auf 500 Milliarden Euro geschätzt.
Außerdem ist die industrielle Fertigung vieler kleiner AKWs in Fabriken noch Wunschdenken. Aktuell ist der Bau von herkömmlichen AKWs zudem so aufwendig und so kostenintensiv, dass Atomkraft nicht wirklich planbar und dabei unrentabel ist, vor allem, wenn die Reaktoren so klein sind. Sie müssten also über kurz oder lang wieder größer werden, was wiederum der Idee der Massenproduktion im Wege stehen würde.
In Flamanville in Frankreich wurde 2007 der Bau des neuen Europäischen Druckwasserreaktors, kurz EPR, begonnen. 2012 sollte er ans Netz gehen und 3,4 Milliarden Euro kosten. Heute, im Jahr 2024, ist der Reaktor immer noch nicht am Netz und der französische Rechnungshof schätzt die Gesamtkosten auf mittlerweile mehr als 19 Milliarden Euro.
Will man die deutschen Klimaziele noch erreichen und das Stromsystem CO2-frei bekommen, hat man höchstens 15 Jahre Zeit, wie Gunnar Luderer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung erklärt. Doch der Bau neuer Kernreaktoren dauert seinen Berechnungen zufolge meistens eher 15 bis 20 Jahre.
Außerdem sagt selbst der Sprecher des Atomlobbyverbands „Kerntechnik Deutschland“, Nicolas Wendler, dass es keinen Sinn machen würde, Erneuerbare und AKWs gleichzeitig auszubauen: „Das würde das System dann am Schluss tatsächlich teurer machen.“ Und schon jetzt ist Atomstrom mindestens doppelt so teuer wie der von Erneuerbaren.
Außerdem zeigt die anhaltende Diskussion um das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja, wie ein solches AKW im Kriegsfall zu einem konkreten Risiko werden kann, sollte es von einer Rakete getroffen werden. Und die Frage, was man mit dem radioaktiven Müll macht, ist noch immer nicht abschließend geklärt.

Ist eine Rückkehr zur Kernkraft in Deutschland realistisch?

Mit Ablauf des 15. April 2023 wurden die letzten drei deutschen Atomreaktoren wie geplant vom Netz genommen. Der Bau neuer Atomkraftwerke ist in Deutschland seitdem gesetzlich verboten. Zum Zeitpunkt der Abschaltung sprach sich aber eine Mehrheit klar gegen den Atomausstieg aus.
Ein Säulendiagramm mit zwei Säulen. 59 Prozent der Befragten finden, der Atomausstig sei politisch falsch, 34 Prozent bewerten diese Entscheidung als richtigen Schritt.
Am 15. April 2023 gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Im Rahmen des ARD Deutschlandtrends gaben rund 59 Prozent der Befragten zum damaligen Zeitpunkt an, dass diese politische Entscheidung falsch sei. 34 Prozent bewerteten diese Entscheidung als richtigen Schritt. (ARD/Statista)
Doch die bisherigen Kernkraftwerksbetreiber sind in ihrer Kommunikation ziemlich eindeutig: Eine Rückkehr werde es nicht geben. RWE-Chef Markus Krebber sagte dem Handelsblatt im April 2023: „Ich glaube, die Messe ist gelesen. Da gibt es in Deutschland kein Zurück mehr.“ Und der Chef des Energiekonzerns E.on, Leonhard Birnbaum, sagte der Rheinischen Post im Januar 2024: "Das ist mittlerweile auch technisch nicht mehr möglich, das Thema ist durch."
Die politische Unsicherheit für die nötigen großen Investitionen ist in Deutschland schlicht zu groß. Für derart langfristige Investitionen braucht es Zustimmung über die potenziell regierenden politischen Parteien hinweg. Die CDU, die gerade die Rückkehr der Atomkraft diskutiert, hat ihren Kurs in den vergangenen Jahren mehrfach angepasst.

Wie stehen andere Länder zur Kernenergie?

Erst kürzlich verpflichteten sich in Brüssel über 30 Staats- und Regierungschefs, darunter viele aus der EU, beim ersten internationalen Gipfeltreffen für Atomenergie, darauf, das Potenzial der Nuklearenergie voll auszuschöpfen. Deutschland war nicht dabei, wohl aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Europa nur sehr wenige Kraftwerke gebaut, so in Finnland, Großbritannien und Frankreich. Tschechien will vier neue Reaktoren bauen, auch die Niederlande und Frankreich planen Neubauten, Polen will sogar neu in die Atomkraft einsteigen.
Weltweit betrachtet hat vor allem China neue Reaktoren gebaut, genauso Russland. Und auch in arabischen Ländern, in der Türkei oder Südkorea gab es Neubauten.
Es wurden allerdings auch Kraftwerke abgeschaltet. Da insgesamt der Stromverbrauch aber massiv gestiegen ist und weiter steigt, sinkt der Anteil der Kernenergie an der globalen Stromerzeugung. Momentan liegt er bei unter zehn Prozent.

ckr