Mehr als 1.000 Seen, kaum Industrie, dafür viele Wälder, eine sanft-hügelige Landschaft und natürlich die Ostseeküste - all das lässt viele Einheimische in Mecklenburg-Vorpommern mit Genugtuung sagen: "Wir leben, wo andere Urlaub machen". Gemessen an den Übernachtungszahlen in Hotels, Pensionen und privaten Ferienwohnungen ist der Nordosten seit einigen Jahren jedenfalls das beliebteste inländische Reiseziel der Deutschen.
Doch in einigen besonders attraktiven Tourismus-Destinationen droht die Stimmung zu kippen. Vor allem auf Rügen in Vorpommern, Deutschlands größter Insel, gehen Stichworte um wie "Overtourism" und "Versyltung".
Anita Weidendorf sitzt in einem Café in Bergen auf der Insel Rügen, neben sich ein Fahrrad und eine Fotokamera. An diesem Sommertag hat sie schon etliche Kilometer in den Beinen, denn ihre Pension steht in Alt-Reddevitz.
"Alt-Reddevitz gehört zu Mönchgut und ist eine Halbinsel. Also es ist abgelegen und noch relativ ruhig. Noch. Bis auf einige neue Baustellen, die ich entdeckt habe. Zum Beispiel habe ich wieder mit Entsetzen festgestellt, dass ein Protzbau, so nenne ich das, nach dem anderen entsteht. Und entsteht an den schönsten und abgelegensten Stellen. Das ist das, worüber Otto Normalverbraucher echt sauer ist. Wir können froh sein, wenn wir hier nicht die ganzen Küsten zubauen. Es wird schon noch aufgepasst, aber wenn man lange nicht da war, dann denkt man immer wieder: Da und da – überall sitzt so ein super Hotel, was aber für Otto Normalverbraucher mehr oder weniger nicht bezahlbar ist."
"Wir sind an die Grenzen des Wachstums gestoßen"
Dabei wollte die knapp eintausend Quadratkilometer große Ostseeinsel nie werden wie die Nordseeinsel Sylt, sagt Bernhard Wildt. Er und seine Frau leben seit 15 Jahren in dem Mönchguter Dorf Groß Zicker und betreiben auf Rügen sowohl drei Ferienhäuser wie auch einige Dauerwohnungen. Laut Bernhard Wildt "eine gesunde Mischung", die aber längst nicht jeder Investor auf der Insel anstrebe. Die Folge:
"Ich denke, wir sind auf jeden Fall an die Grenzen des Wachstums gestoßen. Es sollte hier nicht noch weiter investiert werden, weil die Proportionen einfach nicht mehr passen. Also, eines der Hauptprobleme ist, dass die Immobilienpreise sehr, sehr stark gestiegen sind und es deshalb für einheimische junge Familien nahezu unerschwinglich wird, die sich hier eine Existenz aufbauen wollen, hier überhaupt Eigentum zu erwerben. Also wenn hier im Dorf oder Mönchgut insgesamt Häuser verkauft werden, werden die in aller Regel an Auswärtige verkauft, die Ferienhäuser daraus machen. Ich nenne das 'Versyltung': Das ist die gleiche Entwicklung, die wir auf Sylt vor einigen Jahren oder Jahrzehnten schon hatten."
Vor allem Berliner, Hamburger und Hotelketten investierten in Ferienhäuser auf der Insel Rügen, die sich immerhin auch dadurch von Sylt unterscheidet, dass sie größer ist.
"Deshalb gleicht sich das ein bisschen aus. Aber hier an der Ostküste - Mönchgut, Sellin, Binz und teilweise auch oben an der Schaabe und Glowe - da ist es tatsächlich so, dass alles unter der Vorherrschaft des Tourismus steht und fast alle Immobilien wirklich an Ortsfremde verkauft werden", sagt Bernhard Wildt. "Und das leitet über zu dem zweiten Nachteil für die Einheimischen: Es entstehen ja überwiegend nur Saisonarbeitsplätze für relativ kurze Zeit. Die werden auch nicht gerade supergut bezahlt. Das heißt, für die Einheimischen ist schwer auf den grünen Zweig zu kommen oder auch mal selber ein bisschen Kapital anzusammeln."
"Immer mehr Bauen, immer mehr Luxus"
Das beobachtet auch Andreas Meyer aus Rügens ältester Stadt, Garz. Er arbeitet im 24 Kilometer entfernten Ostseebad Sellin als Betriebsleiter der einzigen Großwäscherei auf Rügen. Die Kunden: Hotels, Gaststätten, Pensionen und zunehmend Privatvermieter. Folglich hege er keine grundsätzliche Abneigung gegen gegen Tourismus auf der vorpommerschen Insel, deren Fläche zu 65 Prozent aus Nationalparks und Naturschutzgebieten besteht. Aber, so der 53-Jährige Wahl-Rüganer:
"Wir sind auf dem Weg, den Sylt vor vielen Jahren gegangen ist: Immer mehr Bauen, immer mehr Luxus. Es muss alles privatisiert werden. Und wenn ich mir überlege, wie viel Wohnungsnot wir überall eigentlich haben in diesem ganzen Land, und mir dann anschaue, dass da hunderte und tausende Ferienhäuser zum Anschaffungswert von einer Million oder wenigstens 750.000 Euro stehen, die nicht bewohnt werden dürfen, weil es der Gesetzgeber nicht hergibt, weil sie in einem Ferienhausgebiet stehen, dann muss man spätestens an der Stelle merken, dass irgendwas nicht ganz in die Richtung läuft, in die wir eigentlich wollten, in die wir gehen müssen."
Die Richtung müsse lauten: "sanfter Tourismus", sagt Andreas Meyer. Indes reifen nicht alle Investorenträume. So darf auf der dünn besiedelten, weitgehend naturbelassenen Halbinsel Zudar am Bodden ein Hamburger Investor nun doch keine 44 Ferienhäuser auf dem gemeindeeigenen Grund am Wasser errichten. Vielmehr bleibt der bisherige Naturcampingplatz bestehen, der vor allem bei den Einheimischen und bei Urlauberfamilien beliebt ist. Zuvor hatten Andreas Meyer und seine Mitstreiter in der Garzer Bürgerinitiative einen entsprechenden Bürgerentscheid durchgesetzt. Dennoch:
"Ich mache mir Gedanken darüber, dass die Insel zugebaut wird an den entlegensten Stellen. Wenn Sie auf die Halbinsel Wittow fahren: Absolut fantastische Gegend, tausend schöne Meter Strände - und es entsteht eine Ferienhaussiedlung nach der anderen. Auf dem Bug, habe ich gehört, ist von 400 Ferienhäusern die Rede. Es ist krank, was im Moment passiert. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Blase nicht in absehbarer Zeit platzt. Denn das muss alles bewirtschaftet werden. Das kostet alles Geld. Ich glaube, wir sind längst an dem Punkt, wo für die Einheimischen kein Platz mehr ist."
Den letzten Satz würde Bernhard Wildt zwar nicht unterschreiben. Doch auch er findet, dass die Grenzen des Wachstums erreicht sind.
"Weil die Proportionen einfach nicht mehr passen. Von der Fläche her ist das Ganze so weitläufig, dass sich die Urlauber hier immer noch wohlfühlen und entspannen können. Auch am Strand. Aber die Menschen sind einfach nicht mehr hier, die das Ganze bewirtschaften, und die externen Käufer von Ferienwohnungen und Ferienhäusern verlassen sich ja darauf, dass die Einheimischen das Ganze auch bewirtschaften. Das fängt bei der Freiwilligen Feuerwehr an, bei der Grünpflege, bei den Arbeitskräften, die hier überall benötigt werden. Und das funktioniert einfach nicht mehr. Also: Noch mehr geht nicht, und deshalb sollte man auch aufhören, immer weitere Flächen zuzubauen."
"Man investiert einfach in Beton"
Im Schweriner Landtag sei das Thema schon mehrfach angesprochen worden, sagt Bernhard Wildt, der die Fraktion "Bürger für Mecklenburg-Vorpommern" leitet. Doch die Gemeinden seien für die Bebauungspläne zuständig, und nur der Bund könne etwas erledigen, was aus seiner Sicht besonders wirkungsvoll wäre - nicht nur mit Blick auf Rügen:
"Zum Beispiel wenn die Spekulationsgewinne aus solchen Verkäufen versteuert werden müssten. Das ist im Moment nach zehn Jahren Haltefrist nicht der Fall. Wir können auch hier - das hatte ich auch im Landtag wörtlich so gesagt - durchs Dorf gehen oder durch andere Orte gehen und die Objekte zeigen und sagen, wann sie wieder zum Verkauf angeboten werden. Nämlich immer dann, wenn die zehn Jahre um sind. An dieser Stelle könnte man auf jeden Fall etwas ändern. Das ist allerdings Bundesgesetzgebung. Dann wäre es auf jeden Fall schon deutlich weniger attraktiv, dieses 'Betongeld' in 'Betongold' anzulegen."
"Man investiert einfach in Beton", weiß auch Knut Schäfer, Vorsitzender des Tourismusverbandes Rügen. "Und gerade in touristisch interessanten Gebieten in Küstennähe oder in der Nähe von Nationalparks, et cetera, haben Sie natürlich durch touristische Nutzung die Möglichkeit einer schnellen Refinanzierung. Das macht es natürlich schwer, das Thema Bettenwachstum etwas einzudämmen."
Der Tourismus sei der wichtigste Teil des Rügener Wirtschaftslebens. Doch dass die Bettenkapazitäten ständig steigen und diese vielen Betten belegt werden müssen, finde längst nicht mehr jedes der 240 Verbandsmitglieder gut. "Wir kannibalisieren uns selbst", so die Erkenntnis laut Knut Schäfer.
"Dieses Thema 'Overtourism' ist ein Thema, das ja immer wieder eine Rolle spielt. Auch 'Betongold' ist in aller Munde und nachgefragt und ist ein Thema, das sich konträr zum Thema Qualität entwickelt. Qualität hat natürlich damit etwas zu tun, dass der Gast diese Produktversprechen, die wir ihm geben, von 'unberührter Natur', von 'Stille', von 'Stränden abseits des Massentourismus' - diese Produktversprechen müssen wir natürlich auch halten. Und da kann es nicht sein, dass wir auch dünn besiedelte Regionen oder nicht so stark frequentierte Regionen als touristische Hinterräume anfangen vollzupflastern."
"Wir müssen an Natur- und Rückzugsräume denken"
Immerhin spreche sich in den Gemeinden wie auch bei bauinteressierten Hotel- und Pensionsbetreibern herum, dass man so langsam den Ast absägt, auf dem man sitzt, ergänzt Knut Schäfer vom Interessenverband der Rügener Tourismusunternehmen.
"Das Thema Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor. Insofern gibt es auch Wirtschaftsdruck und ein Wirtschaftsinteresse. Nur ich glaube einfach, das Wachstum in der Anzahl, in der Quantität ist nicht endlos. Wir können nicht immer weiter wachsen. Wir müssen an unsere Naturräume denken. Wir müssen an touristische Rückzugsräume denken. Dieses Thema 'Overtourism' ist ja eines, das immer wieder eine große Rolle spielt. Aber wir müssen an unsere Einwohner denken und wir müssen daran denken, dass unsere Einwohner Gastgeber sind. Die brauchen Gastgeberqualitäten. Und Gastgeberqualitäten können sie nur haben und an den Gast bringen, wenn sie die Bedeutung des Wirtschaftsfaktors Tourismus verstehen und die Vorteile sehen und nicht mauern und den Tourismus als Nachteil begreifen und als Ärgernis."
Laut dem Statistischen Landesamt Mecklenburg-Vorpommern zählten Rügen und die von dort aus erreichbare kleine Nachbarinsel Hiddensee im vorigen Jahr rund 1,36 Millionen Ankünfte und 6,4 Millionen Übernachtungen von Touristen. Drei Viertel der Touristen zieht es an die östliche Inselseite, wo vor allem die großen Ostseebäder mit ihren Sandstränden und Seebrücken locken: Göhren, Baabe, Sellin.
Als das mondänste der Rügener Ostseebäder gilt Binz. Dort verbringt der aus Vorpommern stammende Theaterschauspieler und -regisseur Marco Bahr seit über zwanzig Jahren seine Urlaubszeit. Binz verfügt über herrlich sanierte Villen und ungezählte neue Ferienhäuser entlang der Seepromenade. Nirgends tummeln sich so viele Badegäste am Strand wie in Binz samt Ortsteil Prora.
Erste Symptome von "Overtourism"
"Es ist voll. Die Leute haben Bock, dahin zu gehen. Durch Prora, was da noch wächst, wird es ja noch mehr."
Tatsächlich sind in den letzten Jahren tausende Wohnungen allein in Prora dazu gekommen. Sie entstanden bei der Sanierung des 4,5 km langen Häuserriegels, den die Nazis als Massenerholungsanlage unter dem Motto "Kraft durch Freude" geplant, aber nie in Betrieb genommen hatten. Private Investoren konnten die schmalen luxussanierten Wohnungen zu stattlichen Preisen losschlagen. Die weitaus meisten Interessenten kauften sie nicht als Dauer-, sondern als Ferienwohnung mit eingeschränkter Eigennutzung. Das ist eine steuerlich noch attraktivere Anlageform, zumal die Sanierungskosten der Ferienwohnung fast komplett steuerlich abgesetzt werden können - der Status "denkmalgeschützt" macht es möglich.
Im Ostseebad Binz-Prora erkennt derweil auch Marco Bahr zumindest in der Hochsaison erste Symptome von "Overtourism". Doch so schlimm wie in den derzeit besonders angesagten Kurztrip-Metropolen Barcelona, Dubrovnik, Amsterdam oder Berlin sei es nicht. Und überhaupt:
"Ich lebe auf einem Dorf mit meiner Familie, und wir haben es sehr ruhig dort. In Binz - dieses Leben, diese Fülle - ich genieße das. Und diese Insel, in die hab' ich mich verliebt. Die finde ich so sehenswert. Wenn man irgendwo oben ein Plätzchen findet auf einem Berg und guckt so runter und die Sonne geht auf - man versteht dann, warum Caspar David Friedrich gesagt hat: 'Ich will hier malen.' Und dann kommt immer noch im Winter eine Woche dazu. Da ist die Insel ja wieder anders. Da ist sie leer, die Gaststätten sind leer und die Gastronomen sind freundlich, weil sie sich über den einen freuen, der da reinkommt."
Viele Rügen-Touristen meiden mittlerweile die Insel im Sommer. Der Grund: So mancher Hotelier oder Gastronom scheint den Ostseestrand für einen Selbstläufer zu halten und behandelt die Gäste nach dem Motto: 'Egal wie unfreundlich, egal wie überteuert – die Touristen kommen sowieso.' Marco Bahr, der seit zwei Jahren die berühmten Störtebeker-Festspielaufführungen auf der Rügener Naturbühne Ralswieck inszeniert und deshalb gleich mehrere Monate im Jahr auf der Insel verbringt, kennt diese Kritik.
"Ja, ja, das kann ich total nachvollziehen. Das ist so. Aber durch einen Freund, der in der Gastronomie auch arbeitet, weiß ich: Diese Menschen, die hier arbeiten - die Bezahlung ist einfach nicht gut, und es gibt keine Leute. Gastronomen, Servicepersonal, Küchenpersonal wird so dringend benötigt, und es macht keiner mehr. Die paar, die noch Lust dazu haben, müssen das Doppelte mitarbeiten. Von Urlaubern kommen natürlich auch Sprüche, und irgendwann ist dann die Batterie auch leer. Wie man diesen Zustand ändern kann, dass mehr sagen, 'Ich will Koch werden, als Servicepersonal arbeiten', ich glaube, das funktioniert nur über Geld, dass es sich lohnt, dort zu arbeiten. Was ich nicht verstehe, denn die Urlauber bringen das Geld auch, schleppen es ja heran. Und dass man das nicht erkennt, dass man das Mitarbeitern weitergeben muss!?"
"Alle leben vom Tourismus"
Zu Gast im Kurhaus Sellin: "Mein Name ist Reinhard Liedtke. Ich bin Bürgermeister in der Gemeinde Sellin seit 1993. Also schon etwas länger im Geschäft."
An diesem heißen Sommertag suchen tausende Besucher gleichzeitig Abkühlung in der Ostsee oder im Schatten entlang der Prachtmeile Wilhelmstraße. In der Hauptsaison zählt der 2.700-Einwohner-Ort pro Tag 10.000 Übernachtungsgäste. Anstrengend, aber damit könne Sellin umgehen, sagt Reinhard Liedtke:
"Als Bürgermeister einer Gemeinde freut man sich natürlich über den Zuwachs an Touristen, den wir ja zu verzeichnen haben. Alle leben vom Tourismus - ob sie es nun wahrhaben wollen oder nicht. Direkt, indirekt - der Verkäufer beim Edeka, die armen Leute, die im Drei-Schicht-System Wäsche waschen müssen, die Gastronomen. Und was viele vergessen, ist ja, dass in Sellin - so wie heute Hauptsaison - 10.000 Tagesbesucher auch schon damals hier waren. Also vor der Wende. Mit den großen Heimen, den Betten. Jeder hatte vier Betten irgendwo. Also da war ja auch mehr Masse. Jetzt haben wir natürlich mehr Qualität. Die Wohnungen sind natürlich alle viel, viel anspruchsvoller geworden, und wir liegen jetzt auch wieder knapp bei dieser alten Marke."
Doch auch Sellin muss aufpassen, nicht Opfer des eigenen Erfolges zu werden. Wie auf der gesamten Insel werden auch hier die Arbeitskräfte knapp. "Arbeiten, wo und wenn andere Urlaub machen" - das zieht vor allem bei den Jüngeren nicht mehr, bestätigt Bürgermeister Reinhard Liedtke. Dazu komme der Mangel an erschwinglichem Wohnraum. Zwar wachse die Einwohnerzahl. Aber:
"Das, was Sie ansprechen, ist natürlich gang und gäbe: Die Leute, die vorher Wohnungen hatten, haben die entweder schon umgewandelt oder sind längst Ferienwohnungen, weil Ferienwohnung immer noch attraktiver ist von den Renditen her als Dauerwohnung."
Die meisten Hotel- und Gaststättenbetreiber bringen mittlerweile ihre Aushilfs- und Saisonkräfte in Ortsnähe unter. Die Gemeinde selbst unterhält eine Siedlung am Wald mit relativ preiswerten Mieten und lässt dort in der Hauptsaison auch die auswärtigen Rettungsschwimmer und Einsatzkräfte für die Seebrücke wohnen. Bürgermeister Liedtke berichtet zudem von der Ausweisung zweier kleiner Bebauungsgebiete mit der Preisobergrenze von 150 Euro pro Quadratmeter. Doch es reiche nicht, räumt der Bürgermeister ein.
"Das Problem ist die Ausweisung von Wohngebieten oder von Mehrfamilienhäusern in so touristischen Gegenden. Wir haben eine tolle Natur, und egal, wohin wir uns bewegen wollen, sind wir entweder im Wald, am Wald... da müssen wir natürlich genau aufpassen, und da wird es irgendwann seine Grenzen geben. Aber es ist - das stimmt natürlich - der Verdrängungswettkampf Wohnungen/Ferienwohnungen, und wir versuchen mit B-Plänen gegenzusteuern. Wir haben auch noch einige kleinere Gemeindeflächen, und da suchen wir Investoren, die Mietwohnungen bauen. Und das ist die große Kunst."
Sellin: "Wir weisen keine Neulandgebiete mehr aus"
Sellin sucht bislang vergeblich private Investoren für den Bau von Dauerwohnungen, deren Kaltmiete nicht höher als acht, neun Euro pro Quadratmeter liegen darf und damit weit unter dem, was als Rendite durch Ferienwohnungen zu erzielen ist.
Viele Gemeinden steuern derweil mittlerweile über das Instrument der Bebauungspläne gegen das Entstehen immer weiterer Ferienimmobilien. Doch von einem kompletten Bettenstopp auf der Insel Rügen hält Bürgermeister Reinhard Liedtke nichts. Auch nicht in seinem an Ferienunterkünften bereits reichen Ostseebad.
"Parteien sagen dann ja oft 'Baustopp!' und 'Keine Ferienwohnungen!' gerade auch zur Kommunalwahl. Aber das ist ja gar nicht zu realisieren. Wir hatten gestern Bau-Ausschuss bei uns. Da haben wir zwei Häuser gehabt, die jetzt schon drei Jahre leer stehen, die sich immer mit Bauanträgen bemühen. Da waren vorher Ferienwohnungen drin, und da bauen die natürlich wieder welche rein."
Dennoch ist der Selliner Bürgermeister davon überzeugt: Auf der wunderschönen Ostseeinsel Rügen geht der Trend zur "Versyltung" zu Ende.
"Die Diskussion um Gästestopp und Bettenstopp regelt sich automatisch, weil wir einfach keine Neulandgebiete mehr ausweisen."
Skeptischer ist da das Ehepaar Wildt, das ebenfalls auf Rügens begehrter Ostseite wohnt und einige Ferienwohnungen auf Rügen betreibt. Zwar seien auf der knapp 30 Quadratkilometer großen Halbinsel Mönchgut einige augenscheinlich attraktive Grundstücke unbebaut und sollen das auch bleiben, sagt Dagmar Wildt.
"Das ist alles Naturschutzgebiet und soweit ich das weiß, gehören auch die Felder den Einheimischen. Und wenn man mit Nachbarn oder Bekannten hier im Dorf spricht, die sagen alle: Wir lassen das nicht bebauen!"
Jedenfalls die Alten nicht. Doch was passiert nach deren Tod, fragt Bernhard Wildt.
"Ich hoffe auch, dass es so bleibt, wie es jetzt ist. Aber ich befürchte schon, dass doch noch mehr bebaut wird. Gerade gestern habe ich gehört, dass letztes Jahr in Thiessow insgesamt fünf Häuser verkauft wurden, weil die alten Eigentümer verstorben sind, und die werden von den Erben einfach in der Regel an Investoren verkauft, die dann wieder Ferienhäuser einrichten. Ich denke, dieser Trend wird weitergehen. Also, wenn uns nichts Besseres einfällt, wird es dann doch ein zweites Sylt zumindest hier auf der Osthälfte der Insel Rügen geben."